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"Der entscheidende Punkt ist, dass wir Strukturen schaffen, die nachhaltig sein werden."

Im Gespräch mit der Teilprojektleitung und -koordination des Teams Forschungskompetenzen

20.12.2017

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Um den heterogenen Anforderungen im Schulalltag begegnen zu können, benötigen Lehrkräfte entsprechende professionsbezogene Forschungs-kompetenzen, z. B. bei der Diagnose von Lernvoraussetzungen, bei der Planung pädagogischer Interventionen oder bei der Evaluation der Wirksamkeit dieser Interventionen. Prof. Dr. Bettina Hannover und Dr. Katharina Thoren sprachen mit K2teach über die Förderung dieser Kompetenzen in der Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin.

Sie forschen und lehren am Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung. Können Sie sich und ihre Forschungsschwerpunkte kurz vorstellen?

Hannover: Ich bin Bettina Hannover und leite den Arbeitsbereich Schule und Unterrichtsforschung an der Freien Universität Berlin. Ich bin von Hause aus Psychologin und meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Identitätsentwicklung. Hier geht es vor allem darum, wie Menschen ein Bild von sich selbst entwickeln; das hat natürlich viele Anwendungsimplikationen in Hinblick auf Schule. Maßgeblich geht es um Fragen wie Interessensentwicklung oder um die Unterschiede zwischen sozialen Gruppen, wie Mädchen und Jungen oder Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund. Wir betrachten dabei die akademische Entwicklung in ihrer Bedeutung für die Identität der jungen Leute.

Thoren: Mein Name ist Katharina Thoren und ich bin Koordinatorin des Teilprojekts 1: Forschungskompetenzen für eine evidenzbasierte adaptive Unterrichtspraxis. Meine Forschungsschwerpunkte im Projekt sind die datengestützte Unterrichtsevaluation und -entwicklung.

 

Was versteht man unter professionsbezogenen Forschungskompetenzen?

Thoren: Vordergründig geht es darum, dass spätere Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, ihren eigenen Unterricht zu evaluieren. Dafür braucht man gewisse Kompetenzen, beispielsweise sollte man in der Lage sein, eine Fragestellung zu entwickeln, ein Problem zu identifizieren, und es in einer Fragestellung zu formulieren. Besonders am Herzen liegt mir, dass spätere Lehrkräfte fähig sind, Schlussfolgerungen für den eigenen Unterricht aus ihren Beobachtungen und Feststellungen ziehen zu können.

Hannover: Ergänzen möchte ich, dass Forschungskompetenzen für mich auch eine Art Haltung ausdrücken. Es geht ebenso darum, dass ich meinem eigenen Tun fragend gegenüberstehe und versuche herauszufinden, ob ich eigentlich die Ziele erreiche, die ich idealerweise vorher explizit gemacht habe und dass ich mich vor diesem Hintergrund selbst beobachte. Vor allem, wenn ich das Gefühl habe, die Realität bietet mir nicht genügend Möglichkeiten der Prüfung, sollte ich in der Lage sein, systematisch selber Daten zu erzeugen, um meine Fragen, die ich habe, zu beantworten.

 

Wie lässt sich das bei den Student*innen beziehungsweise Lehrkräften entwickeln? Was haben Sie bei der Konzeption der Lehr-Lern-Formate beobachten können?

Thoren: Wir haben in unserem Teilprojekt besonders die Lernforschungsprojekte im Praxissemester in den Blick genommen, da die Studierenden dort eine eigene kleine Forschungsfrage bearbeiten. Im Rahmen des Praxissemesters haben sie die Möglichkeit, das theoretisch Gelernte anzuwenden. Das Besondere daran ist, dass das Praxissemester erst vor einem Jahr in Berlin eingeführt wurde, so dass wir mitunter auf Unsicherheiten und vereinzelt auch Vorbehalte von Studierenden trafen. Das war für mich eine Herausforderung.

