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Ein Antibiotikum gegen Depression und eine Datenbank zur Diagnose von Autismus

Forscherteams untersuchen im Rahmen eines deutschlandweiten Netzwerks neue Ansätze in Therapie und Diagnostik

Mediziner der Charité untersuchen in einer klinischen Studie, ob sich das Antibiotikum Minocyclin auch zur Unterstützung der Therapie schwer depressiver Menschen eignet.

Mediziner der Charité untersuchen in einer klinischen Studie, ob sich das Antibiotikum Minocyclin auch zur Unterstützung der Therapie schwer depressiver Menschen eignet.
Bildquelle: photocase/madochab

Die Haut spannt, es drückt. Pickel und Mitesser plagen nahezu jeden Jugendlichen. Bei manchen ist die Akne so ausgeprägt, dass sie medizinisch behandelt werden muss. Minocyclin heißt eines der Mittel, das Hautärzte gern verschreiben, wenn sich die Pusteln und Papeln allzu oft entzünden. Es ist ein Antibiotikum mit breitem Wirkspektrum, entwickelt in den 1960er Jahren, gut erforscht, die Nebenwirkungen bekannt.

Eine dieser Nebenwirkungen könnte nun helfen, schwer depressive Menschen zu heilen. „Aus Laborversuchen mit Mäusen wissen wir, dass Minocyclin die Wirkung klassischer Antidepressiva positiv beeinflusst“, sagt Professorin Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité am Campus Benjamin Franklin.

Im Rahmen des „Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in den kommenden vier Jahren mit insgesamt bis zu 35 Millionen Euro gefördert wird, wollen die Mediziner der Charité nun in einer klinischen Studie überprüfen, ob sich das Antibiotikum auch zur Unterstützung der Therapie schwer depressiver Menschen eignet.

Vereinfacht gesagt erkranken Menschen an einer Depression, wenn die Hormone in ihrem Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten. Bei der Regulation spielen vermutlich körpereigene Botenstoffe eine Rolle, die sogenannten Zytokine. Seit Langem ist bekannt, dass diese Stoffe auch das Immunsystem regulieren und Einfluss auf die Abläufe im Gehirn haben.

Den Hormonspiegel im Gehirn normalisieren

Bei schweren Depressionen jedoch werden vermehrt Zytokine ausgeschüttet. Ein Ansatz in der Forschung war es deshalb, Medikamente zu finden, die die überschüssigen Zytokine im Körper abbauen und so helfen, den Hormonspiegel im Gehirn zu normalisieren. Dabei wurden Forscher auf das Akne-Antibiotikum aufmerksam, das offenbar mit den körpereigenen Zytokinen reagiert.

„Klinisch wurde bislang nur die Wirkung von Minocyclin bei der Behandlung von schizophrenen Patienten untersucht. Unsere Studie ist weltweit die erste, die sich mit dem Einsatz bei der Therapie von Depressionen befasst“, sagt Isabella Heuser-Collier. Dabei soll das Antibiotikum neben klassischen Antidepressiva verabreicht werden und so deren Wirkung verbessern.

Die Charité arbeitet dabei mit fünf weiteren Universitätskliniken in Deutschland zusammen – insgesamt sollen 250 Patienten in die Studie einbezogen werden, etwa 50 davon in Berlin. „Wahrscheinlich im kommenden Frühsommer werden wir den ersten Patienten mit dieser neuen Therapieform behandeln“, sagt die Medizinerin. Ein zweiter Forschungsverbund innerhalb des vom Ministerium geförderten Netzes untersucht den Einsatz von elektrischer Energie in der psychotherapeutischen Behandlung. „Wir wissen, dass sich die Stirnlappen durch elektrische Impulse stimulieren lassen und so die Lernfähigkeit verbessert wird“, sagt Professor Malek Bajbouj, Leiter des Bereichs Affektive Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. „Insbesondere das emotionale Lernen kann auf diese Weise beeinflusst werden.“

Forscher entwickeln neues Screening für Autismus

Die Ströme, die dabei fließen, sind für die Studienteilnehmer nicht spürbar. Dass sie das Empfinden verändern, lässt sich aber in Versuchen nachweisen. In einem Test wurden Probanden in zufälliger Abfolge Bilder gezeigt, die positive, neutrale oder negative Assoziationen hervorriefen. Später sollten alle Motive genannt werden, an die sich die Probanden erinnern konnten. Teilnehmer, deren Gehirn dabei durch elektrische Reize stimuliert wurde, merkten sich dabei mehr positiv besetzte Bilder als die Teilnehmer in der Vergleichsgruppe ohne Stimulation. „Möglicherweise lässt sich dieser Effekt auch bei der Behandlung von Depressionen im Rahmen der Psychotherapie nutzen“, sagt Malek Bajbouj.

Eine Studie, an der insgesamt fünf Kliniken beteiligt sind, soll nun im Rahmen von Gruppenbehandlungen zeigen, ob diese Anwendung medizinisch sinnvoll ist. Die teilnehmenden Patienten tragen während der Gruppentherapie Stirnbänder – die Hälfte von Ihnen mit funktionierenden Elektroden, die andere Hälfte bekommt Attrappen als Placebo. Es ist die weltweit erste Studie, die den Einsatz von Gleichstrom in der Psychotherapie untersucht. Bajbouj rechnet damit, dass in zwei Jahren erste Ergebnisse vorliegen, insgesamt ist das Projekt auf vier Jahre angelegt.

Ein neues Screening soll helfen, Autismus zu erkennen

Im Mittelpunkt eines dritten Projekts innerhalb des Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen steht die Diagnostik von Autismus. Geleitet wird das Projekt von Oberarzt Stefan Röpke, verantwortlich für den Bereich Persönlichkeitsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörung sowie die Autismus-Ambulanz der Charité am Campus Benjamin Franklin. „Herkömmliche Tests, um Autismus zu erkennen, dauern mehrere Stunden, und es gibt keine guten Screening-Verfahren“, sagt Röpke. „Wir wollen ein neues Screening entwickeln, das es Hausärzten und Psychotherapeuten ermöglicht, die Verdachtsfälle mit hoher Zuverlässigkeit zu überprüfen.“

Dabei helfen soll eine Datenbank, die mehr als 10 000 Patientendaten enthält. „Wir versuchen, Eintragungen zu identifizieren, die sehr spezifisch für die Erkrankung sind“, sagt Röpke. In Berlin befassen sich die Forscher dabei mit Autismus im Erwachsenenalter, während Mediziner in Marburg und in Dresden Fälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untersuchen. Außerdem sollen die Wirkmechanismen der Krankheit untersucht und der Einfluss der Gene genauer verstanden werden. Hierzu arbeitet die Charité mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zusammen.