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Lecture | Tatiana Golova | Von russischsprachiger Migration zu Diasporas: Dynamiken in Deutschland seit 2022

Jan 07, 2026 | 02:15 PM - 03:45 PM

Lecture Series: "Mobility and Order: Models, Actors and Contestations in Eurasia"

This event is part of the ongoing lecture series hosted by the Institute for East European Studies (Osteuropa-Institut).

Abstract

Die russischsprachige Bevölkerung stellt in Deutschland die zweitgrößte Sprachminderheit und eine äußerst heterogene Gruppe mit unterschiedlichen biografischen und politischen Hintergründen dar. Während die Kategorie „postsowjetischer Migrationshintergrund“ häufig als statistische und analytische Klassifikation dient, sagt sie wenig darüber aus, wie Menschen ihre Herkunftsgeschichten und Zugehörigkeiten gestalten. Frühere Forschungen zu russischsprachigen Migrant*innen zeigten eine grundlegende Hybridität ihrer Selbstverortungen zwischen unterschiedlichen kulturellen und sozialen Ordnungen und zugleich eine Problematisierung ihrer Zugehörigkeiten von außen.
Während diese hybriden Identitäten eine gewisse Flexibilität ermöglichen, werden sie durch Krisenereignisse sowie gesellschaftliche und politische Umbrüche immer wieder herausgefordert. Eine erste Destabilisierung und Politisierung der Zugehörigkeiten zeichnete sich in den Jahren 2014–2016 ab – im Kontext der europäischen Migrationskrise und des rechtspopulistischen Aufschwungs in Deutschland ebenso wie im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas. Die zweite, deutlich tiefere Zäsur erfolgte mit der großflächigen Invasion der Ukraine durch Russland 2022. Nicht nur die Zusammensetzung der postsowjetischen Migration hat sich verändert, sondern auch bestehende Zugehörigkeiten, Solidaritäten und Grenzen migrantischer Communities werden problematisiert und neu ausgehandelt.
Heute lassen sich in Deutschland Prozesse der Fragmentierung und Neuformierung mehrerer Diasporas beobachten – imaginierter transnationaler Gemeinschaften, die in der Praxis über handlungsweisende Narrative gemeinsamer Herkunft konstruiert werden. Diese Prozesse gingen auch mit Mobilisierungen in unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Diasporaprojekten einher, die sich auf Russland als Heimat beziehen.
Anhand dieses Fallbeispiels wird diskutiert, dass Zugehörigkeiten von Migrant*innen nicht aus den Migrationserfahrungen selbst resultieren, sondern von pluralen Akteuren hergestellt werden. Dies geschieht unter anderem in Auseinandersetzung mit Konflikten und Ereignissen in der weit gefassten Herkunftsregion, die zugleich eine Positionierung in der Aufnahmegesellschaft erfordert und beeinflusst.

General Information

About the Lecture Series

This lecture series features both researchers from the Institute for East European Studies (OEI) and international scholars with a focus on Eastern Europe, Russia, and Eurasia. The series explores the interplay between voluntary and involuntary human mobility across state borders and the political regimes, social orders, and cultural landscapes of Eurasia. Topics such as diversity, labor, migration, development, and the impact of refugees on their host societies are discussed from multiple disciplinary perspectives.

These interactions occur as the existing political, economic, and cultural world order is being reshaped by the deepening Russian-Chinese partnership, Russia’s attempts to secure its zones of influence, economic nationalism, and the weakening influence of the “West.” Therefore, the series also includes lectures that connect this regional focus to the emerging logic of geopolitics and geoeconomics, and the construction of alternative institutions influencing both mobility and order.

Time & Location

Jan 07, 2026 | 02:15 PM - 03:45 PM

Osteuropa-Institut,
Hörsaal A,
Garystraße 55,
14195 Berlin