Hannover: Ja, tatsächlich haben wir auch in Lehrveranstaltungen zum berufsfeldorientierenden Praktikum eine ähnliche Idee. Dort entwickeln die Studierenden eine Beobachtungsaufgabe. Wir wollen ihnen genau diese forschende Haltung vermitteln: Dass man in der Schule nicht nur ein Handelnder ist, sondern auch eine Person, die stetig sich selbst und ihr eigenes Handeln reflektiert. Dazu bekommen sie von uns Methoden aufgezeigt, die sie einsetzen können, um Evidenz zu erzeugen, die geeignet ist, ihre Beobachtungsfrage zu beantworten. Es ist in gewisser Weise ein paradigmatisches Denken, das wir schon in dieser frühen Phase des Studiums zu etablieren versuchen.

 

Wie war bisher das Feedback der Student*innen?

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Hannover: Katharina hat es ja gerade schon angesprochen, dass die Haltung der Studierenden gelegentlich etwas skeptisch ist, gerade in der fortgeschrittenen Phase ihres Studiums. Wenn sie schon im Halbjahrespraktikum sind, machen wir die Erfahrung, dass sie in den Lernforschungsprojekten eigentlich ganz andere Dinge im Kopf haben, weil sie gerade herausgefordert sind mit der Aufgabe, erste Unterrichtsversuche zu machen. Anfänglich weisen wir dann häufig darauf hin, dass dieses jetzt nicht eine zusätzliche Kompetenz ist, die mit ihrer Tätigkeit in der Schule nichts zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um ein „Handwerkszeug“, das ihnen die Herausforderungen erleichtern kann. Unterrichtsplanung, Individualisierung oder Heterogenität sind Probleme, die sie gerade real erleben. Die Vorstellung, dass sie gerade mit diesen Tools, die wir ihnen vermitteln möchten, eine Unterstützung erfahren, dass ist etwas, auf das wir oftmals mehrfach hinweisen müssen.

Thoren: Mein Eindruck ist, dass es grundsätzlich Unsicherheiten bezüglich des Praxissemesters gibt. Es gibt beispielsweise immer wieder Studierende, die an den Schulen wenig Unterstützung erfahren. Daher sind wir in unseren Veranstaltungen sehr bemüht, die Studierenden mit einzubeziehen. Viele sind am Ende überrascht, was man doch alles auch an schwierigen Schulen machen kann.

 

Gab es ein Feedback von Student*innen, die das Lernforschungsprojekt im ersten Durchgang 2016/17 besucht haben und bereits im Praxissemester waren?

Thoren: Bedauerlicherweise nicht. Das Problem ist, dass wir keinen Kontakt zu den Studierenden haben. Sie schreiben dann noch ihre Masterarbeit und gehen anschließend in den Vorbereitungsdienst.

Hannover: Es wäre eine schöne Möglichkeit, diese Lehr-Lern-Formate zu ergänzen. Man holt sich die Leute aus der Praxis zurück und lässt sie mit unseren Studierenden darüber sprechen, welche Erfahrungen sie gemacht haben.

 

Welche Neuerungen haben sie bei der Konzeption der Lehr-Lern-Formate und deren Evaluation vorgenommen?

Hannover: Wir haben „entschlackt“, da wir festgestellt haben, dass wir an uns selber einen zu hohen Anspruch hatten. Demzufolge haben wir die Ansprüche etwas reduziert, also auf der einen Seite die Frage, was wir von den Studierenden erwarten: Wie viele Daten sie erheben, in wie viele Klassen sie hineingehen müssen. Auf der anderen Seite im Hinblick auf die Auswertungsverfahren, die zum Einsatz kommen. Obwohl wir die Ergebnisse der zweiten Evaluation noch nicht kennen, haben wir das Gefühl, dass dies gut ankommt und die Vorbehalte in diesem Semester deutlich geringer sind.

