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Europa im Fokus

Von A wie Antike bis Z wie Zivilrecht: Europa und seine Mitgliedstaaten spielen an der Freien Universität Berlin eine wichtige Rolle.

12.06.2015

Besonders intensiv beschäftigen sich Forscherinnen und Forscher an den verschiedenen Lehr- und Forschungszentren damit
– etwa am Osteuropa-Institut, dem Italienzentrum oder am neu gegründeten Centrum Modernes Griechenland.

Europa im Blick:  Am Osteuropa-Institut, am Italienzentrum oder am neu gegründeten Centrum Modernes Griechenland wird dazu geforscht.

Europa im Blick: Am Osteuropa-Institut, am Italienzentrum oder am neu gegründeten Centrum Modernes Griechenland wird dazu geforscht.
Bildquelle: istockphoto- fotolia

Im Osten viel Neues: Das Osteuropa-Institut

Von den Folgen der EU-Erweiterung bis zur Ukraine-Krise – der Osten Europas war und ist eine Region im Wandel. Wirtschaftlich und politisch ist diese Dynamik mit vielen Herausforderungen verbunden. Und neuen Forschungsfragen, denen sich das Osteuropa-Institut der Freien Universität widmet.

Der Osten ist in Berlin nicht weit. Weder geografisch noch historisch noch aktuell. Weniger als hundert Kilometer sind es von der Hauptstadt bis zur polnischen Grenze. Erinnerungen an die frühere Teilung Europas in Ost und West finden sich in Berlin allenthalben. Und wenn wissenschaftliche Expertise gefragt ist, zur Ukraine-Krise etwa, zur Rechtslage in Russland oder zur Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten in post-sozialistischen Gesellschaften, dann wird man in Berlin ebenfalls schnell fündig: in Dahlem, am Osteuropa-Institut der Freien Universität.

Das Institut kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1951 wird es es als eine der ersten wissenschaftlichen Einrichtungen der bundesdeutschen Osteuropaforschung eröffnet. Damals beginnen die beiden deutschen Teilstaaten ihren Wettlauf um den wirtschaftlichen Aufschwung. Während im Osten neue volkseigene Betriebe (VEB) gegründet werden und in Eisenhüttenstadt das größte Stahlwerk der DDR entsteht, arbeiten Westdeutschland und Frankreich an der Umsetzung des Schuman- Plans. Die gemeinsame Kontrolle über die Kohle- und Stahlindustrie beider Länder sollte später die Geburtsstunde Europas markieren.

Die Gründung des Osteuropa-Instituts im November 1951 war – wie die Gründung der Freien Universität drei Jahre zuvor –, eine Folgeerscheinung des aufziehenden Ost-West- Konfliktes. Sowohl die Politik als auch Vertreter der Wissenschaft unterstrichen die Bedeutung der Osteuropastudien. „Damals war die Idee eines solchen Instituts durchaus mit dem Ziel der ‚Feindforschung‘ verbunden“, sagt Gertrud Pickhan, Professorin für Geschichte am Osteuropa-Institut und Vorsitzende des Institutsrates. Die Relevanz, die dem Institut damals in der Frontstadt des Kalten Krieges zugestanden wurde, schlug sich unter anderem in der personellen Ausstattung nieder. Auch die multidisziplinäre Struktur war neu für diese Zeit.

Zu den Gründungsabteilungen gehörten die Slawische Philologie, Wirtschaftswissenschaft, Recht und Geschichte. Später folgten Osteuropäische Landeskunde, Bildungswesen, Soziologie und Philosophie, Balkanologie und Medizin. In den 1970er Jahren wurde dann die Grundlage für die umfangreiche Bibliothek des Instituts geschaffen, in der die bis dahin auf die einzelnen Abteilungen verteilten Bestände zusammengefasst wurden. Heute hat die Instituts-Bibliothek einen Bestand von rund 360.000 Bänden, darunter Kostbarkeiten wie seltene Wörterbücher aus dem 18. Jahrhundert. Eine Zäsur brachte das Ende der 80er Jahre und des Kalten Krieges. In den folgenden Jahren änderte sich nicht nur die Wahrnehmung der Länder hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang, sondern auch der Blick auf die Forschung, die sich mit ihnen beschäftigte. Die strategische Erforschung der Länder im Osten verlor politisch an Bedeutung.

