Ein Virus einfach ausschalten
Wissenschaftler der Freien Universität entwickeln neue Methode zur detaillierten Untersuchung von funktionellen RNA-Elementen
01.10.2015
Die molekularbiologische Methode MIME (Mutational Interference Mapping Experiment) ermöglicht, die Interaktion von RNA mit ihrem jeweiligen Reaktionspartner im Detail zu untersuchen und zu beschreiben.
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Der Bioinformatiker Max von Kleist.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Wissenschaftler der Freien Universität Berlin sowie der Université de Strasbourg (Frankreich) haben eine neue Methode entwickelt, mit der die Funktion von Ribonukleinsäure (RNA – ribonucleinic acid) weitaus detaillierter sowie kostengünstiger und weniger aufwendig als bisher untersucht und beschrieben werden kann.
Die sogenannte funktionelle RNA ist wichtig für fast alle Zellen und zellulären Prozesse, etwa indem sie Proteine bindet oder katalytische Prozesse durchführt. Die Forschergruppe um den Bioinformatiker Max von Kleist könnte mit ihren wegweisenden Erkenntnissen beispielsweise die Entwicklung von Therapeutika ermöglichen, die die Vermehrung schädlicher Viren unterbinden, indem sie virales Erbgut deaktivieren. Der Fachaufsatz mit dem Titel „Mutational interference mapping experiment (MIME) for studying RNA structure and function“ („Experiment zum Abbilden von Mutationseffekten (MIME) zur Untersuchung der Struktur und Funktion von RNA“) ist in dem renommierten Fachjournal „Nature Methods“ erschienen.
Lange Zeit gingen Molekularbiologen davon aus, dass RNA ein kurzlebiges Speichermedium ist: Die DNS (Desoxyribonukleinsäure, englische Abkürzung DNA), der Bauplan eines jeden Lebewesens, wird in RNA transkribiert, die wiederum in ein Protein übersetzt wird, das dann bestimmte Funktionen im Körper übernimmt. Nach der Entdeckung der nicht-kodierenden RNA weiß man heute, dass verschiedene Arten der RNA auch funktional aktiv sein und viele zelluläre Funktionen regulieren können. Auf molekularer Ebene geht die RNA etwa Bindungen mit der DNA ein, um beispielsweise Genabschnitte zu deaktivieren oder Proteine zu binden und somit zu aktivieren oder inaktivieren. Außerdem können RNA auch selbst enzymatisch aktiv sein, also biochemische Reaktionen katalysieren.
Die Forschergruppe um den Bioinformatiker Max von Kleist entwickelte die molekularbiologische Methode MIME (Mutational Interference Mapping Experiment), um die Interaktion von RNA mit ihrem jeweiligen Reaktionspartner im Detail zu untersuchen und zu beschreiben. Die Wissenschaftler wählten dabei einen evolutionären Ansatz: Die zu untersuchende RNA wird zufällig mutiert, sodass ein Pool von Milliarden beliebig mutierter RNA entsteht. Diesem Pool wird dann ein Interaktionspartner beigemischt – etwa ein Protein –, sodass ein Selektionsdruck in Bezug zur Interaktion entsteht. Die daraus entstehenden, nach Funktionalität getrennten Gruppen von RNA (beispielsweise Protein-bindende und nicht-bindende) werden mit neuartigen Technologien sequenziert. So erhalten die Forscher Erkenntnisse für jede Art der Mutation sowie zu präzisen Mutationshäufigkeiten an jeder Stelle der RNA. Durch mathematische und statistische Berechnungen kann in der Folge der Einfluss jeder möglichen Mutation an jeder Stelle der RNA auf die Funktion quantifiziert werden; zudem lässt sich genau bestimmen, welcher Teil der RNA für die untersuchte Funktion zuständig ist.
Die MIME-Methode ist bahnbrechend in der Erforschung der viralen Replikation: Viele der bedrohlichsten Krankheiten werden von sogenannten RNA-Viren übertragen, etwa HIV, Influenza und Hepatitis C. Ihnen ist gemeinsam, dass deren Genom nicht aus einer DNA besteht, sondern aus einer RNA. Mit MIME können Wissenschaftler herausfinden, wie das Erbgut eines Virus am Ende seines Vermehrungszyklus in ein weiteres Viruspartikel gelangt. Medizinisch ist dies von großer Bedeutung: Würde es gelingen, diesen Prozess zu unterbinden – etwa indem eine komplementäre RNA eingeschleust wird –, könnte das Virus unschädlich gemacht werden.
Derzeit werden weltweit zahlreiche RNA-basierte Therapieformen erforscht. Die entwickelte MIME-Methode kann einen bedeutenden Beitrag leisten, indem mit ihrer Hilfe geeignete RNA-Abschnitte identifiziert werden können. Außerdem gibt sie Aufschluss darüber, welche Mutationen ein Virus tolerieren kann und welche nicht; Erkenntnisse darüber könnten verhindern, dass Viren eine Resistenz entwickeln.