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Eröffnung der Philologischen Bibliothek: Grusswort des Präsidenten, FU Berlin

Längsschnitt durch die Foster-Bibliothek

 

Grußwort anlässlich der Eröffnung der Philologischen Bibliothek

Univ.-Prof. Dr. Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin (2003-2010)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Freunde der Freien Universität Berlin,

als wir im vergangenen Jahr den 50. Geburtstag des Henry Ford Baus, unseres ersten zentralen Gründungsbaus der Freien Universität Berlin, feiern konnten, haben wir Bürger und Bürgerinnen der Stadt in einen Ausstellung eingeladen mit dem Titel "Zukunft von Anfang an. Zur Geschichte und zum Profil der Freien Universität Berlin". In einem Moment des Innehaltens wollten wir mit Ihnen gemeinsam auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, um aus diesem Eindruck eine Vorstellung über die Zukunft der Freien Universität Berlin zu gewinnen.

Wenn die Ausstellung die Freie Universität als eine Universität zeigte, die 1948 in der Krise entstanden ist, Krisen durchlebte und Umbrüche mitgestaltete, um sich nach der deutschen Wiedervereinigung aufzumachen, ihre neue und gleichzeitig alte Rolle als junge, internationale, dynamische, weltoffene Spitzenuniversität neu zu finden, so blicken wir nun ein Jahr später mit der Eröffnung der Philologischen Bibliothek von Lord Norman Foster in die Zukunft der Freien Universität, die den anstehenden Exzellenzwettbewerb als eine der leistungsstärksten Universitäten des Landes bestreitet, nicht zuletzt weil wir durch die Einführung der interdisziplinären und an Megatrends orientierten Cluster-Strukturen gut darauf vorbereitet waren.

Mit der Bibliothek von Lord Norman Foster, einem architektonischen Kunstwerk besonderer Art, gewinnt Dahlem, einer der wichtigsten Wissenschaftsstandorte in Berlin, ein neues Wahrzeichen.

Die Freie Universität Berlin hat sich Zwängen nie unterwerfen wollen, auch denen einer uniformen Architektur nicht. So wie sie Austragungsort wissenschaftlicher Dispute und Diskussionsforum der großen Themen in den zurückliegenden 60 Jahren gewesen ist, ein freier Platz des Denkens für freie Menschen, so hat sie sich auch die Freiheit mitgenommen, die jüngere Architekturgeschichte gewissermaßen durchzubuchstabieren.

Seit den 80er Jahren ist es in der Architekturtheorie üblich geworden, die zurückliegenden fünfzig bis sechzig Jahre in etwa fünf kleinere Phasen zu differenzieren. In jeder dieser, durch die Entwicklung des Landes, in besonderer Weise aber auch Berlins, gekennzeichneter Phasen ist für die und in der Freien Universität gebaut worden:

In der Phase des Wiederaufbaus zwischen 1945 und 1955 wurden der Freien Universität erhalten gebliebene Gebäude der Humboldt-Universität und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zugewiesen und funktionstüchtig gemacht. Insofern partizipiert die Universität auch an der architektonischen Grundkonstruktion, die 1910 mit der Begründung des Dahlemer Campus als das Oxford Deutschlands gemeint war: Eine Mischbebauung aus Institutsgebäuden der damaligen Berliner Universität und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit Villen für das wissenschaftliche Personal. In diesen Institutsgebäuden, die heute der Freien Universität gehören, ist Wissenschaftsgeschichte geschrieben worden von Einstein über Otto Hahn und Liese Meitner bis zu Fritz Haber hat auf dem Campus der Freien Universität geforscht, was weltweit Rang und Namen hat, und insoweit ist auch architekturgeschichtlich die Freie Universität Bestandteil des bereits vor 100 Jahren durch den letzten Kaiser eingesetzten Modernisierungsschubs für die Deutsche Wissenschaft.

Zwischen 1955 und 1968, in der so genannten Wohlstandsphase, entstand gewissermaßen der Gründungsbau der Freien Universität. Der Henry-Ford-Bau, finanziert von der Henry-Ford-Stiftung und realisiert nach den Plänen von Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller, steht in der Tradition von Universitätsgebäuden wie Gropius sie für die Harvard University bereits in den 40er Jahren und Mies van der Rohe für das Illinois Institute of Technology konzipiert hatte. Mies van der Rohe hat mit den Hauptbaustoffen Stahl und Glas kühle Lautlosigkeit, Anonymität und mit diesen wiederum Eleganz assoziiert. Da die Freie Universität als Nachkriegsgründung im Gegensatz zur Ostberliner Humboldt-Universität eine Auseinandersetzung mit einer eigenen nationalsozialistischen Geschichte nicht führen musste, war die in gewisser Weise geschichtsneutrale Bauart für eine Universität mit einer "Zukunft von Anfang an" eine adäquate Stilwahl. Das gilt in ähnlicher Weise auch für das Universitätsklinikum Benjamin Franklin, das gleichfalls aus amerikanischen Spenden finanziert worden ist.

