WiSe 23/24: Gegenkino. Ästhetiken des Widerstands im bundesdeutschen Film
Tobias Haupts
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Gegenkino. Ästhetiken des Widerstands im bundesdeutschen Film
Wenn der moderne Film ab den späten 1950er-Jahren sich vor allem dadurch auszeichnete, dass die eigene Lebenswelt Grundlage für das kinematografische Schaffen werden sollte, weil man sich selbst, seine Wünsche, Ängste und Hoffnungen auf der Leinwand bisher nicht finden konnte, so bildeten die frühen 1970er-Jahre im Kino der Bundesrepublik einen Startpunkt für verschiedensten Bewegungen, die mit dem Kino gegen das Kino arbeiteten, um sich endlich selbst sehen zu können. Zu schnell war die Filmgeschichtsschreibung versucht, diese Bewegungen zunächst marginalisierter Gruppen dem Widerstand des Jungen respektive Neuen deutschen Films zuzurechnen; doch bereits nach einem kurzen, kursorischen Blick wird deutlich, dass das Filmschaffen der Frauen oder die Bemühungen des ‚Schwulenfilms‘ in den Neuen deutschen Film zwar ein-, aber nicht aufgehen kann. ‚Mit der Kamera Ich sagen‘, die eigene Subjektivität mit den Mitteln des Films erkunden zu wollen, war eine gleich dreifache Herausforderung (vielleicht gar Affront): eine an das System der etablierten Kräfte (und dazu gehörten in den 1970er-Jahren die bereits arrivierten Regisseure des Neuen deutschen Films), an die Regularien der Medien (zwischen Film und Fernsehen, später dann Super8 und Video) und die gewohnten Formen der Filmsprache, die man zurecht als unzureichend empfand.
Der Kurs möchte somit, beginnend in den 1970er-Jahren, das bundesdeutsche Kino nach diesen Entwicklungen des Aufbegehrens, des Widerstandes befragen, die sich vielleicht am englischen Ausdruck des ‚Counter Cinema‘ (hier eingedeutscht als Gegenkino) vortrefflich diskutieren lassen, vor allem wenn offen ist, wie weit dieses Dagegenhalten bereit war zu gehen. Von den ersten Versuchen des feministischen Films und das schwule Filmschaffen der 1970er-, über die Gemengelage des Undergroundfilms der 1980er-, hin zu den Versuchen einer Aussöhnung mit dem Mainstream (und damit oftmals auch dem Genre) in den 1990er-Jahren, zieht der Kurs eine Schneise durch die ‚klassischen‘ Narrative bundesrepublikanischer Filmgeschichte, um nach den Ästhetiken und Poetiken, den Medien und Protagonist*innen dieser Entwicklung zu fragen. Grundlegende Kenntnisse der bundesdeutschen Filmgeschichte sind sicherlich von Vorteil, wichtiger noch aber ist die Lust am Entdecken dieser Form des filmischen Ausdrucks. Zur Vorbereitung eignen sich die Dekadenübersichten aus Wolfgang Jacobsen u.a. (Hrsg.), Geschichte des deutschen Films. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart/Weimar 2004.
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