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Thoren: Wir haben viel standardisieren können. Darüber sind viele Studierenden froh, da sie demzufolge einen relativ eng gesteckten Rahmen haben. Was ich neu eingeführt habe, ist eine Sitzung, in der es einzig um die Reflexion der Ergebnisse gehen wird. Zur Evaluation kann ich sagen, dass wir das Design noch mehr vereinheitlich haben. Dies hat den Vorteil, dass wir gezielt die einzelnen Konzepte und ihre Wirksamkeit betrachten können. Später möchten wir dann stärker auf die Diagnostik im Klassenraum fokussieren. Wir haben da zwei Ansätze: einmal die Individualdiagnostik, was Prof. Anette Kinder mit ihrer Arbeitsgruppe bereits macht. Zum anderen wollen wir umfassende realitätsnahe Szenarien entwickeln. Diese beschreiben die Klassenzusammensetzung sowie die Lehrkraft möglichst ausführlich und konkret. Ziel ist es, die Studierenden stärker in die Lage zu versetzen, dass das ihre Klasse ist. Sie stellen sich dann die Frage, wie sie mit den von uns vermittelten Tools ihren Unterricht weiterentwickeln können. Wir konzentrieren uns dabei sehr auf das fallbasierte Lernen. Ich bin überzeugt davon, dass wir damit auch außerhalb der Lernforschungsprojekte erfolgreich sein werden, um den Studierenden einen möglichst guten Eindruck von der Praxis zu vermitteln.

 

Welche Rolle spielt aus ihrer Sicht K2teach für die Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin?

Hannover: Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass wir Strukturen schaffen, die hoffentlich auch nachhaltig sein werden. Alles, was wir jetzt hier tun, ist erst einmal etwas Neues, das idealerweise einen Niederschlag darin findet, dass bestimmte Kooperationen angebahnt und dass bestimmte Instanzen geschaffen werden, die dann über den K2teach Zeitraum hinaus Bestand haben.

Thoren: Inhaltlich denke ich, dass wir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. K2teach hat es uns ja ermöglicht ganz neue Lernformate zu entwickeln und umzusetzen. Wir konnten dabei verschiedene Expert*innen der Schulpraxis, Forschung und Hochschuldidaktik zurate ziehen. Das kann im üblichen Forschungsalltag ja leider nicht immer realisiert werden. Daher haben wir bei unseren Werkstattgesprächen auch besprochen, dass wir unsere Lehrmaterialien gerne anderen zur Verfügung stellen möchten. Wir wünschen uns eine nachhaltige Umsetzung. Es ist geplant die im Projekt entwickelten Tools, also Data Use Course Curriculum, Testdiagnostikmanual und Seminarmaterialien Dozent*innen und Studierenden niedrigschwellig zur Verfügung zu stellen. Natürlich nutzen wir unsere Erfahrungen aus der Lehre und die Ergebnisse der Evaluation auch zum Austausch mit Kolleg*innen aus Wissenschaft und Schulpraxis. Es passiert ja gerade bundesweit sehr viel in der Lehrkräftebildung und da finde ich es wichtig, auch FU-übergreifend, Erfahrungen auszutauschen.

 

K2teach ist sehr groß mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen aufgestellt. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit wahrgenommen?

Thoren: Bei uns geht es ja maßgeblich um die Zusammenarbeit von Erziehungswissenschaft und Psychologie, die ohnehin in der Bildungsforschung eng zusammenarbeiten. Mit den Fachdidaktiken haben wir anfänglich weniger Schnittstellen gehabt, da wir primär erziehungswissenschaftspsychologische Inhalte vermitteln. Zukünftig ist es unser Wunsch, enger mit den Fachdidaktiken zusammenzuarbeiten.

Hannover: Ja ich denke, dass das tatsächlich eine gute Gelegenheit darstellt, diese Art von Zusammenarbeit zu stärken. Ich sehe da durchaus noch Entwicklungsbedarf, ich glaube, dass wir noch stärker daran arbeiten müssen, dass wir in der Lehre aus sämtlichen Fachdisziplinen heraus den Studierenden auch die gleichen Botschaften kommunizieren.

 

Gibt es sonst noch etwas, was Sie gerne sagen möchten?

Hannover: Auf jeden Fall ist K2teach ein interessantes Format, das uns persönlich die Gelegenheit gibt, über uns selbst in diesem Prozess nachzudenken. Dankeschön dafür!

 

Das Interview führte Annemarie Jordan