Queer History in Deutschland, 1864 bis 1994
Martin Lücke
Kommentar
Queere Geschichte versteht sich als eine kritische Perspektive auf die deutsche Geschichte seit dem 19. Jahrhundert. Sie fragt nach den Lebensrealitäten gleichgeschlechtlich begehrender und geschlechter-nonkonformer Menschen, nach den gesellschaftlichen Reaktionen auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und nach den Machtverhältnissen, die Normalität und Abweichung definierten. Dabei wird sichtbar, dass Stigmatisierung, Normalisierung und Emanzipation stets gleichzeitig wirksam waren – ein Spannungsfeld, das etablierte Fortschrittsnarrative herausfordert und zeigt, dass queere Bewegungen wichtige Beiträge zur Demokratisierung geleistet haben.
Das Seminar führt chronologisch durch die Zeit von 1864 bis 1994. Es beginnt mit Karl Heinrich Ulrichs, der als „erster Schwuler der Weltgeschichte“ gilt, und mit den frühen medizinischen Diskursen um die „conträre Sexualempfindung“. Anschließend stehen theoretische Fragen im Zentrum: Was bedeutet es, „queere Geschichte“ zu schreiben, und wie unterscheidet sich diese von klassischen geschichtswissenschaftlichen Zugängen?
Im weiteren Verlauf widmen wir uns dem Kaiserreich, wo hyper-maskuline Männlichkeitskonzepte und erste homosexuelle Öffentlichkeiten entstehen, und der Weimarer Republik, in der queere Lebensformen in Clubs, Zeitschriften und politischen Organisationen sichtbar wurden – und zugleich unter Polizeikontrolle standen. Am Beispiel des Strafprozesses gegen Anton Sander oder der sogenannten Linsert-Enquete diskutieren wir, wie intime Beziehungen kriminalisiert und zugleich gesellschaftlich verhandelt wurden.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Zeit des Nationalsozialismus: Die systematische Verfolgung schwuler Männer, die bislang randständig erforschte Situation lesbischer Frauen und die damit verbundenen erinnerungskulturellen Fragen werden anhand aktueller Forschung und Quellen behandelt.
Nach 1945 richten wir den Blick auf Kontinuitäten und Brüche: die Homophilenbewegung in Ost und West, die lesbisch-feministische Organisierung, trans* Perspektiven in der Nachkriegszeit sowie die Auseinandersetzungen um HIV/Aids, Recht und Gesundheitspolitik. Schließlich werden queere Bewegungen seit den 1970er Jahren in beiden deutschen Staaten diskutiert, einschließlich der konflikthaften Auseinandersetzungen um Pädosexualität, Rassismus und Intersektionalität.
Zum Abschluss reflektieren wir die Frage, warum es gerade im Jahr 2025 wichtig ist, deutsche Geschichte aus queerer Perspektive zu betrachten – nicht zuletzt angesichts aktueller queerfeindlicher Rückschläge.
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