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Ulrichs, Kuhn, Hahn: Mögliche Gefahren durch Bioterrorismus

Mögliche Gefahren durch Bioterrorismus

Die Bedrohung durch vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen und anderer Agenzien

von Timo Ulrichs, Jens Kuhn und Helmut Hahn

Im 21. Jahrhundert stellt der Terrorismus eine große Herausforderung für die Sicherheit dar. Dabei spielt die Bedrohung durch vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen und biologische Agenzien eine entscheidende Rolle. Zwar gab es bisher glücklicherweise noch keine nennenswerten Verluste durch „Bioterrorismus“. Spätestens jedoch seit den Attacken mit Milzbranderregern, die den Anschlägen vom 11.September 2001 unmittelbar folgten, ist eine mögliche Bedrohung auch unserer Gesellschaft in unser Bewusstsein gerückt. Dabei ist die Bedrohung nicht neu: Biowaffen wurden bereits vor der Ära der Gentechnik und auch vor dem Zeitalter der Mikrobiologie eingesetzt. Wo immer biologische Waffen in der Geschichte zum Einsatz kamen, verbreiten sie Angst und Schrecken und bringen für die betroffenen Menschen starke gesundheitliche, psychologische, gesellschaftliche und politische Auswirkungen mit sich.

Einer der ersten Fälle des Gebrauchs von Biowaffen reicht bis ins Mittelalter zurück. Demnach sollen die Tataren bei der Eroberung der Stadt Caffa, einem genuesischen Außenposten auf der Insel Krim, durch die Katapultierung von Pestleichen über die Befestigungsanlagen den „schwarzen Tod“ in der Stadt verbreitet haben. Dabei ist nicht auszuschließen, dass der mörderische Siegeszug der Pest durch Europa dort seinen Ursprung hatte. Zum ersten geschichtlich belegten Einsatz von biologischen Waffen kam es im Rahmen der Eroberung der „neuen Welt“: Häuptlinge verfeindeter Indianerstämme bekamen von den Briten Wäsche aus einem Pockenkrankenhaus geschenkt, mit der eindeutig protokollierten Erwartung, „dies werde den gewünschten Effekt haben“ (Erhard Geißler: „Schwarzer Tod und Amikäfer“).

Zu einer weiteren Anwendung biologischer Kriegsführung kam es während des Ersten Weltkriegs: Mindestens in Argentinien, Spanien und Rumänien wurden Milzbrand- und Rotzerreger gegen Nutztiere eingesetzt. Geplant und abgesegnet wurden diese Aktionen von oberster Stelle – vom deutschen Generalstab. In der Zeit nach 1918 setzte sich eine biologische Rüstungsspirale in Gang. Angetrieben durch, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, falsche Geheimdienstberichte über entsprechende Aktionen in den feindlichen Ländern starteten nacheinander Frankreich (1922), die UdSSR (1926) oder Japan (1932) mit zum Teil verheerenden Folgen eigene B-Waffen-Programme: Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise fielen der japanischen biologischen Kriegsführung schätzungsweise 270.000 Chinesen zum Opfer – bis heute eine Belastung des japanisch-chinesischen Verhältnisses.

Genfer Biowaffen-Konvention

Nach diesen Erfahrungen entstanden weltweit Bemühungen, biologische Waffen grundsätzlich zu ächten. Sie fanden Ausdruck in der 1972 von 143 Staaten unterzeichneten Genfer Biowaffenkonvention. Doch die Konvention ist bis heute ein eher schwammiges Vertragswerk, das den Unterzeichnerstaaten durch die Erlaubnis von aktiver Forschung zu B-Schutz-Aktivitäten auch das Erlangen von offensivem Know-how und Potential ermöglicht. Ein Entwurf, der die Überwachung jener Biowaffen-Konvention hätte regeln sollen, wurde 2001 durch die USA abgelehnt. Als dort jedoch im Oktober und November 2001 Briefe mit Milzbrandsporen gefunden wurden, entstand ein Klima der Hysterie und Massenpanik. So provozierte im Herbst 2001 jede Art von weißem Pulver ein Großaufgebot an Sicherheitskräften, die jedoch in fast jedem Fall nur Backpulver, Kalk oder Puderzucker auffanden.