Gleichzeitig rückten neue Fragestellungen in den Vordergrund. „Im Zentrum von Lehre und Forschung steht heute die neue Bedeutung Osteuropas als eine diversifizierte und heterogene Region in einer multipolaren Welt“, umschreibt Professorin Pickhan die Ausrichtung des Instituts. In den Abteilungen Geschichte, Politik, Soziologie, Wirtschaft, Jura und Volkswirtschaft bilden Themen mit Bezug zur Gegenwart einen Schwerpunkt. Im Fokus stehen außerdem Forschungsthemen, die mit den Transformationsprozessen in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa und deren historischen Ausgangsbedingungen zusammenhängen. Kulturwissenschaftliche Fragestellungen und die Untersuchung von Konflikten im osteuropäischen Raum, die durch nationalistische Tendenzen einzelner ethnischer Gruppen entstehen, sind weitere Forschungsschwerpunkte.

Ebenfalls um- und ausgebaut wurde das Lehrangebot: Statt des Magisterstudiengangs gibt es nun einen multidisziplinären Masterstudiengang, und mit dem englischsprachigen Masterprogramm „East European Studies“ bietet das Institut seit 2010 einen international einzigartigen Online-Fernstudiengang. Der Standort Berlin ist dabei für Wissenschaftler und Studierende gleichermaßen vorteilhaft, denn auch Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik oder das Deutsch-Russische Forum haben ihren Sitz in der Hauptstadt. Das Institut sei national und international gut vernetzt, sagt Gertrud Pickhan: „Im Gegensatz zum früheren Forschen übereinander geht es jetzt um das Forschen miteinander – also darum, eine gemeinsame Perspektive auf Osteuropa zu entwickeln.“

Das international attraktive Profil des Osteuropa-Instituts dokumentiert sich auch bei den Studierenden der Masterstudiengänge: Sie kommen unter anderem aus Polen, Russland oder Ungarn. Dass vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenherde der Ruf nach gut ausgebildeten Osteuropa-Experten in Politik und Medien laut wird, ist am Osteuropa-Institut deshalb kein Anlass zur Sorge. Der Nachwuchs steht bereit.

Mehr als blühende Zitronen: Das Italienzentrum

Im Deutschen ist die Italiensehnsucht ein stehender Begriff, der untrennbar mit Bildung, Kultur und auch Wissenschaft verbunden ist. Das Italienzentrum der Freien Universität fördert seit seiner Gründung die Zusammenarbeit zwischen deutschen und italienischen Universitäten und Forschern. 

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh‘n“ – die Anfangszeilen aus Goethes „Mignon“ sind längst zum Symbol deutscher Italiensehnsucht geworden, die nicht erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts einen starken Bezug zur Bildung hat. Die zahlreichen Italienreisen deutscher Adeliger, Schriftsteller, Künstler und Gelehrter sind seit der Renaissance bis weit ins 19. Jahrhundert Zeugen einer intensiven intellektuellen Beschäftigung mit der Kultur der Apenninhalbinsel. Heute mag diese Beziehung etwas distanzierter erscheinen – nicht erst seit der Finanzkrise und den wirtschaftlichen Problemen, mit denen die südlichen Länder der Europäischen Union zu kämpfen haben.

Im Bereich Bildung und Wissenschaft ist das Netzwerk dagegen enger denn je. Dazu tragen auch universitäre Einrichtungen wie das 1996 gegründete Italienzentrum der Freien Universität Berlin bei. „Die Freie Universität, die Humboldt-Universität und die Universität Potsdam pflegen in ganz unterschiedlichen Disziplinen seit langem gute Beziehungen zu Universitäten und Forschungszentren in Italien“, sagt Sabine Greiner, die Geschäftsführerin des Italienzentrums. Viele dieser Verbindungen entstanden aus persönlichen Kontakten zwischen deutschen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die mit italienischen Kollegen in transnationalen Projekten gemeinsam forschen.

