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Regen statt Schnee

In ihrer dritten Post aus Sankt Petersburg berichtet Lilia Becker vom milden russischen Winter und bewegenden Begegnungen am Ende des Semesters

19.02.2020

Lilia Becker im „Museum Straße des Lebens“ (Muzey Doroga Zhiznis) in Kobona, einem Dorf unweit von Sankt Petersburg.

Lilia Becker im „Museum Straße des Lebens“ (Muzey Doroga Zhiznis) in Kobona, einem Dorf unweit von Sankt Petersburg.
Bildquelle: Konstantin Petrov

Entgegen meiner Erwartung und den Befürchtungen von Familie und Freunden ist der russische Winter bisher sehr mild. Leider – denn ich hatte mich auf Eisbaden, Spaziergänge auf zugefrorenen Kanälen und wärmendes Hochprozentiges an verschneiten Tagen gefreut. Ein paar Klischees wollte auch ich abgreifen.

Jedoch macht der Klimawandel selbst vor den Toren Russlands nicht Halt und so wundern sich nicht nur Hiesige, sondern auch Touristen über die Temperaturen. Statt Schnee gibt es fast täglich Regen. So verbinde ich jetzt schon das sanfte Prasseln des Regens auf den buntgestrichenen Blechdächern Sankt Petersburgs mit meinem russischen Winter.

Der echte russische Winter am Meeresstrand im Sankt Petersburger Vorort Repino.

Der echte russische Winter am Meeresstrand im Sankt Petersburger Vorort Repino.
Bildquelle: Lilia Becker

Das Wasser am Ufer des finnischen Meerbusens ist zugefroren.

Das Wasser am Ufer des finnischen Meerbusens ist zugefroren.
Bildquelle: Lilia Becker

Ich habe an einem Seminar des Deutsch-Russischen Begegnungszentrums im Sankt Petersburger Vorort Repino teilgenommen. Dort, am Ufer des Finnischen Meerbusens spürte ich dann doch noch etwas vom richtigen russischen Winter: Die Seminar-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer wurden an dem eisigen Strand, dessen Meeresufer gefroren war, in Empfang genommen.

In dem Seminar ging es um die mediale Aufarbeitung der Leningrader Blockade – eines der größten Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs: Von September 1941 bis Ende Januar 1944 hielten die deutschen Truppen die Stadt mit der Absicht eingeschlossen, die Bevölkerung systematisch verhungern zu lassen; man geht von etwa 1,1 Millionen zivilen Opfern aus.

Ein Seminar des deutsch-russischen Begegnungszentrums beschäftigte sich mit der medialen Aufarbeitung der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg, die mehr als eine Million zivile Opfer gefordert hat.

Ein Seminar des deutsch-russischen Begegnungszentrums beschäftigte sich mit der medialen Aufarbeitung der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg, die mehr als eine Million zivile Opfer gefordert hat.
Bildquelle: Konstantin Petrov

Lilia Becker konnte bei dem Seminar mit Zeitzeugen sprechen, die die Leningrader Blockade miterlebt haben.

Lilia Becker konnte bei dem Seminar mit Zeitzeugen sprechen, die die Leningrader Blockade miterlebt haben.
Bildquelle: Konstantin Petrov

Im Rahmen des Seminars hatte ich die Möglichkeit, mit russischen und deutschen Journalistinnen und Journalisten zu reflektieren, wie sich außerhalb des akademischen Kontextes über historisches Leid schreiben lässt. Besonders prägend waren für mich die persönlichen Zeitzeugengespräche. Die Schicksale dieser mittlerweile sehr betagten Menschen, die die Blockade ihrer Stadt noch miterlebt haben, machten die Tragödie für mich greifbarer. Im Gespräch mit ihnen wurden Millionen Tote etwas weniger anonym und mir wurde noch bewusster, wie sehr der Zweite Weltkrieg das Leben vieler Petersburger Familien bis heute prägt. So habe ich erfahren, dass fast jeder Bewohner der Stadt damals Angehörige verloren hat.

Auf das Seminar folgte die Prüfungszeit an meiner Gastuniversität und damit auch für mich das Schreiben von Essays und die Vorbereitung auf die mündlichen Prüfungen. Danach möchte ich einige Fahrten ins Landesinnere unternehmen und freue mich jetzt schon auf lange Zugfahrten, bei denen ich mein Auslandssemester Revue passieren lassen kann.

Weitere Informationen

Lilia Becker ist eine von elf Autorinnen und Autoren, die von ihren Auslandsstudienaufenthalten für campus.leben berichten, alle Beiträge finden Sie hier.

Die erste Post von Lilia Becker finden Sie hier auf Deutsch und auf Englisch; ihre zweite Post wurde ebenfalls auf Deutsch und auf Englisch veröffentlicht.