Die Zahl der Todesopfer und Erkrankten blieb aber glücklicherweise relativ gering: Durch die so genannten „Anthrax-Briefe“ starben fünf Personen, 23 weitere infizierten sich. Etwa 32.000 Menschen wurden prophylaktisch mit Antibiotika behandelt beziehungsweise begannen, sich ohne ärztlichen Rat selbst zu behandeln. Mancherorts waren daraufhin komplette Apothekenbestände innerhalb weniger Tage ausverkauft. Die Bedrohung durch Bioterrorismus wurde in dieser Zeit durchaus als real wahrgenommen. Wenn Menschen sich nicht mehr trauten, ihre Post zu öffnen, oder die amerikanische Post Richtlinien zum Umgang mit verdächtigen Sendungen publizierte, so rechtfertigt dies die Bezeichnung Bio-Terrorismus für das absichtliche Ausbringen von gefährlichen Krankheitserregern mit dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. Von wem letztlich die Anschläge verübt wurden und welche Motivation dahinter steckte, ist laut Aussagen des FBI noch bis heute völlig unklar.

Das dreckige Dutzend

Neben den Milzbranderregern gibt es noch mehr als 100 weitere Erreger, Toxine und biologische Agenzien mit Eigenschaften, die für Militärs und leider auch Terroristen interessant sind. Zwölf davon, das „dreckige Dutzend“, werden als sehr wahrscheinliche Ausgangstoffe zukünftiger B-Waffen gehandelt. Zu den bakteriellen B-Waffenerregern zählen Bakterien, die sich leicht züchten lassen und äußerst stabile Sporen bilden, etwa Bacillus anthracis, der Erreger des Milzbrandes. Milzbranderreger können über die Haut, die Lunge oder den Darm aufgenommen werden und sich dort bereits im Gewebe vermehren und lokale Zellstörungen verursachen.

Bakterien

Viren

Toxine

Milzbrand

Pocken

Rizin

Pest

Enzephalitis-Viren

Botulinustoxin

Tularämie                                   

Ebola, härmorrhagische Fieberviren

Enterotoxin B                          

Brucellose

 

 

Q-Fieber

 

 

Rotz, Melioidose

 

 

Hautmilzbrand führt zu schweren lokalen Schädigungen (schwarz, daher die Bezeichnung Anthrax), von wo aus die Erreger auch generalisieren können. Eine Milzbrandsepsis führt schnell zum Tod. Ähnlich schlecht sind die Prognosen bei Lungen- oder Darmmilzbrand.

Andere Bakterien, wie die Erreger des Q-Fiebers (Coxiella burnetii) werden durch die Luft übertragen. Es kann sich eine gutartige Pneumonie (Lungenentzündung), eine Gehirnentzündung oder eine Hepatitis ausbilden. Bei chronischen Verläufen des Q-Fiebers kommt es in erster Linie zur Endokarditis (einer Entzündung der Herzinnenhaut, die zu Herzklappenfehlern führt). Auch die Hasenpest-Erreger (Francisella tularensis) können, ohne Sporen zu bilden, wochenlang in Boden, Wasser und Leichen überleben. Francisella tularensis kann den Menschen über mehrere Infektionswege befallen: Durch Inhalation von Aerosolen, durch kontaminiertes Wasser, Vektoren (infizierte Insekten) oder Hautkontakt. Dabei genügen schon 50 bis 100 Erreger. Die Tularämie hat zwar eine geringe Sterberate (fünf Prozent bei unbehandelten Patienten), beeinträchtigt aber das Allgemeinbefinden sehr stark und spielt deshalb in den Biokampfstoff-Arsenalen als so genanntes „incapacitating agent“ eine Rolle.