„Man könnte meinen, es seien vor allem die Geistes- und Kulturwissenschaften, die einen direkten Italienbezug haben – und den haben sie natürlich auch. Es sind aber ebenso die Naturwissenschaften und die Wirtschaftsund Rechtswissenschaften, die intensive Beziehungen zu ihren Kolleginnen und Kollegen in Italien unterhalten“, erzählt Sabine Greiner. In den 90er Jahren entstand die Idee, die Beziehungen mit einer festen Adresse in Berlin zu untermauern und auszubauen. 1996 riefen die Italienische Botschaft und die Freie Universität Berlin das Italienzentrum mit einem gemeinsamen Abkommen ins Leben. Eineinhalb Jahre später war es dann so weit – das neue Zentrum startete mit einem eigenen Programm.

Schon die Auftaktveranstaltung war prominent besetzt. Der italienische Schriftsteller und Philosoph Umberto Eco, dem die Ehrendoktorwürde der Freien Universität verliehen wurde, hielt die Eröffnungsrede. Am Kernauftrag der Einrichtung habe sich seither nichts geändert, sagt Sabine Greiner: „Das Zentrum soll die Lehr- und Forschungsaktivitäten bündeln und ausbauen.“ Anfangs waren das vor allem Kooperationsverträge zwischen dem Italienzentrum und der Universität von Neapel, der Università degli Studi di Napoli Federico II und der Scuola Normale Superiore di Pisa. Heute geht die Zusammenarbeit über die klassischen italienbezogenen Fächer wie Italianistik oder Kunstgeschichte weit hinaus. „Das Italienzentrum unterstützt auch Kontakte zwischen Forschern aus den Naturwissenschaften, der Medizin sowie den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und stellt in seinen Veranstaltungen Forschungsprojekte und -ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen vor“, sagt Sabine Greiner.

So bot das Italienzentrum im vergangenen Sommersemester interessierten Studierenden der Physik, Chemie und Biologie in einem Workshop zum binationalen Austausch in den Naturwissenschaften die Möglichkeit, sich über Studienaufenthalte und Laborpraktika in Italien zu informieren. Im Wintersemester folgten Vorträge über Entwicklungen des italienischen Gesellschaftsrechts sowie des Europäischen Verwaltungsrechts aus deutsch-italienischer Perspektive. Die Zahl der Veranstaltungen ist stetig gewachsen, auch durch die gute Zusammenarbeit mit der italienischen Botschaft und dem Italienischen Kulturinstitut in Berlin.

Das zeigt auch das Programm des Zentrums: In den vergangenen vier Semestern umfasste das Angebot jeweils zwölf bis fünfzehn Veranstaltungen, von der Archäologie bis zur Politikwissenschaft. Gerade hat das Italienzentrum einen Umzug hinter sich – aus der historischen „Villa Milch“ an der Rheinbabenallee in das Zentrum für die Geistes- und Sozialwissenschaften an der Habelschwerdter Allee 45. Eine inhaltliche Veränderung ist mit der neuen Adresse nicht verbunden, nur ein Standortvorteil: Bei der Koordination kommender Veranstaltungen gemeinsam mit anderen Instituten der Freien Universität dürften einige Wege kürzer sein.

Über den antiken Tellerrand: Centrum Modernes Griechenland

Griechenland steht in der Öffentlichkeit vor allem aufgrund seiner finanziellen Situation im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Dass das Land selbstverständlich für weit mehr steht, wird in der Arbeit des Centrum Modernes Griechenland deutlich: Es fördert die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland in Forschung und Lehre.

Wie oft er in den vergangenen Wochen gebeten wurde, zur Wahl in Griechenland Stellung zu nehmen, kann Konstantinos Kosmas nicht exakt sagen. Doch das Interesse der Presse am neu an der Freien Universität Berlin gegründeten Centrum Modernes Griechenland (CeMoG) sei nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Januar schon „sehr rege“ gewesen. „Griechenland ist durch die Wahl und die neue Regierung gerade wieder in den Mittelpunkt der europäischen Aufmerksamkeit gerückt“, sagt der Lehrbeauftragte am Institut für Griechische und Lateinische Philologie der Freien Universität und Koordinator der Einrichtung.

Gerade weil sich die politischen Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland aktuell alles andere als einfach gestalteten, komme dem CeMoG seit seiner Gründung im Sommer 2014 eine besondere Rolle zu. Ein Kind der aktuellen Wirtschaftskrise ist das Zentrum trotzdem nicht. Schon länger schwebte dem Direktor des Instituts für Griechische und Lateinische Philologie an der Freien Universität, Miltiadis Pechlivanos, eine solche Einrichtung vor.

