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Weltkonferenz gegen den Internationalen Terrorismus - Ein Erfahrungsbericht

Christina Cathey Schütz, Vertreterin für Libyen

Als ich am 11. September von den terroristischen Anschlägen in New York City hörte, war mein erster Gedanke, daß die Täter libyischer Herkunft seien. Als Kind hatte ich mitbekommen, daß Präsident Reagan Bomben auf Tripolis und Benghazi fallen lies, um von Libyen gesponserte Terrorakte (u.a. das Attentat auf die berliner Diskothek „La Belle“) zu rächen und weitere solche Akte zu verhindern. Um den Opfern des Bombardements zu gedenken, lies General Gaddafi daraufhin ein bombastisches Denkmal in Tripolis errichten — selbst in Amerika bekam man das mit. Wenige Jahre später hörte man dann vom Lockerbie-Attentat, und, noch einige Jahre später, von dem Lockerbie-Prozeß. Gaddafi verneinte jegliche libysche Beteiligung an dem Attentat und weigerte sich zunächst, die zwei libyischen Hauptverdächtigte auszuliefern. Libyen mußte für diesen Widerstand bezahlen: die USA und Großbritanien setzten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Implementierung eines Sanktionsregimes durch. Zwar wurden Tripolis und Benghazi kein zweites Mal bombadiert, aber die Sanktionen verletzten den Stolz Gaddafi’s und verringerten das Wohlergehen des Landes. Für mich als Beobachterin dieser Geschehnisse war darum schon lange vor dem 11. September klar, daß Libyen wenig Liebe für Amerika übrig habe. Und so kam es mir am 11. September wie ein genial-logischer Schachzug vor, mit zwei Flugzeugen ein wichtiges Symbol der USA (das World Trade Center) anzugreifen, zumal schon zweimal in der Vergangenheit Flugzeuge im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Libyen und den USA gestanden hatten.

Mittlerweile weisen die Tatsachen nicht auf Gaddafi, sondern auf andere Täter hin. Meine erste Vermutung hinsichtlich der Täterschaft war offenbar falsch. Trotzdem blieb mir die Frage nach der Positionierung Libyens mit Hinblick auf den globalen Terrorismus. In den letzten Jahren war mir aufgefallen, daß Gaddafi sein Image zu verändern versuchte. Vor etwas über einem Jahr fing er an, sich um die Verbesserung der Beziehungen Libyens mit der Europäischen Union zu bemühen, und seit geraumer Zeit beschäftigt sich der General mit der Gründung einer „Afrikanischen Union“. Im Sommer 2000 trat er sogar als Vermittler in der Geiselbefreiung auf der Insel Jollo (Philipinen) auf und lud ausländische Politiker ein, um in Tripolis vor den Ruinen von 1986 verfilmt zu werden. Das alles rief Rätsel auf. Was hängt wie zusammen? Hat Gaddafi sich vom Terrorismus endgültig distanziert und versucht er sein Land langsam aber vorsichtig dem Westen zuzuwenden? Oder ist Gaddafi ein Opportunist, der weiterhin Terroristen unterstützt, vordergründig aber gegenteilige Zeichen setzen möchte?

Die Gelegenheit, auf der „Weltkonferenz gegen den internationalen Terrorismus“ Libyen zu vertreten erschien mir der geeignete Anlaß, mich etwas näher mit Libyen zu befassen. Ich meine, ich bereitete mich ziemlich gründlich vor. Ich las viel und lernte Tatsachen über Libyen, die mir zuvor gänzlich unbekannt waren. Zum Beispiel: Libyen ist durch eine besondere Variante des Sozialismus geprägt. In Libyen genießen Frauen einen für die arabische Welt ungewöhnlich hohen Bildungsgrad. In den letzten Jahren gab es ausländerfeindliche Ausschreitungen gegenüber schwarzafrikanischen Gastarbeitern im Lande. Libyen spricht sich offiziell gegen Terrorismus aus, spricht sich aber als ex-Kolonie für Befreiungskämpfe wie z.B. den der Palästinenser aus, da Libyen solche Kämpfe nicht als Terrorismus, sondern als legitime Bewegnungen begreift.

Von vielen Leuten wurde ich im Vorfeld daraufhin angesprochen, wie eigenartig es doch sei, daß ich als Amerikanerin ausgerechnet Libyen auf der „Weltkonferenz“ vertreten wolle. Warum kein einfacheres, sympatischeres Land? Meine Antwort: es sei in diesen schwierigen Zeiten ein Zeichen intellektueller Integrität, die Position seines „Gegeners“ anzunehmen und zu sehen, was an dessen Ausführungen vielleicht überzeugend sei und was an der eigenen Auffassung vielleicht zu einfach gedacht wäre. Dieser Idealismus wurde allerdings durch einige pragmatische Schritte begleitet. So e-mailte ich während meiner Vorbereitung auf das Planspiel regelmäßig erläuternde Disclaimers an meine Freunde, im Falle des Falles, daß die CIA irgendwie mitbekommen sollte, daß sich eine Amerikanerin in Berlin aus heiterem Himmel intensiv mit libyschen Webseiten beschäftigt...