Dies gilt auch für die Erreger der Brucellose (Brucella melitensis). Zwar können die Erreger einen Menschen unter anderem in Form von Aerosolen infizieren, jedoch liegt hier die Sterblichkeit einer unbehandelten Erkrankung bei etwa zwei Prozent.

Bakterien

Anders ist es bei den Erregern der Rotz (Burkholderia mallei) und Melioidose (Burkholderia pseudomallei). Beide Erreger können über Aerosole eingeatmet werden und so die Lungen befallen. Gelangen die Erreger in die Blutbahn, kann es zu Abszessbildung in den Organen kommen. Die Sterblichkeit einer unbehandelten Infektion liegt bei 90 Prozent. Rotz hat eine Inkubationszeit von ein bis fünf Tagen, die Melioidose kann erst nach Jahren ausbrechen und wird deshalb als „time bomb disease“ bezeichnet.

Unter den bakteriellen Infektionskrankheiten ist die Pest als besonders gefährlich einzustufen. Bei einer Infektion eines Menschen mit Pesterregern, Yersinia pestis, kommt es zur Bildung einer schmerzhaften Beule (Primäreffekt), vornehmlich in der Leiste oder unter der Achsel, die durch Schwellung der Lymphknoten verursacht wird. Sobald die Filterkapazität der Lymphknoten überschritten ist, gelangen die Erreger in die Blutbahn. Die Folge ist eine Pestsepsis. Hämatogen werden Leber, Milz und die Lungen befallen. Kommt es zu einem Befall der Lungen, tritt die sekundäre Pestpneumonie auf, die eine gefährliche Infektionsquelle darstellt („Pesthauch“). Nun können die Erreger ausgehustet und auf andere Menschen übertragen werden. Es kann sich eine primäre Pestpneumonie entwickeln. Die Inkubationszeit beträgt bei einer Infektion über Ektoparasiten (den Überträgern der Pest, den Rattenflöhen) zwei bis sechs Tage, bei Lungenpest wenige Stunden. Unbehandelt liegt die Sterblichkeit für Beulenpest bei 30 bis 40 Prozent. Eine Pestsepsis kann bei beiden Infektionsarten entstehen. Sie führt innerhalb von ein bis zwei Tagen immer zum Tod. Eine Schutzimpfung mit Totvakzinen ist zwar möglich, sie ist jedoch nicht sicher und kann die Pestpneumonie nicht verhindern. Diese Tatsache macht die Pest zu einer biologischen Waffe mit potentiell verheerenden Folgen, da bei einer primären Pestpneumonie die Möglichkeit der aerogenen Übertragung der Erreger besteht.

Toxine

Auch Toxine können als Kampfstoffe eingesetzt werden. Zum dreckigen Dutzend werden das Rizin, Staphylokokken-Enterotoxin B (SEB) und das Botulinustoxin gezählt. Das Toxin Rizin wird aus der Christuspalme (Ricinus communis) gewonnen. Rizin hemmt die Proteinbiosynthese, indem sich das Toxin an die Ribosomen anlagert. Als Aerosol aufgenommenes Rizin kann Husten und Dyspnoe auslösen. Höhere Dosierungen verursachen Lungenödeme, Sauerstoffmangel im Gewebe und Atemnot. Eingenommenes Rizin löst innere Blutungen aus, wobei schon 0,25 Milligramm tödlich wirken.


Bedrohung durch vom Menschen freigesetzte Infektionserreger; Abbildung: Ulrichs

Das SEB wird von Staphylococcus aureus gebildet, Eitererreger, die überall verbreitet sind. Bei Intoxikation entwickeln sich akuter wässriger Durchfall und Komplikationen wie Kreislaufschock und Blutungsneigung. Die Wirkung beruht auf Überaktivierung des Immunsystems. Das Gift ist sehr hitze- und aerosolstabil und wird deshalb als Biokampfstoff betrachtet.

