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Laudatio von Detlev Ganten

Laudatio zur Verleihung des Margherita-von-Brentano Preises 2007 an die Initiativgruppe zur Gründung eines Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin [Gender in der Medizin (GiM)]

von Prof. Dr. Detlef Ganten

Sehr geehrte Frau Prof. Keitel-Kreidt, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Preisträgerinnen und Preisträger,

Ihre Einladung, heute die Laudatio anlässlich der Verleihung des Margherita-von-Brentano-Preises der Freien Universität zu halten, freut mich sehr.

Ich freue mich gleich in mehrfacher Hinsicht, weil der Margherita-von-Brentano-Preis eine Ehrung ist, die etwas ganz besonderes ist und die heraus sticht aus dem Üblichen, weil die Preisträgerinnen und Preisträger eine besonders interessante Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind, und weil diese etwas ganz besonderes geleistet haben.

Zum Preis: der Margherita-von-Brentano-Preis wird seit 1995 jährlich für herausragende Projekte zur Frauenförderung, Frauenforschung und Geschlechterstudien vergeben. Es ist eine der höchstdotierten Ehrungen dieser Art. Die Kriterien zur Preisvergabe sind anspruchsvoll, aber zugleich bemerkenswert offen und nicht notwendigerweise an formal vorgegebene Leistungen geknüpft.

Ein Preis für kreative freie Entfaltung, das schätze ich besonders.

Diese Freiheit spiegelt sich auch in der enormen Vielfalt der bisher ausgezeichneten innovativen Projekte wider – 1993 wurde die Auszeichnung beispielsweise für „Gender Studies in der Kurdologie“ vergeben, die heutige Verleihung 2008 könnte man etwas verkürzt mit Blick auf Frau Prof. Regitz-Zagrozek mit „Genderstudies in der Kardiologie“ betiteln.

Kurzum, das Spektrum ist groß, die Freiheit lobenswert, was die Preisträgerinnen und Preisträger eint ist das gemeinsame Anliegen und die hohe Qualität. Dieser Preis schafft Vorbilder, Sichtbarkeit für Modellhaftes und Motivation für alle, sich weiter zu beteiligen und die Erfolge auszubauen.

Der Preis erinnert an und ehrt auch die Namensgeberin, Margherita von Brentano.

Diese wunderbare Namenspatronin aus einer großen deutschen Familie wurde 1970 die erste Vizepräsidentin der Freien Universität.

Sie promovierte 1948 bei Martin Heidegger und setzte ihre Karriere in einer Zeit fort, in der dies für Frauen bemerkenswerter war, als man es sich heute noch vorstellen kann.

Sie habilitierte 1971 an der Freien Universität, reorganisierte das Institut für Philosophie und setzte sich als Vizepräsidentin von 1970-72 stark für die Verbesserung der Situation von Frauen an Hochschulen ein. Dabei war sie klug, mutig und engagiert, wo nötig auch streitbar.

Die Verleihung dieses bemerkenswerten Preises mit seiner bemerkenswerten Namensgeberin an der FU, aus Mitteln der FU und in bester Tradition der gesellschaftlichen Gestaltung der FU ist also wahrhaft ein besonderer Anlass, zu dem ich gern beitrage.

Der ehrenvollste Preis taugt nichts ohne würdige Preisträger und exzellente Projekte. In diesem Jahr haben wir nicht nur eine Preisträgerin, sondern gleich 6 prominente Preisträgerinnen und Preisträger. Es sind die Mitglieder der Initiativgruppe zur Gründung eines Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin - GIM.

Diese Gruppe hat maßgeblich die Gründung des Zentrums voran getrieben und weitsichtig das Fundament für eine sehr erfolgreiche Entwicklung gelegt. 

Ich darf Ihnen die Mitglieder der Initiativgruppe kurz vorstellen:

