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Sattelfest und artgerecht

19.02.2014

Eine große Reithalle gehört zum Kompetenzzentrum für Pferdezucht und –wissenschaften der Freien Universität im brandenburgischen Bad Saarow.

Eine große Reithalle gehört zum Kompetenzzentrum für Pferdezucht und –wissenschaften der Freien Universität im brandenburgischen Bad Saarow.
Bildquelle: Jan Hambura

Die Freie Universität Berlin eröffnet in Bad Saarow ein Kompetenzzentrum für Pferdezucht und -wissenschaften

„Die Infrastruktur hier ist paradiesisch“, sagt Johannes Handler. Für seine Euphorie gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der Professor der Freien Universität Berlin für Reproduktionsmedizin und bildgebende Verfahren beim Pferd leitet seit Kurzem eine modern ausgestattete Service-Einrichtung für Reproduktion, die die Hochschule am Silberberg 1 in Bad Saarow betreibt. Damit wird das Spektrum der Leistungen deutlich erweitert, die die Klinik für Pferde, allgemeine Chirurgie und Radiologie des Fachbereichs Veterinärmedizin am Standort Berlin-Düppel anbietet: Das Anwesen in dem idyllischen brandenburgischen Kurort umfasst eine von der Europäischen Union zertifizierte Besamungs- und Embryonentransferstation.

Das Areal bietet dem Team von Johannes Handler – und den hier betreuten Pferden – ideale Bedingungen: Angeboten werden können beispielsweise weitere Dienstleistungen für Pferdebesitzer, etwa die Ausbildung von Pferden, insbesondere Jungtieren. Von Oktober an werden in Bad Saarow auch Teile des Bachelorstudienganges Pferdewissenschaft gelehrt, den die Freie Universität erstmals anbietet.

Eine wichtige Komponente des Curriculums ist das Erlernen eines artgerechten Umgangs mit dem Tier. So widmen die Studierenden die mit Abstand meiste Zeit ihrer Ausbildung dem Verhalten des Pferdes – der Ethologie – und der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Veterinärmediziner Handler, im Jahr 2009 an die Freie Universität berufen, sieht hier den Schlüssel für das Gelingen einer Partnerschaft mit den Tieren: „Wenn junge Pferde von Menschen zu einem Nutztier ausgebildet werden – ob zu einem Reit-, Freizeit-, Sport- oder Zuchttier –, werden noch immer häufig Fehler gemacht. In unserer Ausbildung verfolgen wir dagegen den Ansatz, Pferde für eine Aufgabe zu gewinnen.“

Initiator und Leiter: Die Professoren Leo Brunnberg (rechts) und Johannes Handler.

Initiator und Leiter: Die Professoren Leo Brunnberg (rechts) und Johannes Handler.
Bildquelle: Jan Hambura

Ziel sei es, mit den Tieren so zu kommunizieren, dass sie selbst lernten, auf die vom Menschen gewünschte Weise zu reagieren und dessen Wünsche zu erfüllen. Ebenso wichtig sei es, die Körpersprache zu lesen, mit denen Pferde ihr Befinden zeigten – etwa durch die Stellung der Ohren, des Kiefers, des Schweifes oder durch Laute. „In der Regel liegt es an einem falschen Umgang, wenn Pferde in bestimmten Situationen scheuen oder sich nicht verladen lassen.“

Mit dem Nutzungskonzept aus Forschung, Dienstleistung und Ausbildung, die allesamt dem pferdegerechten Umgang verpflichtet sind, überzeugte die Freie Universität die Besitzerin des Areals, die Geschäftsführerin der Scharmützelsee Golfhotel- und Sportanlagen GmbH, Ulrike Haselsteiner. Sie ist Ehefrau des früheren Vorstandsvorsitzenden des Baukonzerns STRABAG, Hans Peter Haselsteiner. Pferde liegen ihr sehr am Herzen, und sie ist leidenschaftliche Reiterin. „Mir ist es wichtig, dass die Ausbildung in artgerechtem Umgang mit Pferden wissenschaftlich etabliert wird“, sagt Ulrike Haselsteiner. „Dieses Ziel verfolgt die Freie Universität.“

Ulrike Haselsteiners tierfreundliche Haltung spiegelt sich in der Ausstattung der zehn Nutzungs- und Wirtschaftsgebäude sowie Stallungen und Außenanlagen auf dem 13 Hektar großen Areal wider, die in den neunziger Jahren entstanden. Sie sind auf das Wohl der Vierbeiner – und deren Umgang mit Zweibeinern – zugeschnitten. So beugen in den Ställen trittgedämmte Böden und hochwertige Boxengatter der Verletzungsgefahr vor, und Tageslicht strömt durch die Kuppeln im Dach. In einer überdachten Führmaschine – einer Art Drehtür für Pferde – lassen sich vier Tiere gleichzeitig in beliebigem Tempo bewegen. Und aus den Ställen in die etwa 1600 Quadratmeter große Reithalle gelangen die Pferde trockenen Hufes.