Möglich wurde sie durch die Unterstützung der Stavros Niarchos Foundation. Die nach dem griechischen Reeder benannte Stiftung sichert die Arbeit des CeMoG gemeinsam mit der Freien Universität Berlin für insgesamt acht Jahre. „Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu stärken und auszubauen, im Bereich Kultur und Wissenschaft“, sagt Projektkoordinator Kosmas. Schon im ersten halben Jahr gab es am CeMoG Konferenzen, Workshops und Vorträge. Etwa über Antisemitismus in Griechenland oder das Thema Deutschland und Griechenland im Spiegel der Philosophiegeschichte.

Auch die Zusammenarbeit mit Institutionen wie etwa der Griechischen Kulturstiftung lief an. So unterstützte das CeMoG einen von der Kulturstiftung initiierten Atelierparcours, bei dem die Teilnehmer einen Blick in fünf Berliner Ateliers von bildenden Künstlern griechischer Herkunft werfen konnten. Moderne Literatur aus Griechenland in Deutschland bekannter zu machen, ist das Ziel des Projekts „Edition Romiosini“. „Romiosini“ steht für die griechische Kultur in einer globalisierten Welt und bezieht sich nicht nur auf Griechenland selbst, sondern auch die Griechen im Ausland. Mit dem Editionsprojekt möchte das CeMoG die Arbeit des Kölner Romiosini Verlages fortführen, der sich in den 80er Jahren auf zeitgenössische griechische Literatur spezialisiert hat. Den Verlag gibt es nun eigentlich nicht mehr. Das CeMoG möchte jedoch die Übersetzung griechischer Literatur ins Deutsche fortsetzen, denn unter den Autoren sind bedeutende griechische Dichter wie Giorgos Seferis, Konstantinos Kavafis, Jannis Ritsos oder Odysseas Elytis.

Auch die Werke zeitgenössischer Autorinnen und Autoren sollen mit der „Edition Romiosini“ veröffentlicht und einem größeren Publikum vorgestellt werden. „Das Projekt liegt uns sehr am Herzen, denn es soll deutschen Lesern einen Einblick in die moderne griechische Kultur ermöglichen“, sagt Kosmas. Dafür soll das bestehende belletristische Verlagsprogramm auch um aktuelle Sachbücher erweitert werden. Etwa um Neuerscheinungen zur Politik- und Sozialgeschichte Griechenlands. Zu den geplanten Publikationen zählt etwa das Buch Geschichte Griechenlands nach der Militärdiktatur, 1974-2009. Das Programm der „Edition Romiosini“ wollen die Mitarbeiter des CeMoG auf der nächsten Frankfurter Buchmesse vorstellen. Damit die Publikationen kein Nischendasein fristen und nur Insidern vorbehalten bleiben, sollen die Texte auch online zugänglich sein. „Dadurch demonstrieren wir, dass wir einem zeitgemäßen Konzept folgen und uns nachhaltig um die Verbreitung griechischer Literatur kümmern“, sagt Kosmas.Gleichzeitig sollen die Titel auch als E-Book und als Paperback zu erwerben sein.

Ein weiterer Schwerpunkt des CeMoG wird eine umfangreiche Datenbank über den deutsch-griechischen Wissens- und Kulturtransfer sein. Diese „digitale Wissensbasis“ soll den Stand der Forschung aufbereiten und für alle öffentlich zugänglich sein. In diesem Jahr will das CeMoG sich auch einem bisher kaum erforschten Kapitel der deutsch-griechischen Geschichte widmen: den Griechen in der DDR. „Schon in den 50er Jahren hatte die DDR Kinder und Jugendliche aus Solidarität mit den unter der Militärdiktatur verfolgten griechischen Sozialisten aufgenommen. Über diese Schicksale ist bisher nur wenig geforscht worden“, sagt Kosmas.

Mit gesellschaftlich relevanten Themen aufmerksam zu machen auf die universitäre Forschung und umgekehrt – das möchte das CeMoG auch in Zukunft. Etwa mit einer Podiumsdiskussion zur Parlamentswahl in Griechenland, an der neben Geistes- und Sozialwissenschaftlern auch Ökonomen teilnehmen sollen. Eine Hoffnung der CeMoG-Mitarbeiter ist, dass ihre akademische Arbeit nachwirkt. Auch – und gerade – in Zeiten der Krise.