Zwischen 1968 und 1980 hat mit der breiten Demokratisierungswelle auch in der Architektur der Freien Universität ein neues Denken eingesetzt. Für diese Phase ist charakteristisch der im Berliner Volksmund lange als "Rostlaube" bzw. "Silberlaube" bezeichnete Gebäudekomplex zwischen der Habelschwerdter Allee und der Fabeckstraße von Georges Candilis, Alexis Josic, Shadrach Woods und Manfred Schiedhelm. Das großflächige Areal für die Geistes-und Sozialwissenschaften verzichtet auf Größe, Repräsentativität und Symbolik. Gleichwohl steht er mit seiner verschachtelten Form und seinen "Straßen" für eine Wiederaufnahme der Idee eines "Gitternetzes der Wissenschaft", die am Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Die Planer des Wissenschaftscampus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der damaligen Berliner Universität, der heute der Campus der Freien Universität ist, verfolgten die Idee, über Dahlem ein Netz von "Straßen" zu legen, von denen drei, die J-, die K- und die L-Straße, heute genau durch das große Areal der Geistes- und Sozialwissenschaften verlaufen, gewissermaßen als das Zentrum der Wissenschaftsarchitektur in Dahlem.

Das am Beginn der 80er Jahre einsetzende postmoderne Jahrzehnt, nicht unumstritten wegen seines dezidierten Verhältnisses zur Historizität, findet in der Architektur der Freien Universität gleichfalls seinen Niederschlag. In der reinsten Form wohl in dem eher kleinen Gebäude von Peter Beller an der Altensteinstraße/Schwendenerstraße, in dem sich heute das Praktikum der Physik und die naturwissenschaftliche Didaktik befinden oder auch in dem Institut für Philosophie, das nach Plänen von Hinrich und Inken Baller entstand. In der Rezeption der Auseinandersetzungen über den französischen Poststrukturalismus ist die Freie Universität in Deutschland führend gewesen und hat damit auch theoretisch einen wesentlichen Beitrag zur Diskussionskultur dieser Phase geleistet.

Mit der deutschen Wiedervereinigung begann eine neue historische Epoche Deutschlands und damit insbesondere der ehemals geteilten Hauptstadt. In dieser Phase hat sich die gesamte Aufmerksamkeit auf den Wiederaufbau der Humboldt-Universität gerichtet. Mit einer Ausnahme gab es für die Freie Universität keine wesentlichen Finanzmittel für neue Bauten. Die Ausnahme ist allerdings ein weiterer Höhepunkt in der Architekturgeschichte der Freien Universität. Es die geisteswissenschaftliche Bibliothek von Lord Norman Foster. In den absoluten Mittelpunkt des Dahlemer Wissenschaftscampus der Freien Universität gesetzt, wird sie das Gebäude sein, mit dem die Freie Universität in markanter Weise konnotiert wird. Was kann anderes im Zentrum eines Universitätscampus liegen als, wie Norman Foster es nennt, "The Brain"?

Werfen wir nun einen Blick auf die Geschichte dieses Baus: Es war 1997, als Lord Norman Foster im Gutachterwettbewerb zur Sanierung und zum Umbau der "Rostlaube" für seinen Entwurf zum Einbau der Philologischen Bibliothek den ersten Preis erhielt. Damals sah sein Konzept der Hofüberbauung eine transparente Konstruktion mit einem Stahl-Glas-Dach vor. Seither haben Lord Foster und sein Team das Entwurfskonzept bis heute in einer Weise weiterentwickelt, die zu einem völlig neuen Ansatz geführt hat: Statt die einzusetzenden Bauteile mit dem Altbau mehrfach zu verzahnen, entstand ein vollkommen frei stehender Baukörper, der nur mit zwei Übergängen an die Straßen K und L angebunden ist. Diese kuppelförmige Hüllfläche spannt sich weit über einen kompakten Geschossbau mit fünf Ebenen (zunächst waren sechs geplant, was aber aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden konnte), auf denen die Bücher der Philologischen Bibliothek aufgestellt sein werden. Überhaupt waren die finanziellen Bedingungen, unter denen der Bau entstand, mehr als schwierig: nicht nur die Reduzierung um ein Stockwerk bedeutete einen schmerzhaften Einschnitt in das Konzept von Lord Foster, der Baufortschritt stockte mehrfach und drohte ganz zum Erliegen zu kommen, weil die Mittel der Stadt nicht ausreichten, so dass wir alle lange auf die Fertigstellung des Baus warten mussten und ihn am Ende erst durch die Beteiligung der Universität vollendet sehen können.