Einer der drei Hengste, der zur Pferdereproduktion eingesetzt wird, ist das Deutsche Sportpferd Vulkato.

Einer der drei Hengste, der zur Pferdereproduktion eingesetzt wird, ist das Deutsche Sportpferd Vulkato.
Bildquelle: Björn Schroeder

Die Idee, den Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität um den Standort in Bad Saarow zu erweitern und mit den österreichischen Mäzenen Ulrike und Hans Peter Haselsteiner über eine Nutzung zu verhandeln, hatte dessen langjähriger Dekan, Professor Leo Brunnberg: „Ein solch breitgefächertes Angebot wie in Bad Saarow hätten wir in Düppel aus Platzgründen nicht anbieten können“, sagt Leo Brunnberg. „Ich bin sehr froh, dass wir diese exzellente Einrichtung für den Studiengang Veterinärmedizin nutzen können.“ Über eine solche Infrastruktur verfüge keine Universität weltweit.

Auch die Reproduktionsmedizin in Bad Saarow ist vollends dem artgerechten Umgang mit Pferden verschrieben, selbst wenn es nicht sofort einleuchtet, wieso Hengste um die Erfahrung eines Natursprungs gebracht werden – also um eine Paarung mit einer Artgenossin: Ein „Absamen“ in der von der Europäischen Union zertifizierten Reproduktionsstation erspart es den Tieren, zur Begattung von Stuten in andere Länder transportiert zu werden. Statt der Hengste gehen also Portionen von deren Sperma auf Reisen – streng nach Gütekriterien geprüft und auf Erreger von Tierseuchen untersucht, abgefüllt in Plastikhalmen und bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff gekühlt. Die Spezialcontainer fliegen ins europäische Ausland, in die USA, nach Australien und in die arabische Welt.

In Bad Saarow wiederum werden Stuten befruchtet mit Sperma von Hengsten, den Züchter bestellt haben. Die künstliche Besamung von Pferden ist mittlerweile fast die Regel, nur bei wenigen Rassen schreiben Richtlinien den Natursprung vor. Die Schritte des „Besamungsmanagements“, das in Bad Saarow Züchtern angeboten wird, sind umfassend und eine Wissenschaft für sich: Das gewonnene Sperma muss im Labor untersucht werden und strengen Gütekriterien genügen. Vor dem Verschicken wird das Ejakulat unter anderem verdünnt und veredelt, um Erhalt und Schutz der Spermien während des Transports sicherzustellen. Der Aufwand lohnt – der Handel mit dem Erbgut edler Zuchttiere ist für deren Besitzer ein gutes Geschäft: Decktaxen von mehreren tausend Euro seien keine Seltenheit, sagt Johannes Handler.

Dienstleistung für Pferdebesitzer, Forschung, Lehre und Weiterbildung sind in Bad Saarow eng miteinander verwoben. Die Module des Studiengangs umfassen neben dem Wissen darüber, wie Pferde artgerecht trainiert und als Nutztier gehalten werden, die naturwissenschaftlichen und landwirtschaftlichen Grundlagen.

Weitere Lehreinheiten sind der Pferdezucht gewidmet, der Gesundheitslehre sowie den Themen Wirtschaft und Recht. Vorlesungen finden überwiegend in Düppel statt; Blockseminare und praktische Übungen in Kleingruppen in Bad Saarow. Dafür werden dort 20 bis 30 Lehrpferde gehalten – überwiegend Tiere der Rasse Haflinger und Warmblut. Genutzt werden können zudem ein modernes Ausbildungszentrum, die Reithalle mit Tribüne, Stallungen, Longier- Ringe und Reitplätze. Auch an Pferdepatienten werden die Studierenden geschult, beispielsweise bei der Überwachung von Geburten oder bei der Behandlung von Erkrankungen der Fortpflanzungsorgane.

Voraussetzungen für eine Bewerbung um einen der pro Jahr 30 Plätze im Studiengang sind das Abitur und Erfahrungen im Umgang mit Pferden, beispielsweise durch eine Reitausbildung. Die Ausschreibungsfrist beginnt im Juni. Ein Service für Studenten mit eigenen Pferden: Sie können ihr Tier für die Dauer des sechssemestrigen Studiums in Bad Saarow einstellen. Die Ausbildung in dem Studiengang sei ebenso facettenreich wie der Arbeitsmarkt für Absolventen, sagt Johannes Handler.

Das Studium befähige etwa für eine Tätigkeit in Gestüten, im Pferde- Event-Management, in Zuchtorganisationen und bei Fachzeitschriften. „Die Pferdewirtschaft ist noch immer eine Wachstumsbranche. Doch wenn man einen Pferdebetrieb erfolgreich führen will, muss man fachlich fest im Sattel sitzen.“ Durch die Einrichtung in Bad Saarow wird die Freie Universität in der Reproduktionsmedizin und der Ausbildung im artgerechten Umgang mit Pferden bundesweit zu einem Schwergewicht.

Weitere Informationen

Pferdezentrum Bad Saarow