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„Wissen ist der beste Tierschutz“

Was macht man eigentlich als "oberste Tierschützerin" der Freien Universität?

25.08.2017

Reduction und Refinement sollen Forscher zusammenzubringen, damit Versuchstierzahlen sinken können

Reduction und Refinement sollen Forscher zusammenzubringen, damit Versuchstierzahlen sinken können
Bildquelle: Michael Fahrig

Informieren, bewerten, forschen

Informieren, beraten, bewerten und selbst forschen. Das sind kurz umrissen die Aufgaben von Christa Thöne-Reineke. Die Tierärztin ist Professorin für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin und gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Mechthild Ladwig-Wiegard zugleich Tierschutzbeauftragte für die Fachbereiche Veterinärmedizin und Biologie-Chemie-Pharmazie. Aber was macht die „oberste Tierschützerin“ der Universität eigentlich genau?

„Zu mir kommen die Wissenschaftler bereits wenn sie einen Tierversuch planen. Ich bin verpflichtet, sie zu beraten und gemeinsam mit ihnen im Sinne der 3R auf den Einsatz möglichst wenig belastender Methoden hinzuwirken. Dazu gehört unter anderem eine schonende Narkose, Schmerzmanagement, die Festlegung von Abbruchkriterien und die Überwachung der Versuchsdurchführung sowie das Erstellen der erforderlichen Aufzeichnungen.“ Liegt der Tierversuchsantrag dann später auf dem Schreibtisch, muss die Tierschutzbeauftragte ihn bewerten. Auch in den gesamten Schriftverkehr mit der Genehmigungsbehörde ist ein Tierschutzbeauftragter eingebunden, berät die Wissenschaftler/innen außerdem über geeignete Haltungsbedingungen für Versuchstiere und hat das Recht einen laufenden Versuch abzubrechen, falls er in irgendeiner Form tierschutzwidrig ausgeführt wird.

Erarbeitung einer Datenbank für Tierversuchsvorhaben an der Freien Universität

Zu Thöne-Reinekes Aufgaben gehört auch viel „Formales“, denn als Tierschutzbeauftragte muss sie die entsprechenden deutschen und europäischen Gesetze an der Freien Universität umzusetzen. So hat sie unter anderem die EU-Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren von „juristendeutsch“ in „verständlich“ übersetzt sowie eine konkrete Richtlinie für die Umsetzung europäischen Rechts an der Freien Universität verfasst. Außerdem wurde ein Tierschutzausschuss an der Universität eingerichtet, der regelmäßig tagt. Aktuell erarbeitet Christa Thöne-Reineke eine Datenbank für alle Tierversuchsvorhaben an der Freien Universität.

Ein Projekt liegt ihr besonders am Herzen: Sie möchte uni-weit abfragen und zusammenstellen welche Tiermodelle und welche tierexperimentellen Methoden an der Freien Universität überhaupt eingesetzt werden. „Oft werde ich gefragt: Kennen Sie nicht jemanden, der diese oder jene Methode beherrscht?“

Forscher vernetzen

Darüber hinaus ist ein Forscher häufig nur am Gehirn von Mäusen interessiert. Ein anderer benötigt dagegen zum Beispiel einzig die Nieren. Manchmal sitzt der „passende“ Kollege nur zwei Stockwerke entfernt im gleichen Institut – aber beide wissen nichts voneinander. „Tiermodelle sind oft der „Schatz“ einer Forschungseinrichtung. Nach Abschluss einer Studie werden sie natürlich publiziert. Aber ich erfahre ja bereits in der Initialphase davon, kann den entsprechenden Wissenschaftler fragen, ob er an einer Kooperation interessiert ist und ob ich den Kontakt herstellen darf.“

Es ist ganz im Sinne von Reduction und Refinement zwei Forscher zusammenzubringen, damit Tiere, die ohnehin am Ende sterben müssen, möglichst so genutzt werden, daß die absoluten Versuchstierzahlen sinken können. „Auf diese Weise sind schon vielversprechende Kooperationen zustande gekommen“, ist Christa Thöne-Reinekes Erfahrung. Mit dem Einverständnis aller ein internes Netzwerk aufzubauen, könnten der Forschung auch wertvolle neue Impulse gegeben werden.

Professorin Christa Thöne-Reineke leitet das Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde

Professorin Christa Thöne-Reineke leitet das Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Weiterbildungs-Webinar zum Thema 3R

Als Professorin hat Christa Thöne-Reineke selbstverständlich auch Lehrverpflichtungen. Sie bietet unter anderem Fortbildungen in Versuchstierkunde für Studierende und Doktoranden an, denn jeder Forscher, der Tierversuche durchführt, muss sich regelmäßig auf den neuesten wissenschaftlichen und rechtlichen Stand bringen. Dazu gehört auch das Wissen um relevante Alternativmethoden. Zu diesem Zweck hat sie ein Webinar zum Thema 3R und Alternativmethoden in Forschung und Lehre eingerichtet und hält Vorlesungen über Tierschutz, Recht und Ethik. „Vorlesungen über Tierverhalten (Ethologie) gehören ebenfalls zu unseren Aufgaben, denn Wohlergehen oder Belastung etwa im Rahmen eines Tierversuchs kann nur beurteilen, wer weiß, was zum artgemäßen Verhalten einer Spezies gehört.“

Mögliche Belastungen der Tiere müssen bereits im Tierversuchsantrag realistisch und wissenschaftlich fundiert eingeschätzt werden. „Bisher geschah das meist im Analogieschluss – vom Mensch auf das Tier. Aber es muss tatsächlich tierart-spezifisch beurteilt werden. Am besten anhand solider wissenschaftlicher Daten“, betont Thöne-Reineke. Auf diesem Gebiet betreibt die Tierärztin eigene Forschung. Mit ihrem Team bewertet sie unter anderem mit Hilfe eines Mouse Grimace Scale und Verhaltenstests Eingriffe an Labormäusen.

Das Wohlergehen der Tiere ist die oberste Priorität

Doch nicht nur im Zusammenhang mit Labortieren soll Tierverhalten verstanden und interpretiert werden. In der öffentlichen Diskussion spielt das Tierwohl bei landwirtschaftlichen Nutztieren eine große Rolle. Auch das Wohlergehen von Tieren in privaten Haushalten gerät zunehmend in den Fokus.

Ob bei Haushund, Milchkuh oder Laborratte – für Christa Thöne-Reineke hat das Wohlergehen und der Schutz von Tieren oberste Priorität. Ihre wichtigste Aufgabe als Tierschutzbeauftragte und Professorin sieht sie darin, umfassendes Wissen über den artgerechten Umgang mit Tieren und Tiergesundheit zu vermitteln. „Denn Wissen ist der beste Tierschutz.“

Wenn Thöne-Reineke und ihre Stellvertreterin selbst Untersuchungen durchführen, können sie natürlich nicht ihre eigenen Tierschutzbeauftragten sein. Für diese Fälle gibt es eine dritte Tierschutzbeauftragte, welche die Forschungsvorhaben der obersten Tierschützerin der Freien Universität im Sinne der 3R kritisch hinterfragt und bewertet.