Demokratie. Haben wir die Wahl?
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Wir laden Sie herzlich zur Lektüre ein – und sind gespannt: Wie gefällt Ihnen der neue Newsletter? Haben Sie Anmerkungen oder Vorschläge?
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Die nächste Ausgabe erhalten Sie am 15. Mai 2025.
Ihr et al.-Redaktionsteam
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Politikwissenschaftlerin Dr. Julia Reuschenbach Bildquelle: Tobias Koch / Collage: Freie Universität Berlin
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Julia Reuschenbach im Interview
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212 Medienanfragen sind seit dem Ampel-Aus am 7. November 2024 allein bei Politikwissenschaftlerin Dr. Julia Reuschenbach eingegangen. Dabei geht es um Regelungen zur Neuwahl, Fragen zur Debattenkultur im Wahlkampf, um das neue Wahlrecht, um Kleinstparteien oder TV-Duelle.
et al.: In zehn Tagen wählt Deutschland – mit welchen drei Begriffen lässt sich diese Bundestagswahl umreißen? Und warum mit diesen?
Julia Reuschenbach: Bedeutsam, offen und anstrengend. Anstrengend, weil es für alle ein kurzer und kräftezehrender Wahlkampf war. Offen, weil viele Fragen offen sind: Wie wirkt sich das neue Wahlrecht aus? Schaffen es BSW und FDP in den Bundestag? Wer erreicht mehr als drei Direktmandate und damit über die Grundmandatsklausel den Einzug ins Parlament? Davon hängt viel ab: Sitzverteilung, Koalitionsmöglichkeiten. Bedeutsam, weil die nächste Regierung große Herausforderungen in schwieriger internationaler Lage meistern muss.
Sind vier Jahre Legislaturperiode zu lang? Sollte der Bundestag öfter gewählt werden, damit schneller darüber abgestimmt werden kann, ob die Parteien, die gewählt wurden, auch im Sinne der Wähler*innen handeln? Oder wie könnten Bürger*innen stärker Einfluss auf die Politik nehmen?
Nein, das denke ich nicht. Repräsentation auf Zeit heißt, dass Regierungen und Parteien wieder abgewählt werden können, aber eben auch, dass es zuvor genügend Zeit geben muss, damit Politik umgesetzt werden und sich in der Praxis bewähren kann. Mehr Partizipation und Teilhabe wären natürlich trotzdem wünschenswert, etwa durch Dialogveranstaltungen auch außerhalb des Wahlkampfes, durch begleitende Bürgerräte oder -foren und auch durch mehr Menschen, die sich selbst in Parteien engagieren.
Was können die Parteien bis zur Bundestagswahl jetzt noch tun, um sicherzustellen, dass Desinformation im digitalen Wahlkampf nicht die Demokratie untergräbt?
Die Debatten um russische Desinformationskampagnen und Elon Musk zeigen, wie wichtig das Thema ist. Parteien sollten daher bei ihren eigenen Kampagnen umso stärker faktenbasiert agieren und eigene Mitglieder und Unterstützer dafür sensibilisieren, Desinformation entlarven zu können. Staatliche Stellen, z. B. das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, müssen unterstützt und gut ausstattet werden. Das ist aber nicht nur ein Job im Wahlkampf, sondern wird etwa durch KI künftig dauerhaft Thema sein. Wichtig ist auch Medienbildung in Schulen.
Dr. Julia Reuschenbach ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Wahl- und Parteienforschung, politische Kommunikation, Debattenkultur.
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Das Berliner Hochschulgesetz ermöglicht, dass die Freie Universität, wie andere staatliche Hochschulen, im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung eigenständig Entscheidungen trifft und Regelungen festlegt. Die Mitglieder der dafür zuständigen Gremien werden von den vier Statusgruppen gewählt.
