Afrodeutsche Literatur
Robert Walter-Jochum
Kommentar
Der Begriff „afrodeutsch“ entsteht Mitte der 1980er-Jahre im Rahmen einer feministischen und frühen identitätspolitischen Gruppenbildung im wissenschaftlichen Bereich. Inspiriert von Seminaren der Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde an der FU gaben May Ayim (damals Opitz) und Katharina Oguntoye gemeinsam mit ihrer Professorin Dagmar Schultz 1986 den Band „Farbe bekennen“ heraus. Er kann als Dokument einer Beschäftigung mit den Filiationen afrodeutscher Traditionen gelesen werden, ist aber zugleich auch Zeugnis einer identitätspolitischen Selbstermächtigung sowie einer Auseinandersetzung mit alltäglichem Rassismus in Deutschland und Konflikten innerhalb der Frauenbewegung. Ausgehend von den diese Publikation tragenden Frauen beginnt die afrodeutsche Literaturbewegung der 80er-Jahre, an die bis heute angeknüpft wird – sowohl in theoretisch-identitätspolitischer als auch in literarischer Hinsicht. Mit beiden Zweigen dieser Bewegung – die natürlich ineinandergreifen – wollen wir uns in diesem Seminar befassen. Den Einstieg nehmen wir mit Texten aus „Farbe bekennen“ und solchen Texten Lordes, die als Inspiration für die Bewegung gelesen werden können. Mit der Lyrik May Ayims steigen wir zugleich auch in die literarische Verarbeitung des Themas ein.
Im zweiten Teil des Kurses schauen wir uns genauer an, wie sich die afrodeutsche bzw. Schwarze deutsche Literatur in der Gegenwartsliteratur ausdifferenziert und weiterentwickelt. Dazu gehört einerseits der Blick auf ein theoretisches Anschließen an diese Vorläuferinnen, etwa in den Bänden „Schwarz wird großgeschrieben“ (Hg. v. Evein Obulor, 2021) oder „Schwarze deutsche Literatur“ (Hg. v. Jeanette Oholi, 2025). Andererseits wollen wir versuchen, die Gattungs- und Formenvielfalt Schwarzer deutscher Romane in den Blick zu bekommen, die sich etwa in einem experimentellen Erzählen von intersektional herausgearbeiteter Marginalisierung in Sharon Dodua Otoos „Adas Raum“ (2021) oder Olivia Wenzels „1000 Serpentinen Angst“ (2020), aber auch im Genre-Erzählen im Familien- oder Kriminalroman (Jackie Thomae: „Brüder“, 2019; Noah Sow: „Die Schwarze Madonna“, 2019; Jasmina Kuhnke: „Schwarzes Herz“, 2021; Yandé Seck: „Weiße Wolken“, 2024) oder im Adoleszenzroman (Chantal-Fleur Sandjon: „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“, 2022) artikuliert. Auch satirische Texte (Nora Osagiobare: „Daily Soap“, 2025) nehmen Themen Schwarzer Identitätspolitik auf und verorten diese in der Gegenwartsgesellschaft.
Weitere Textvorschläge von Seminarteilnehmer_innen sind herzlich willkommen (auch gern per Mail in der vorlesungsfreien Zeit); das genaue Programm, das 5-6 Romane, also einen erheblichen Leseaufwand umfassen wird, legen wir in der ersten Sitzung des Kurses gemeinsam fest. Die Romane von Otoo und Wenzel werden auf jeden Fall diskutiert; ihre Lektüre ist daher eine gute Vorbereitung auf das Seminar.
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