Auf der Konferenz merkte ich, daß es trotz aller redlichen intellektuellen Vorsätze gar nicht so einfach ist, ein so andersartiges Land wie Libyen zu vertreten. Ist man Irak, kann man offen und polemisch gegen den Westen wettern. Das ist die Position, die man von Irak erwartet. Spielt man Belgien oder gar die USA, ist die Position auch ziemlich eindeutig gezeichnet. Doch wie vertritt man ein Land, das einerseits in der arabischen Welt zu verorten ist, andererseits aber den Eindruck erwecken möchte, es verstehe sich mit den europäischen Ländern doch ziemlich gut? Und wie vertrete ich die Mentalität eines bestimmten Volkes, wenn ich mein Leben lang noch keinen einzigen Libyer kennengelernt habe? Libyen erschien mir gänzlich untypisch in der arabischen Welt und war für mich fast eher in die Sparte ehemalige Kolonien zu verorten. Es fiel mir nicht leicht, spontan auf diverse Vorschläge und Initiativen im Plenum zu antworten, da ich selber so sehr rätselte, wie ein Libyer denn eigentlich antworten würde.

Diese Schwierigkeit beschäftigte mich sehr, sogar noch viel mehr als die große Schwierigkeit, die darin bestand, mit den anderen arabischen Ländern eine Resolution zu entwerfen (dies überraschte mich zwar auch, erschien mir dann aber irgendwie logisch, denn jedes Land, ob arabisch oder nicht arabisch, hat gewisse Interessen gegenüber andere zu wahren). Es fiel mir auf, daß es wirklich eine sehr andere Sache sei, einerseits eine Eröffnungsrede im „libyschen Stil“ zu verfassen und andererseits im Sinne eines libyschen Diplomaten strategisch zu kalkulieren. Bemüht man sich, die arabische Resolution auf alle Fälle durchzubringen, oder setzt man sich lieber erneut hin und verfasst eine Resolution mit einem Land, das bei der arabischen Resolution nicht mitmachen wollte? Wie offen spricht man sich gegen Israel aus? Wie stark pocht man auf das koloniale Erbe? Fühlt man sich mit den „Armen der Welt“ verbunden, oder möchte man selber als Starker erscheinen? Wie sympatisch sind einem heutzutage Länder wie Irak oder Iran? Möchte man sich mit den USA noch direkt anlegen?

Für mich bestand die grundsätzliche Lernerfahrung im Planspiel darin, die Grenzen des eigenen Wissens zu erfahren. Ich möchte sagen, daß es sich hierbei mehr um pragmatisches Wissen denn um „wissenschaftliches“ Wissen handelt. Es dürfte klar sein, daß keiner der Teilnehmer in den wenigen Wochen vor dem Planspiel zum reifen Experten über sein Land werden konnte. Dieses wird übrigens von einigen Professoren an Planspielen kritisiert: das Vorgehen sei doch so „unwissenschaftlich“. Aber das ist für mich nicht das Problem. Ich behaupte sogar, daß meine Vorbereitung geradezu wissenschaftlich war, schließlich machte ich genau das, was ich in Vorbereitung auf eine Hausarbeit sonst tue: ich las Bücher, ich lernte historische Daten auswendig und ich informierte mich um die Hauptmerkmale des Landes Libyen. Ich spürte die Grenzen meines Wissens erst dann, als ich plötzlich als libyscher Diplomat agieren sollte, eine Art von Handlung, die ich im Studium ja sonst nie vollbringen muß. Mir wurde klar, daß wissenschaftliches Wissen zum Handeln nicht ausreicht, denn oft verschafft einem Buchwissen eine entsetzlich bequeme und selbstzufriedene Sicherheit, was das Wissen anbelangt.

Ein Planspiel ist natürlich nur ein Spiel, aber im Spielen lernt man ja fürs Leben. Sinn des Spielens ist es, seine Phantasie zu üben und Dinge in ungewohnten Kombinationen gegenüberzustellen. Ich bewarb mich fürs Planspiel, weil ich intellektuelle Integrität üben wollte. Es stimmt schon, daß ich nun mehr über Libyen weiß als vorher, und daß es auch Spaß machte, diese Position zu vertreten. Aber wenn ich wirklich aufrichtig sein möchte, dann muß ich zugeben, daß mir hinherher eher klar ist, was ich nicht weiß, denn was ich weiß. Und vielleicht ist das die Schwäche meiner amerikanischen Position: es gibt noch zu vieles, das mir unklar ist, so daß meine eigene Urteile noch lange nicht sicherem Fuße stehen. Das zu erkennen ist aber ein Lernerfolg an sich und spornt mich an, weiterzuforschen und zu spielen, damit ich im richtigen Leben die Wissenslücken schließen kann, die mir im Spiel ersichtlich wurden.