Der Akademische Senat (AS) beschließt unter anderem Pläne zur Hochschulentwicklung und Ausstattung und stellt die Grundsätze für Lehre, Studium und Forschung auf. Er legt die Anzahl der jährlich zuzulassenden Studierenden fest. Das Gremium ist außerdem beim Haushaltsplan eingebunden und entscheidet mit über die Einrichtung oder Aufhebung von Studiengängen. Zur Wahl des Präsidiums etwa und zum Beschluss über die Grundordnung tritt der AS in erweiterter Zusammensetzung (eAS) zusammen.
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Wie viel ist Ihre Stimme im Akademischen Senat wert?
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Melanie Geuter
Studentin im Masterstudiengang Kunstgeschichte, Mitglied des Akademischen Senats
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Studierende können aktiv und passiv an der Akademischen Selbstverwaltung teilnehmen – indem sie sich für ein Gremium zur Wahl stellen und indem sie wählen gehen. Entscheidende Gremien wie der AS sind allerdings nicht paritätisch besetzt: Die Gruppe der Professor*innen verfügt immer über die absolute Mehrheit. Folglich erscheint der Einfluss, den Studierende haben, mitunter überschaubar, und es ist ungleich schwerer, studentische Interessen durchzusetzen. Das sollte Studierende aber keinesfalls entmutigen, sich zu engagieren. Denn eine Stimme kann nur gehört werden, wenn sie auch eingesetzt wird.“
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Stefan Gosepath
Professor für Praktische Philosophie, Mitglied des Akademischen Senats
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Die Mitbestimmung(smöglichkeiten) an Universitäten als von allen Statusgruppen selbstregierter Institution haben mich schon vom ersten Semester an für eine Laufbahn an einer solchen eingenommen. Deutsche Universitäten mit ihrer akademischen Selbstverwaltung sind in dieser Hinsicht etwas ganz Besonderes. Die FU habe ich immer schon als besonders offen für das persönliche Engagement in den Unigremien empfunden und das auch weidlich genutzt. In den Ämtern erlebe ich immer wieder eine gewisse dialektische Spannung zwischen der Überraschung, was man doch in kollegialer Kooperation bewegen kann, und der Enttäuschung, was man aus unterschiedlichsten Gründen doch nicht zu verändern schafft. Jetzt im AS habe ich dabei den Eindruck, dass meine Stimme Gehör findet, denn hier entscheidet doch zumeist die ‚Macht des Wortes‘ in der Debatte. Wir brauchen mehr Beteiligung bei den Gremien-Wahlen und in den Gremien, denn daran hapert‘s vor allem immer wieder. Nur bei starker Wahlbeteiligung sind die Gremien wirklich repräsentativ.“
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Politikwissenschaftler Mounir Zahran
Bildquelle: Privat
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Demokratie = Veränderung + Stabilität. Geht die Rechnung noch auf?
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Was haben die politischen Systeme der USA, Deutschlands und das gerade im Entstehen begriffene in Syrien gemeinsam? Fragt man Mounir Zahran, Doktorand am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, dann würde er sagen: Sie alle müssen mit der Enttäuschung ihrer Staatsbürger*innen umgehen.
Darin sind Demokratien – normalerweise – auch ziemlich gut: Wer von einer Regierung genug hat, kann sie abwählen; wen ein Gesetz besonders stört, kann eine Partei wählen, die dessen Korrektur verspricht. Demokratien sind anderen Regierungssystemen überlegen, wenn es darum geht, die Enttäuschungen ihrer Bürger*innen zu verarbeiten – vorausgesetzt, alle Beteiligten bleiben überzeugt, dass die fairen und für alle verbindlichen Verfahrensregeln tatsächlich Veränderungen ermöglichen. Gerade aus der Erwartung, zu einem späteren Zeitpunkt nochmals anders entscheiden zu können, schöpft die Demokratie ihre eigentliche Stärke.