Das Botulinustoxin ist eine der giftigsten Substanzen, die heute bekannt sind. So würden bereits 50 Gramm ausreichen, um die gesamte tägliche Wassermenge der Stadt Berlin von etwa 500.000 Kubikmetern zu verseuchen. Das Toxin wird von dem Bakterium Clostridium botulinum gebildet. Die Wirkung beruht auf der Hemmung der Freisetzung von Acetylcholin an der synaptischen Membran und damit der Reizweiterleitung. Durch die Acetylcholinfreisetzung entstehen schlaffe Lähmungen, die wiederum zum Erstickungstod führen, wenn sie die Atemmuskulatur betreffen.

Viren

Filoviren (Ebola- und Marburgviren) werden über sehr engen Köperkontakt mit infizierten Menschen übertragen, vor allem über Körperflüssigkeiten. Die Erreger lösen hämorrhagische Fieber aus. Im Krankheitsverlauf treten Erbrechen, Durchfall, Magenkrämpfe und starke Brustschmerzen auf. Es kommt zu starken Gerinnungsstörungen und die Patienten beginnen, überall zu bluten. Der Tod tritt meist um den neunten Krankheitstag durch Multiorganversagen ein. Eine Gehirnhautentzündung kann durch unterschiedliche Viren ausgelöst werden, zum Beispiel durch Flaviviren (Japanisches Enzephalitisvirus) oder durch die drei verschiedenen Pferdeenzephalitiserreger (EEEV, WEEV, VEEV), die zur Gruppe der Alphaviren gehören. Einer Infektion folgt jedoch nicht immer eine Enzephalitis. So entwickelt sich bei zwei Prozent der infizierten Kinder und etwa 0,1 Prozent der Erwachsenen eine Enzephalitis, davon etwa drei bis sieben Prozent mit schweren Verläufen. Viren, die hämorrhagische Fieber oder Enzephalitiden verursachen, eignen sich nur bedingt zum Einsatz, da die betroffenen Patienten meist schwer krank sind und daher die Seuche nur begrenzt weiterverbreiten können. Anders einzuschätzen wäre eine Attacke mit Pockenviren.

Durch ein von der Weltgesundheitsorganisation 1967 weltweit gestartetes Impfprogramm gelang es, die Pocken auszurotten. Die weltweit letzte Erkrankung an Pocken wurde 1977 festgestellt und 1979 für ausgerottet erklärt. Es werden jedoch weiterhin Pockenbestände in zwei Laboratorien aufbewahrt: in den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta und in einem russischen Forschungszentrum in Koltzowo bei Nowosibirsk. Man kann heute nicht mit absoluter Sicherheit sagen, dass nur in den beiden oben genannten Laboratorien Pockenvirenbestände existieren. In Fachkreisen ist über die Zukunft dieser Vorräte ein erbitterter Streit ausgebrochen. Einige Experten sind der Meinung, dass die Pockenbestände in den USA und Russland erhalten bleiben müssen. Als Gründe werden genannt, dass die Möglichkeit bestehe, das Pockenvirus könne durch Mutation aus den harmloseren Affenpocken, Kuhpocken oder Vacciniaviren wieder hervorgehen, da sie sich in ihrer Grundstruktur sehr ähneln. An Pocken gestorbene Menschen könnten auch Ursprung einer wieder auftretenden Epidemie sein, da das Variolavirus in Leichen über mehrere Jahrzehnte hinweg existieren könnte (Bisher ist es allerdings noch nicht gelungen, die verheerenden Pockenviren der Spanischen Grippe aus Leichen der Opfer zu isolieren). Im 18. Jahrhundert soll es schon einmal vorgekommen sein, dass gesunde Menschen sich nach einer Graböffnung eines an Pocken verstorbenen Menschen infizierten, der vor 30 Jahren beerdigt wurde.

Kritiker hingegen sind der Auffassung, dass gerade diese Laboratorien, beispielsweise durch Unfälle, Ursprung neuer Epidemien sein könnten. Außerdem wird die Sicherheit im russischen Labor seit dem Ende der UdSSR in Frage gestellt. Da die ehemaligen Biowaffenlabore in Russland nicht mehr vom Staat unterstützt werden, besteht die Gefahr, dass Fachwissen, eventuell auch Fachpersonal oder auch die Ausrüstung sowie die Erreger selbst in falsche Hände gelangen könnten.

