Liebe Oma, die FU hat mir gesagt, ich soll Dir erklären, was die FU ist. Das ist eine schwierige Aufgabe. Du bist ja seit vielen Jahren dement und kannst gar nicht mehr zuhören oder gut verstehen. Aber weißt Du, so ist es an der FU auch: Das ist über die Jahre eine alte Frau geworden, die gar nicht mehr versteht, was eigentlich um sie herum los ist. Sie baut sich eine eigene Welt – auch Du erzählst ja gern von früher – in der sie als hippe, bunte Universität erscheinen will. Sogar das Präsidium macht eigene kleine Videofilmchen, kannst Du Dir das vorstellen? Deine Urenkel nennen das „Cringe“, kennst Du das Wort? Du hast uns oft von Deiner Flucht aus Schlesien erzählt, von dem Hunger und den Entbehrungen. Und der Freude, wenn Ihr in Gärten reifes Obst gefunden hattet – und der Enttäuschung, wenn der äußere Eindruck täuschte und sich die schöne glatte Schale als verfaultes Inneres entpuppte. Auch so kannst Du Dir die FU vorstellen! Es wird viel dafür getan, die Außendarstellung aufzupolieren, aber im Inneren ist es an vielen Stellen marode und verfault. Viele kleine Geister versuchen weiterhin, das System am Laufen zu halten – in der Verwaltung und beim wissenschaftlichen Personal. Aber kannst Du Dir vorstellen, dass das keinen interessiert? Es wird sogar gesagt, wir würden die Stellen verstopfen, weil wir an einer kontiuierlichen Beschäftigung interessiert sind! Uns wird das Gehalt gekürzt, weil die Personalstelle nicht ordentlich funktioniert! Uns wird unterstellt, wir würden Reisemittel illegitimerweise unterschlagen und es uns auf Kosten unseres selbst eingeworbenen Geldes bereichern! Mal abgesehen davon, dass die Infrastruktur so marode ist, dass jeder Homeofficearbeitsplatz mittlerweile besser ausgestattet ist. Aber im Homeoffice sollen wir ja nicht arbeiten, da sind wir ja alle faul.
Liebe Oma, manchmal ist die Demenz auch ein Glück, Du kannst Dir das anhören und gleich wieder vergessen und von schönen Zeiten schwärmen. Ich nicht.
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