Eigentlich. Denn was, wenn die Frustrations-Bewältigungskompetenz von Demokratien an ihre Grenzen kommt? Zum sogenannten Enttäuschungsmanagement in Demokratien forscht Politikwissenschaftler Mounir Zahran.
In den USA zum Beispiel ist die Enttäuschung der Wähler*innen in jüngster Zeit so groß geworden, dass viele das politische System als Ganzes in Frage stellen. Und dann konsequenterweise jemanden wählen, der alles von Grund auf anders zu machen verspricht – so sehr, dass das politische System am Ende vielleicht gar nicht mehr wiederzuerkennen ist. Auch in Deutschland wächst die Enttäuschung am rechten Rand; immer öfter sind nun Appelle zu hören, die Parteien der Mitte müssten das Ding dieses Mal aber nun wirklich hinkriegen, weil sie sonst beim nächsten Mal keine Mehrheit mehr hätten.
Und Syrien? Wie muss nach dem Sturz Assads der neue Staat verfasst sein, damit alle Gruppen und Konfessionen, die sunnitische Mehrheit und die verschiedenen Minderheiten ihre Interessen vertreten sehen, ohne dass jemand enttäuscht wird? Und selbst dann: Die Freude über die wiedererlangte Freiheit wird nicht lange anhalten, wenn die neuen Institutionen es nicht schaffen, die Enttäuschungen, die sie notwendigerweise erzeugen werden, wieder einzufangen und zu verarbeiten.
Von Pepe Egger
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Wir zeigen einen Schnappschuss aus der aktuellen Forschung an der Freien Universität Berlin, und Sie raten, worum es geht. Die Auflösung gibt’s per Klick.
Was wurde hier wie erforscht?
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… den mehrdeutigen Gebrauch von Begriffen zu hinterfragen. In aktuellen politischen Debatten wird „Demokratie“ oft als Kampfbegriff verwendet, dem Begriffe wie „Parteienstaat“, „Heizungsdiktatur“ oder „undemokratische Parteien“ entgegengesetzt werden, was die unscharfe und teils widersprüchliche Verwendung des Demokratiebegriffs verdeutlicht. Was genau wird mit dem Begriff „Demokratie“ eigentlich verteidigt? Je nach Kontext gelten nämlich Wahlergebnisse, Volksentscheide, Parlamentsbeschlüsse, Kabinettsentscheidungen, Gerichtsurteile, Parteiprogramme oder Meinungsumfragen als Maßstäbe demokratischen Handelns.
Die eine Form der Demokratie gibt es nicht
Aristoteles, der im 4. Jahrhundert v. Chr. die Verfassungen von mehr als 150 griechischen Stadtstaaten analysiert hat, verweist darauf, dass es nicht die eine Form der Demokratie gibt. Vielmehr sind Verfassungen in unterschiedlichem Maße von demokratischen Elementen durchdrungen. Das demokratische Verfassungsprinzip bedeutet für Aristoteles, dass alle Bürger allein aufgrund ihres Bürgerstatus’ gleichberechtigt an der Herrschaft beteiligt sein sollen, was in verschiedenen Bereichen einer Mehrheitsherrschaft unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Dadurch entstehen vielfältige Formen demokratischer Ordnung.
Zur Stabilisierung demokratischer Verfassungen und zur Sicherstellung einer Gemeinwohlorientierung empfiehlt Aristoteles eine Mischung verschiedener Verfassungsprinzipien. Dazu gehören unter anderem die Etablierung von Gesetzen sowie Kriterien für den Zugang zu politischen Ämtern und Entscheidungsinstanzen – Regelungen, die zwar in gewisser Weise dem rein demokratischen Prinzip widersprechen, aber dennoch zur langfristigen Stabilität einer Demokratie beitragen können. Schon die Entscheidung, Ämter einzuführen und sie nicht durch ein Losverfahren, sondern durch Wahlen zu besetzen, stellt für Aristoteles eine Abweichung vom rein demokratischen Prinzip dar, da hierbei neben dem Bürgerstatus auch andere Qualifikationen wie Bildung, Einsicht, Wohlstand, Erfahrung oder Herkunft berücksichtigt werden.