Die Erreger der Pocken gehören zu den Orthopoxviren. Es existieren zwei unterschiedliche Formen der Menschenpocken, die echten Pocken, Variola major, und die weißen Pocken, Variola minor. Die Sterblichkeit bei den echten Pocken liegt bei nicht geimpften Menschen bei 30 bis 40 Prozent. Von den an Weißen Pocken erkrankten Menschen stirbt etwa ein Prozent. Eine mögliche Übertragungsart der Pockenviren ist die Tröpfcheninfektionen, eine weitere die Schmierinfektionen. Für den Einsatz als Waffe wird das Pockenvirus als Aerosol versprüht.

Die Erkrankung beginnt mit einigen uncharakteristischen Beschwerden wie Fieber, Kreuz- und Gliederschmerzen sowie einer Entzündung der Atemwege. Nach einem kurzfristigen Abfall des Fiebers stellen sich typische Hauterscheinungen ein: Zuerst bilden sich blassrote, juckende Flecken, die dann in Knoten übergehen. Aus diesen Knoten wiederum entstehen flüssigkeitsgefüllte Bläschen, die sich zu Pusteln umwandeln. Eine wieder auftretende Pockenepidemie hätte verheerende Folgen, da viele Menschen nicht geimpft sind beziehungsweise der Impfschutz mittlerweile erloschen sein könnte. Außerdem existieren in Deutschland nur begrenzte Mengen des Impfstoffs. Die Bundesregierung hat daher in den letzten Jahren etwa 80 Millionen Dosen des Pockenimpfstoffes gekauft.

Gegenmaßnahmen und Präventionen

Eine Impfung kann noch vier Tage nach erfolgter Infektion verabreicht werden. Die in den USA verübten Anschläge mit Milzbranderregern haben verdeutlicht, dass die Bedrohung durch (bio-)terroristische Anschläge keine Fiktion von Experten mehr ist, sondern Realität. Aus diesen Erkenntnissen haben sich auch in Deutschland Aufgaben des vorbeugenden Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung ergeben, für die es bisher keinen Vergleich und auch keine vorgefertigten Lösungen gab.

Grundsätzlich stellt der Bioterrorismus eine – wenn auch sehr unwahrscheinliche – Bedrohung dar: Es ist bekannt, dass genügend waffenfähige Krankheitserreger vorhanden sind, und genügend Fachleute sind bereit, ihre Kenntnisse im Bereich der Biowaffen gegen finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung zu veräußern. Eine zusätzliche Gefahr geht von terroristischen Gruppierungen aus, die nicht vor einem Einsatz von biologischen Waffen zurückschrecken würden. Der Einsatz dieser Waffen, mit dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten, kann durchaus erfolgreich sein, wie die Anschläge mit Milzbranderregern in den USA zeigten: Um eine Gesellschaft zu terrorisieren und zu lähmen, reicht leider schon Backpulver aus. Die technischen Voraussetzungen für einen großflächigen und massiven Einsatz von biologischen Waffen sind derzeit aber zum Glück nicht gegeben. Die Milzbrandbriefe zeigten jedoch eindrücklich, dass es nur kleiner Anschläge bedarf, um die oben genannten Wirkungen zu erzielen. Das macht den Einsatz einer biologischen Waffe für Terroristen so interessant.