Nachdem die ersten vorbereitenden Arbeiten auf der Baustelle im Januar 2002 begonnen hatten, waren bereits zwölf Jahre seit dem Zeitpunkt vergangen, als die hohe Asbestbelastung in der "Rostlaube" entdeckt, in der Folge sowohl die dringend notwendige technische Sanierung des Gebäudes beschlossen, wie auch ein neues Nutzungskonzept festgelegt worden war, das die Zusammenführung aller Philologien und die Errichtung einer gemeinsamen Bibliothek zum Ziel hatte. Und so soll es auch weitergehen: ein Campus nach internationalem Vorbild wird das Dahlemer Universitätsgelände der Freien Universität werden: Von der Garystraße bis zur Königin-Luise-Straße erstreckt sich ein breites Band von differenzierter, zum Teil hinreißender Architektur, in der zu arbeiten, zu forschen, zu lehren und zu lernen ein besonderes Privileg ist. Die Anstrengungen der Freien Universität konzentrieren sich deshalb auch darauf, die noch vorhandenen Lücken in diesem Band zu bebauen. So konnte der Architekturwettbewerb für das Gebäudeensemble der "Kleinen Fächer" und ihrer Bibliothek im Anschluss an die Silberlaube abgeschlossen werden. Sieger des Wettbewerbs ist der Münchner Architekt Florian Nagler. Die Freie Universität wird die einmalige Chance nutzen, einen kohärenten Campus zu bauen, in dem nahezu jeder Platz fußläufig erreichbar ist.

Der Campus der Freien Universität muss dann ein Bestandteil Dahlems sein, der den Stadtteil belebt und der durch ihn, seine Infrastruktur, zu der auch der Bau eines Kongresshotels gehören soll, selbst belebt wird.

So wollen wir eingedenk des "Dahlem Mythos" und der damit verbundenen Tradition sowie in Anbetracht unserer neuen Philologischen Bibliothek von Lord Foster unsere Tage, die in unserer Gesellschaft so viel Veränderung fordern, auch als Tage des Aufbruchs begreifen, die wir in der Wissenschaft gemeinsam nutzen müssen, um den Wissenschaftsstandort Berlin nicht nur zu sichern, sondern auszubauen, denn in Wissenschaft und Bildung liegt nicht nur die Zukunft unserer Stadt, sondern unser aller Zukunft.

In einer Stunde wie dieser sind deshalb all die Komplikationen, Hindernisse und Verwirrungen vergessen, die den Bau begleitet haben, dessen Realisierung immerhin, vom Gutachterwettbewerb 1997 an gerechnet, 8 Jahre gedauert hat und im Grunde noch nicht zu Ende ist, denn ein ganzes Jahr lang müsste eigentlich die Klimaregulierung des Gebäudes vollzogen werden. Für die Regelungstechnik gibt es noch gar keine Software, Mehrkosten im Projektverlauf mussten von der Freien Universität übernommen werden. Sie befinden sich im siebenstelligen Bereich.

Ich danke der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, vor allem Senatsbaudirektor Hans Stimmann für seine Weitsicht, Lord Foster mit diesem Projekt zu beauftragen. Darüber hinaus danke ich allen am Bau Beteiligten externen wie internen für den Beitrag, den Sie mit unermüdlichem Engagement geleistet haben, damit wir heute hier stehen und unseren Philologien eine neue Heimat übergeben können. Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank Lord Foster und seinen Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit über die Jahre hinweg.

Ich wünsche Ihnen allen nun einen beeindruckenden Spaziergang durch die Bibliothek und unseren Wissenschaftlern und Studenten, dass Sie hier einen besonderen Ort der wissenschaftlichen Begegnung und des Austausches finden werden. Vielleicht spüren Sie etwas von dem noch einmal, was für die Freie Universität Ausgangspunkt Ihrer Existenz ist: Freiheit und Zukunft von Anfang an.

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