  • Frau Prof Dr. Vera Regitz-Zagrosek ist seit 1990 am Deutschen Herzzentrum Berlin klinisch und wissenschaftlich engagiert. Vor 5 Jahren hat sie den Lehrstuhl für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herz-Kreislauferkrankungen der Charité und des DHZB übernommen. Sie ist Sprecherin des Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema "Geschlechtsspezifische Mechanismen bei Myokardhypertrophie".
  • Frau Prof. Dr. med. Martina Dören ist die zweite Geschlechterforscherin in der Initiativgruppe. Sie ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Gründungsmitglied und Sekretärin der Deutschen Menopause Gesellschaft und Vorstandsmitglied der European Menopause and Andropause Society, Mitglied der Arzneimittelkommission und Sprecherin der Kommission für Frauenförderung der Charité. Sie berät die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) im Arbeitskreis „Frauengesundheit und Gesundheitsförderung".
  • Mechthild Koreuber hat sich große Verdienste als zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität erworben. Nach einem Studium generale mit den Fächern Mathematik, Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaften begann sie Ihre Karriere als Diplom Mathematikerin im Fachbereich Informatik der TU und übernahm 1999 ihr Amt der zentralen Frauenbeauftragten. Seit dem Jahre 2003 hat sie die ehrenvolle Aufgabe, Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen-beauftragten an Berliner Hochschulen zu sein.
  • Frau Dr. Marianne Kriszio ist ihr Pendant an der Humboldt Universität. Sie ging schon in ihrer Promotionsarbeit praxisbezogenen Reformfragen nach und hat in mittlerweile mehr als 20 Jahren Tätigkeit als zentrale Frauenbeauftragte, zunächst an der Universität Oldenburg, seit 1993 dann an der Humboldt Universität, enorme Erfahrung gesammelt und wichtige Impulse gegeben. Darüber hinaus ist Sie Mitglied des Vorstandes der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungs-beauftragten an Hochschulen.
  • Herr Prof. Dr. Joachim Dudenhausen ist Lehrstuhlinhaber der Charité für das Fach „Geburtshilfe und Frauenheilkunde“. Dieses wichtige Projekt, für das wir heute den Margherita von Brentano Preis vergeben, hat also mit Frau Prof. Dören und Herrn Prof. Dudenhausen gleich zwei professionelle „Geburtshelfer“. Dass Herr Dudenhausen in der Gründungsphase auch noch Dekan der Charité war (bis 2004) – ein weitsichtiger, durchsetzungsfähiger und geschickter dazu, war für den Erfolg sicherlich hilfreich. Darum ist er heute hier.
  • Herr Prof. Dr. Martin Paul ist Direktor des Institutes für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité. Seit 1997 ist er Dekan, zunächst des Fachbereiches Humanmedizin der Freien Universität, und seit 2004 der fusionierten Charité. Seit 2003 ist Martin Paul Vorsitzender des europäischen Dekansnetzwerks (DEAN). Seine breiten forschungspolitischen und eigenen wissenschaftlichen Arbeiten haben einen klaren Schwerpunkt im Bereich Herz-Kreislaufforschung.
    So ist er beispielsweise seit dem Jahre 2006 Präsident des ECCR (European Council for Cardiovascular Research).

Was hat diese illustre Gruppe aus Frauenbeauftragten, Dekanen, Hochschullehrerinnen und –lehrern, die Initiativgruppe zur Gründung eines Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) geleistet und erreicht? Die Gruppe hat in der Phase der Fusion an der Charité engagiert und durchaus auch gegen Widerstände das Zentrum innerhalb kürzester Zeit etabliert und damit in Forschung und Lehre verankert. Die Preisträgerinnen und Preisträger haben ein tragfähiges Institutskonzept entwickelt, es öffentlichwirksam vermittelt, und durch überzeugende Kommunikation die beteiligten Gremien zur Einrichtung und Finanzierung bewegt.

Dass dafür bis zur Eröffnungsfeier im Oktober 2004 nur 9 Monate gebraucht wurden, ist fast so beachtlich wie die Einrichtung selbst.

Wüsste ich es nicht besser, könnte man angesichts dieser zügigen Umsetzung im verklärenden Rückblick schlankere Entscheidungsstrukturen, weniger Bürokratie und ein höheres Maß an Gemeinsinn in der Berliner Hochschulpolitik vermuten.

Das Zentrum für Geschlechterforschung begann als interdisziplinärer Zusammenschluss wissenschaftlich aktiver Gruppen. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler publizieren sehr aktiv und werben ausgesprochen erfolgreich Drittmittel von BMBF, DFG und EU für die Forschungsprojekte ein – insgesamt über 7 Millionen €. Dieses hervorragenden Ergebnis ist vor allem den Drittmitteleinwerbungen der Sprecherin, Vera Regitz-Zagrosek, und der stellvertretenden Sprecherin, Patricia Ruiz Noppinger, zu verdanken.

Zu ihren Aktivitäten gehören ein nationales Graduiertenkolleg „Geschlechtsspezifische Mechanismen bei Myokardhypertrophie“ das bis 2010 gefördert wird, aber auch die Beteiligung mit Genderprojekten am Kompetenznetz Herzinsuffizienz, am integrierten Projekt EUGeneHeart (EU) und am nationalen Genomforschungsnetz.