Das Robert-Koch-Institut wäre für ein Competence Center Bioterrorism der ideale Partner; Foto: Wannenmacher

Tritt der höchst unwahrscheinliche Fall einer bioterroristischen Attacke in Deutschland ein, so stellt sich generell die Frage, ob die verantwortlichen Institutionen in Politik, Gesellschaft und öffentlichem Gesundheitswesen auf eine solche Situation angemessen reagieren können. Als problematisch könnte es sich in diesem Zusammenhang erweisen, dass Entscheidungsträger auf allen Ebenen noch nie mit einer bioterroristischen Attacke konfrontiert wurden und nach einem bioterroristischen Anschlag Entscheidungen von der Expertise von Experten der Mikrobiologie und des öffentlichen Gesundheitswesens abhängen. Weitere Risiken sind das Fehlen von wirksamen Antibiotika und Impfstoffen, die wirksame Gegenmaßnahmen stark einschränken, und die unzureichenden Kapazitäten des deutschen Gesundheitssystems im Umgang mit einer rasch benötigten Versorgung einer Vielzahl von Infektionspatienten. Erschwerend hinzu kämen die Kompetenzunsicherheiten zwischen Bund und Ländern sowie innerhalb der Europäischen Union, deren Entscheidungsträger im Ernstfall nicht mit ethischen und verfassungsrechtlichen Fragen vertraut und nach einem bioterroristischen Anschlag auf den Rat von medizinischen und mikrobiologischen Experten angewiesen sind.

Die Rolle der Medizinischen Mikrobiologie

Es wird deutlich, dass der Medizinischen Mikrobiologie beim Umgang mit der Bedrohung durch Bioterrorismus sowie im Ernstfall eine besondere Bedeutung zukommt. Sie kann alle Entscheidungsträger über die Eigenschaften und das Gefahrenpotential möglicher Biowaffenerreger informieren und ihre Fachkompetenz einbringen. Sie kann eine Mittlerrolle zwischen Grundlagenforschung an biowaffenfähigen Erregern und angewandter klinischer Diagnostik, Therapie und Prophylaxe einnehmen. Dies beinhaltet auch eine Koordinierung der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet, zum Beispiel die Einbindung ehemaliger russischer Biowaffenlabors in friedliche, auf Diagnostik und Impfstrategien abzielende internationale wissenschaftliche Kooperationen. Sie kann Studierende und Ärzte ausbilden und sicherstellen, dass auch Entscheidungsträger in der Politik eine Gefahrenlage sicher einschätzen können.

Wir plädieren dafür, in Berlin ein Competence Center Bio-terrorism aufzubauen. Für Berlin als Standort sprechen seine geopolitische Lage, die einzigartige Konzentration von Forschungsinstitutionen für Infektionsimmunologie und die in mehreren internationalen Verbundprojekten eingebundene internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Ein solches Zentrum könnte das Thema Bioterrorismus in die medizinische Ausbildung einbinden und eng mit dem Zentrum für biologische Sicherheit am Robert-Koch-Institut (RKI) bezüglich Koordinierung und Information zusammenarbeiten, sowie den Transfer von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung im Bereich Schnelldiagnostik und Prävention leisten. Die Aktivitäten seitens der Mikrobiologie auf dem Gebiet der vorsätzlich verbreiteten Mikroorganismen sind eingebunden in den Cluster Sicherheit der Freien Universität Berlin.

low probability – high consequences

Grundsätzlich gilt für die Bedrohung durch Bioterrorismus: low probability – high consequences, das heißt die Wahrscheinlichkeit einer drohenden Attacke ist sehr gering, wenn aber eine solche stattfindet, sind ihre Folgen sehr groß. Daher gilt es, sich so gut wie möglich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Bezüglich einer Bedrohung durch Pockenviren sind diese Vorbereitungen weit gediehen: 80 Millionen Impfdosen stehen bereit und es existieren Notfallpläne des RKI, die gesamte Bevölkerung Berlins zu impfen. Ähnliche Konzepte für die Bedrohung durch Anschläge mit anderen Vertretern des „dreckigen Dutzends“ und gentechnisch veränderter Mikroorganismen stehen noch aus.

 

Literatur
  • H. Hahn, D. Falke, S.H.E. Kaufmann, U. Ullmann: Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie; Springer, 5. Auflage 2005
  • E. Geißler: Schwarzer Tod und Amikäfer, eigene Publikation
  • S. Winkle: Geißeln der Menschheit, Komet-Verlag 1998
  • Nature\Vol 411\17 May 2001: The bugs of war; A call to arms; Internet: www.rki.de