Stabile Mischverfassung schützt vor Demagogen
Ebenso kann eine ausgewogene Verbindung demokratischer und anderer Verfassungsprinzipien eine stabile Mischverfassung fördern, die eine Mehrheitsherrschaft langfristig legitimiert und gleichzeitig vor Demagogen sowie einer einseitigen Konzentration von Macht schützt – etwa durch Wahlrechtsbeschränkungen (so werden heutzutage z. B. Richter des Verfassungsgerichts nicht vom Volk gewählt und bedürfen diverser Qualifikationen), die Kontrolle von Amtsträgern (z. B. über Kontrollgremien) oder die Begrenzung von Entscheidungsmacht durch Vorberatungen (siehe die aktuellen Debatten zur Einrichtung von Bürgerräten) und Vetos (z. B. Volksentscheide).
Stärken und Schwächen einer Verfassung verstehen
Entscheidend bleibt für Aristoteles, dass die Bürger die Funktionsweise, Stärken und Schwächen ihrer Verfassung verstehen. Er warnt davor, ein verkürztes Freiheits- und Demokratieverständnis zu pflegen, das um jeden Preis den größtmöglichen Grad an demokratischer Beteiligung fordert. Dazu zählt etwa die pauschale Diffamierung unliebsamer Gerichtsurteile, Parlamentsbeschlüsse oder Regierungsentscheidungen als „undemokratisch“, wenn sie nicht durch eine demoskopische Mehrheit gedeckt sind. Eine solche Vorstellung von Demokratie greift jedoch zu kurz. Eine stabile Demokratie beruht nach Aristoteles nicht allein auf der Durchsetzung von Mehrheitsmeinungen, sondern auch auf institutionellen Strukturen, die ihre Funktionsfähigkeit und Beständigkeit sichern. Man dürfe daher nicht der Auffassung sein, dass demokratisch alles sei, was einen Staat im radikalsten Sinne demokratisch regiert. Demokratisch sei vielmehr das, was dazu beiträgt, eine demokratische Grundordnung langfristig zu bewahren.
Ein Beitrag von Christian Vogel, Professor für Gräzistik an der Freien Universität Berlin
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- Wöchentliches Insta-Live zur Bundestagswahl mit Thorsten Faas und Julia Reuschenbach: Am Mittwoch, 19.2.2025. schon um 18 Uhr auf dem Kanal @polsozosifu. Dieses Mal geht es um Wahlabende (u. a. Wie entstehen Exit Polls und Nachwahlbefragungen? Wie erleben Journalist*innen den Wahlabend ,und was folgt daraus für die Berichterstattung? Was hat sich im Verlauf der Zeit an Wahlabenden wie verändert?). Thorsten Faas und Julia Reuschenbach sprechen mit Yvonne Schroth von der Forschungsgruppe Wahlen und dem Phoenix-Hauptstadtkorrespondenten Erhard Scherfer.
- SCRIPTS-Podiumsdiskussion „Neue Regierung, andere Außenpolitik? Deutschlands internationale Herausforderungen“, am 6. März 2025, 18:30 Uhr, Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, Unter den Linden 78, 10117 Berlin
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Heute brauchen wir Ihr Gespür für verborgene Verbindungen! In diesem Rätsel gilt es, aus 16 Wörtern vier Gruppen zu je vier Begriffen zu bilden, die durch eine gemeinsame Eigenschaft verbunden sind.
Ein Beispiel: Was haben NEU, DAMEN, DURCH und STICH gemeinsam? Die Lösung: Sie alle lassen sich mit WAHL kombinieren.
Nun sind Sie dran: Finden Sie die versteckten Muster und bringen Sie die passenden Begriffe zusammen. Viel Erfolg!
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