Auch die Integration der Ergebnisse in die Lehre der Charité ist erreicht. Die Erfahrungen des GiM, das seit 2006 ein Wahlpflichtfach „Genderbezogene Medizin“ an der Charité aufgebaut hat, waren eines der vielbeachteten Themen beim prominent besetzten letztjährigen internationalen Symposium des Instituts. Die gemeinsamen Erfahrungen fließen derzeit in die Beantragung eines europäischen Masterstudienganges ‚Gendermedizin’ ein.

Beide Nachwuchswissenschaftlerinnen aus der Gründungszeit des GIM wurden auf Professuren berufen bzw. stehen in aussichtsreichen Verhandlungen. Die Kooperation mit den klinischen Fächern, der Berlin School of Public Health an der Charité und den Instituten für Medizinische Psychologie ist äußerst fruchtbar / erfolgreich.

Der Erfolg und die Etablierung des interdisziplinären Verbundes als dauerhafte Einrichtung spiegelt sich mittlerweile auch in den Strukturen wider: Das Zentrum wurde 2007 in ein Berlin Institute of Gender in Medicine (GiM) umgewandelt und Frau Prof. Vera Regitz-Zagrosek als Direktorin auserkoren. Der interdisziplinäre Charakter und die Schwerpunkte in der Bearbeitung geschlechts-bedingter Unterschiede in der Medizin bleiben erhalten. Auch in Zukunft wird Grundlagenforschung und klinische Forschung mit besonderer Betonung der Versorgungsforschung und Präventionsforschung betrieben.

Die Ergebnisse ins öffentliche und politische Bewusstsein zu bringen und aus wichtigen Ergebnissen erfahrbare Verbesserungen für die medizinische Versorgung von Frauen im Alltag abzuleiten ist dabei gleichermaßen wichtig.

Meine Damen und Herren, ich habe kurz dargelegt, warum dieser Preis besonders und vorbildlich ist, ich habe sehr kurz vorgestellt, wer die würdigen Empfänger der Initiativgruppe zur Gründung des Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin sind, ich könnte noch viel sagen über die beeindruckenden Erfolge des Zentrums in Forschung und Lehre, und auch die Überführung in stabile, dauerhafte Strukturen beschrieben.

Es gäbe viel zu sagen über, die Bedeutung des Instituts für die Charité und unsere Gesellschaft zu unterstreichen und die Inhalte zu betonen. Ich kürze das ab mit einem Zitat: „Frauen sind keine kleinen Männer“ – dieses griffige und eigentlich unstrittige Zitat führt Frau Prof. Regitz Zagrozek häufig an, z.B. auch in einem lesenswerten Artikel in Nature Reviews Drug Development 2006.

Sehen Sie sich Dekan Paul und Frau Regitz Zagrozek an – Sie müssen nicht Gender-Studies betrieben haben, um zu ahnen, dass es echte Unterschiede gibt. Unterschiede, die natürlich auch für die pathopyhsiologie medizinische Behandlung, die Auswahl von Medikamenten und die Dosierung eine wichtige Rolle spielen.

Frauen sind beispielsweise nicht nur in diesem Einzelfall im Durchschnitt leichter, sie haben einen durchschnittlich höheren Körperfett-Anteil, Ausnahmen bestätigen die Regel!

Sie haben andere Hormonspiegel, z.B. mehr Östrogen, sie bilden andere Rezeptoren aus, über die Medikamente und körpereigene Botenstoffe wirken. Frauen haben einen anderen Stoffwechsel, als Folge erkranken sie anders, in anderem Lebensalter, mit anderen Symptomen und mit anderem Therapiebedarf.

Das Beispiel der koronaren Herzerkrankung illustriert die Defizite deutlich:
Frauen erkranken im Schnitt später, typischerweise nach der Menopause, klagen über Symptome, die oft nicht dem Lehrbuchwissen für Herzerkrankungen bei Männern entsprechen. Sie laufen Gefahr, deutlich verzögert angemessen untersucht zu werden. Kommt es zum Herzinfarkt, wird dieser bei Frauen weniger schnell diagnostiziert und die Chance, nach den Regeln der Kunst behandelt zu werden, ist deutlich geringer als bei Männern. Und was diese „Regeln der Kunst“ vorsehen, mag für Männer ganz brauchbar sein. Für Frauen ist es oft von zweifelhaftem Wert.

