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Woody Allens Wegbereiter

Jüdischer Humor gilt als kompliziert und scharfsinnig.Was ihn vor allem ausmacht, ist die Kunst, über sich selbst zu lachen.So kann sich auch der Talmud einige ironische Seitenhiebe auf die Bibel nicht verkneifen

Von Tal Ilan

Es ist bekannt, dass Juden einen Sinn für Humor haben. Weltbekannte Komiker wie Woody Allen, Mel Brooks und Jerry Seinfeld sind Juden. Bedeutende humoristische Schriftsteller sind Juden, zum Beispiel Ephraim Kishon. Viele halten jüdischen Humor für kompliziert und scharfsinnig. Juden können über sich selbst lachen. Dies wird fälschlicherweise ihrer Diaspora-Existenz zugeschrieben, deretwegen das Bedürfnis bestehe, das harte Leben, welches ihnen dort aufgezwungen werde, ertragbar zu machen.

Viele moderne Juden, besonders in Israel, zermartern sich den Kopf angesichts der Frage, ob die Rückkehr der Juden in ihr Land zur Verschlechterung des jüdischen Humors beigetragen habe. Sie sind besorgt, dass die patriotisch-nationalistischen Juden jetzt ihren einzigartigen Sinn für Humor und ihre Fähigkeit verloren haben könnten, über sich selbst zu lachen. Ist dem tatsächlich so? Ist es überhaupt möglich, solche Befürchtungen zu beurteilen? – Als Historikerin ist man nicht darauf spezialisiert, die Zukunft vorauszusagen und auch kaum imstande, zulässige Aussagen über die Gegenwart zu treffen. Aber die Frage, woher der jüdische Humor stammt, wo und wie er anfing, liegt sicherlich im Interessensspektrum der Historiker.

Die Quelle jeder jüdischen Tradition ist in der Bibel zu finden. Die Bibel selbst aber ist völlig frei von Humor, insbesondere die ersten fünf Bücher Moses. Aus diesem Grund ist es angebracht, auf der Suche nach der Quelle des jüdischen Humors in die Literatur zu schauen, die in nachbiblischen Zeiten verfasst wurde – in der Zeit, als die Juden die Literatur niederschrieben, die als Talmud bezeichnet wird.

Der Talmud kennt die Bibel und betrachtet sie als unterhaltsam. Die Witze, welche die talmudischen Rabbiner über die Bibel erzählten, sind noch heute lebendig. Hier ist dafür ein wohlbekanntes Beispiel: „Nachdem Gott die Thora (Lehre) geschrieben hatte, suchte er nach einem Volk, dem er sie geben konnte. Er wandte sich an die Italiener und fragte sie, ob sie sie wollten. Als sie aber entdeckten, dass die Thora das Verbot des Diebstahls beinhaltete, wiesen die Italiener sie zurück. Daraufhin wandte Gott sich an die Franzosen. Als diese feststellten, dass das Verbot des Ehebruchs enthalten war, wiesen auch sie die Thora zurück. Dann wandte er sich an die Deutschen, aber diese weigerten sich ebenfalls, sie anzunehmen, als sie hörten, dass das Verbot des Mordens darin enthalten war.“ – Der Witz geht eigentlich weiter, doch bereits an dieser Stelle ist er lustig. Es werden stereotype Meinungen über andere Völker abgebildet: Die Italiener gelten als Diebe, die Franzosen als Lustmolche und die Deutschen als Mörder (insbesondere nach dem Holocaust).

Der gleiche Witz wird im Talmud berichtet, allerdings sind die darin erwähnten Völker andere. Es wird erzählt, dass Gott sich zuerst an die Ismaeliten wendete – die Söhne Ismaels, Abrahams Erstgeborenem, der im Allgemeinen sowohl von Juden als auch von Arabern als Vater der Letzteren betrachtet wird. Sie weigern sich aber, das Verbot des Diebstahls zu akzeptieren, da Ismael in der Bibel als jemand beschrieben wird, der seine Hand immer nach dem Eigentum anderer ausstreckt. Hierauf wendet sich Gott an die Ammoniter, nach welchen die Stadt Amman benannt ist. Diese weigern sich aber, die Ehebruchklausel aufzunehmen, da die Bibel lehrt, dass die Ammoniter ein Resultat der Unzucht ihrer Mutter und deren Vater, dem biblischen Lot, sind. Letztendlich wendet sich Gott an die Edomiter – die Kinder Esaus, Israels Bruder – und fragt sie, ob sie die Thora wollen; diese weisen sie aber aufgrund der Mordklausel zurück.

Als Isaak Esau in der Bibel segnet, sagt er ihm, dass er von seinem Schwert leben werde. Bei den Rabbinern, die den Talmud verfassten, finden wir hier aber eine raffinierte Anspielung. Zu talmudischen Zeiten waren alle Edomiter zum Judentum übergetreten. Es gab keine echten Edomiter mehr in der Welt. Stattdessen benutzten die Juden diese Bezeichnung für die Römer. Da sie unter römischer Besatzung lebten, die bedrückend und teilweise gewaltsam war, fiel es den Rabbinern nicht schwer, ihre Unterdrücker als Mörder zu bezeichnen. Die Geschichte im Talmud endet damit, dass Gott den Juden seine Thora anbietet, welche diese pflichtbewusst annehmen. Der Witz, so wie er heutzutage erzählt wird, endet aber nicht mit Beleidigungen gegenüber den Nichtjuden und der Einwilligung der Juden. In diesem Witz antworten die Juden, als Gott sie fragt, ob sie die Thora annehmen möchten, mit einer Gegenfrage: „Wieviel kostet sie?“ Als er ihnen sagt, sie sei umsonst, antworten sie mit den Worten: „Sehr gut, dann nehmen wir zwei davon.“ Diese Pointe ist eigentlich eine antijüdische Bemerkung. Sie unterstellt den Juden Habgier und die Liebe zum Geld. Wenn dies ein Witz ist, der von Nichtjuden erfunden wurde, könnte er als antisemitisch betrachtet werden. Wenn er aber jüdischen Ursprungs ist, verweist er umso mehr auf die zusätzliche Fähigkeit der Juden, sich über sich selbst lustig zu machen. Diese zweite Möglichkeit könnte vielleicht als der bekannte jüdische Sinn für Humor verstanden werden. Seine Wurzeln sind schon in der nachbiblischen, jüdischen Literatur zu finden.

— Die Autorin ist Historikerin und Professorin für antikes Judentum am Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin.