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Zelluläres Thermometer entdeckt

Forscherinnen und Forscher der Freien Universität Berlin entdecken einen bislang unbekannten Mechanismus zur Temperatur-abhängigen Kontrolle der Genexpression

Nr. 190/2017 vom 07.07.2017

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben einen Mechanismus identifiziert, der es Zellen ermöglicht ihr Genexpressionsprofil an sehr kleine Änderungen der Temperatur anzupassen. „Gleich einem Thermometer folgen diese Änderungen der Genexpression der Temperatur in linearer Form und ermöglichen damit eine graduelle Anpassung an die gegebene Temperatur“, erklärt Prof. Dr. Florian Heyd von der Freien Universität, der die Studie leitete. Dieses zelluläre Thermometer sei sensitiv genug, um auf Schwankungen der Körpertemperatur zwischen 36 und 38°C mit einer veränderten Genexpression zu reagieren. Die Entdeckung schaffe die Grundlage für eine Reihe weiterer, anwendungsorientierter Fragen. Die Experimente wurden an Mäusen durchgeführt, da aber auch im Menschen tageszeitabhängige Unterschiede in der Körpertemperatur vorhanden sind, sei zu erwarten, dass der Mechanismus auch eine wichtige Rolle für die menschliche Physiologie spielt. Die Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Molecular Cell veröffentlicht.

„Die Zellen warmblütiger Organismen benötigen eine weitgehend konstante Temperatur und tolerieren Abweichungen von den optimalen 37°C nur bedingt“, erklärt Dr. Marco Preußner, der als Postdoktorand maßgeblich an der Arbeit beteiligt war. Bereits eine Änderung der Temperatur um +/-5°C versetze die Zelle in einen Hitze- oder Kälteschock, der nach einigen Stunden zum Zelltod führen kann. Aus diesem Grund müssen Warmblüter die Körpertemperatur relativ konstant halten und eine Anpassung des Körpers an die Außentemperatur verhindern. Allerdings schwanke die Körpertemperatur geringfügig mit der Tageszeit: während der aktiven Phase, in nachtaktiven Mäusen in der Dunkelheit, liegt die Körpertemperatur etwa 1,5°C höher als in der Ruhephase, in Mäusen tagsüber.

Die Forscherinnen und Forscher der Arbeitsgruppe RNA-Biochemie an der Freien Universität Berlin konnten zeigen, dass Mäuse diese tageszeitabhängige Änderung der Körpertemperatur nutzen, um die Genexpression an die tageszeitabhängigen Anforderungen anzupassen. „Dadurch kann eine große Gruppe von Genen rhythmisch, mit einer Periode von etwa 24 Stunden, kontrolliert werden“, erklärt der Biochemiker. Die Regulation beruhe auf einem als alternatives Spleißen bezeichneten Prozess, durch den die Bausteine der Messenger-RNA (mRNA) unterschiedlich zusammengesetzt werden könnten, was zur Bildung von mehreren Proteinvarianten aus einem Gen führen könne. „Das alternative Spleißen von über 100 Genen reagiert extrem sensitive auf Änderungen der Temperatur, so dass je nach Tageszeit und Körpertemperatur unterschiedliche Proteine hergestellt werden“, sagt Prof. Dr. Florian Heyd. Außerdem könne durch alternatives Spleißen auch die Gesamtmenge eines Proteins reguliert werden: die aktuelle Arbeit verdeutliche dies am Beispiel des generellen Transkriptionsfaktors TBP (TATA-box binding protein). In diesem Fall verändere das temperaturabhängige alternative Spleißen einen nicht-kodierenden Bereich der TBP mRNA und reguliert dadurch die Effizienz mit der das TBP Protein synthetisiert werde. Daraus resultiere eine tageszeitabhängige Oszillation des TBP Proteins, was eine mögliche Erklärung für die – seit längerem bekannte – tageszeitabhängigen Unterschiede in der generellen Transkriptionsrate liefern könnte. „Der von uns nachgewiesene Mechanismus stellt das sensitivste bislang bekannte zelluläre Thermometer dar, da die Signalwege, die einen Hitze- oder Kälteschock auslösen, in diesem physiologisch relevanten Temperaturbereich kaum reagieren“, erklärt Prof. Dr. Florian Heyd. Auf Basis der Ergebnisse könnten nun weiterführende anwendungsorientierte Fragen untersucht werden. Von besonderem Interesse sei ein möglicher Zusammenhang von temperaturabhängigem alternativen Spleißen mit der Immunantwort während einer mit Fieber einhergehenden Infektion. So sensibel wie alternatives Spleißen auf (leicht) erhöhte Temperatur reagiere, scheint eine temperaturbedingte Änderung der Genexpression durch Fieber eine logische Folge. Welche Rolle dies bei einer Infektion spielt soll nun in weiteren Experimenten untersucht werden.

Weitere Informationen

Die Publikation

Marco Preußner, Gesine Goldammer, Alexander Neumann, Tom Haltenhof, Pia Rautenstrauch, Michaela Müller-McNicoll, Florian Heyd (2017): "Body Temperature Cycles Control Rhythmic Alternative Splicing in Mammals", in: Molecular Cell. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.molcel.2017.06.006

Kontakt

Prof. Dr. Florian Heyd, Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-62938, E-Mail: florian.heyd@fu-berlin.de