In den großen Studien zur Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist fast ausnahmslos ein starkes Überwiegen von männlichen Studienteilnehmern festzuhalten.

Die Ergebnisse dieser Studien sind aber immer nur auf Personen übertragbar, die dieser Versuchsgruppe entsprechen.

Die Annahme, ein Medikament, das in einer Studie unserem Dekan geholfen hat und von ihm gut vertragen wurde, kann bedenkenlos genauso erfolgreich bei Frau Prof. Regitz Zagrozek eingesetzt werden, ist falsch. Sie spiegelt aber in weiten Bereichen unsere medizinische Praxis wieder. Im Falle der Herzinfarktbehandlung heißt das für Frauen, neben verspäteter Diagnose, verzögertem Zugang zu empfohlenen Therapie und Empfehlungen, die oft lediglich an Männern etabliert wurden: Mehr Komplikationen, schlechtere Behandlungsergebnisse.

Wir verfolgen heute die greifbare Vision einer individualisierten Medizin, die durch individuelle Testung von Genen und Stoffwechselenzymen das Ansprechen und die Verträglichkeit von Therapien vorhersagbar macht. Wir haben in einigen Bereichen bereits jetzt die Möglichkeit, „maßgeschneiderte“ Therapien einzusetzen. Aber wir versagen, wenn es darum geht, elementare Differenzierungen zwischen den Geschlechtern vorzunehmen – zum Nachteil der Frauen.

„Gender“ ist natürlich viel mehr, als die biologisch bestimmten Geschlechtsunterschiede unserer Körper und ihrer Funktionen. „Gender“ hat eine starke gesellschaftliche Komponente und soziale Prägung. Fragen von Krankheitsbewältigung und Rollenverständnis, psychosoziale Aspekte sind hier bedeutsam. Auch diese Diskussion wäre es wert zu vertiefen. Wenn im Beispiel der Lebend-spenden von Nieren zwischen nahestehenden Personen Spenden von Frauen für Männer weitaus häufiger sind, als der umgekehrte Fall, die Spende vom Mann auf die Frau, wirft das zumindest die Frage auf, ob diese Ungleichheit durch medizinische Gründe ausreichend erklärt ist.

Fragen des Zugangs zu Gesundheitsleistungen, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, all dies sind dringende Fragen. Es sind Fragen, die idealer Weise im Verbund mit klinischen Partnern und politischen Einrichtungen verfolgt werden. Von klinischen Kompetenznetzen bis hin zur Berlin School of Public Health hält die Charité auf diesem Gebiet eine enorme Expertise vor. Diese zu vernetzen und unter dem Dach der Gender-Studies zusammenzubringen, ist eine große medizinische und gesellschaftliche Aufgabe - und eine riesige Chance.

Meine Damen und Herren, Rudolf Virchow, selbst herausragender naturwissenschaftlicher Forscher und Sozialpolitiker, sagte „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft und Politik nichts anderes, als Medizin im Großen“. Sehr passend zum heutigen Anlass hat vor 1 ½ Wochen das Committee of Ministers der EU-Mitgliedsstaaten beeindruckende Empfehlungen zum Gesundheitssektor verabschiedet. Ich empfehle Ihnen diese sehr zur Lektüre. Es werden Ungleichheiten unter Gender-Aspekten angemahnt, die schlicht nicht im Einklang mit den Grundrechten stehen.

Die Empfehlungen in Kurzfassung lauten:
Differenziert forschen, geschlechtsspezifisch analysieren und berichten, Bewusstsein für Missstände erhöhen, Erkenntnisse in Politikberatung und Lehre integrieren, Ergebnisse in die klinische Praxis übertragen. Diesen Empfehlungen sind Sie, liebe Mitglieder der Initiativgruppe, ein halbes Jahrzehnt voraus. Das ist natürlich kein Grund, sich zurückzulehnen. Ihre Vorreiterrolle verpflichtet. Die Möglichkeiten und spezifischen Stärken der Forschungseinrichtung Berlins verpflichten, weiter voranzugehen, den Rückenwind zu nutzen.

Wir in der Charité sind stolz, dass wir Sie haben und freuen uns mit Ihnen über diesen Preis und über alles, was wir noch von Ihnen erwarten und erhoffen können!

Ich wünsche Ihnen dabei von ganzem Herzen größten Erfolg und bin sicher, dass der Margherita-von-Brentano-Preis Sie und viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter, weit über das Berlin Institut of Gender-Studies in Medicine hinaus, auf dem eingeschlagenen Weg weiter ermutigt und beflügelt.

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für Ihre Arbeit