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Verlegte Geschichten: Autobiographien von Frauen

In jahrelangen Recherchen hat Gudrun Wedel autobiographische Schriften von Frauen aufgespürt, verzeichnet und erforscht. Fundorte waren Bibliotheken und Antiquariate, Bibliographien, Lexika und Literaturverzeichnisse aller Art. Nicht weniger aufwendig war es, die zahlreichen unbekannten Werke zu beschaffen, zu lesen, zu beschreiben und Schriften mit irreführenden Titeln auszusondern.

Eine aus eigenen Mitteln angelegte umfangreiche Sammlung ermöglichte den kontinuierlichen Zugriff auf die Texte und schuf die Voraussetzung für vergleichende Auswertungen. Im Lauf der Jahre entstanden so eine Reihe von Aufsätzen und eine Dissertation über das Thema „Lehren zwischen Arbeit und Beruf. Einblicke in das Leben von Autobiographinnen aus dem 19. Jahrhundert“ (Wien 2000).

Gegenwärtig schließt Gudrun Wedel die Arbeiten an einem von der DFG geförderten Nachschlagewerk ab. Es verzeichnet Autobiographinnen aus dem deutschsprachigen Raum, die zwischen 1800 und 1900 geboren sind. Mittlerweile umfasst es über 1000 Autorinnen, die etwa 2000 autobiographische Schriften veröffentlicht haben. Parallel zum Buch wird eine CD-ROM publiziert, um Recherchen zu erleichtern.

Basis ist eine Datenbank, die laufend erweitert wird. Das Lexikon beschreibt die autobiographischen Texte einer Autorin in der Reihenfolge des Publizierens. Kurze Inhaltsangaben geben einen Eindruck von dem Spektrum der Themen. Weitere Informationen erhellen die mediale Wirkung: So sind die Rahmenteile eines autobiographischen Textes höchst aufschlussreich für das präsentierte Selbstbild. Dazu gehören zum Beispiel die Ausstattung mit Vorworten, mit Fotos und Bildern, mit dokumentarischen Anhängen und vor allem mit dem für das Lesepublikum so interessanten Personenregister.

Das zeigt zugleich, dass autobiographisches Schreiben und Publizieren kein einsames Geschäft war. Meistens fand es mit Blick auf bestimmte Leser und Leserinnen statt und wurde oft durch andere angeregt und mitgestaltet. Hinweise auf autobiographische Schriften aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis der Autobiographin unterstützen diese Beobachtung. Sie machen es möglich, Autobiographie-Generationen und „Autobiographie-Nester“ zu identifizieren.

Autobiographien von Frauen sind eine einzigartige Quelle, um unter den verschiedensten Gesichtspunkten das Leben von Frauen, ihr Selbstbild und ihre Sicht der Welt zu erforschen. Dass aber außer Schriftstellerinnen auch viele andere Frauen über ihr Leben geschrieben haben, wird zu wenig beachtet. Von Interesse ist zudem die Vielfalt autobiographischer Kleinformen, die möglicherweise sehr effizient Selbstbilder von Frauen vermittelt haben. Über die Menge und die Merkmale dieser Schriften kann aber bis jetzt nur spekuliert werden. Hier klaffen Forschungslücken. Erst auf einer breiten Quellenbasis lässt sich auch nachweisen, inwiefern die konventionellen Gattungskriterien, die aus einer Männerperspektive entwickelt wurden, den Blick auf autobiographisches Schreiben von Frauen verstellten und wie unterschwellige Abwertungen funktionierten.

Das Preisgeld diente dem Aufbau der Sondersammlung Autobiographien von Frauen, die in der Universitätsbibliothek der Freien Universität zugänglich sein wird. In erster Linie wurden vergriffene Bücher über den Antiquariatsbuchhandel beschafft. Bücher, die nur noch über den Fernleihverkehr zu erhalten sind, wurden kopiert oder mikroverfilmt. Das ist auch aus konservatorischen Gründen notwendig, weil viele alte Bücher aufgrund der schlechten Papierqualität in ihrem Bestand bedroht sind. Von zahlreichen autobiographischen Kleinformen, die verstreut als Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken veröffentlicht worden sind, wurden Fotokopien hergestellt.

Diese Sondersammlung stellt die Quellen für künftige Forschungen zur Verfügung und ist als Kern einer Arbeitsstelle zur Autobiographieforschung geplant. Zu deren Zielen gehören die Vervollständigung der Sammlung und die weitere Erschließung dieser Schriften, die Unterstützung von Qualifikationsarbeiten und von Projekten.

Die Laudatio mit dem Titel „Verschlungene Wege“ hielt Prof. Dr. Angelika Schaser (Historikerin).