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Die Geschlechterdifferenz Aus-Denken

Im Streikwinter 1988/89 begannen die unimutig gewordenen Philosophie-Studentinnen das Lehrangebot ihres Instituts mit kreativer Lust um neue Inhalte anzureichern. Den Ausgang bildete das am Institut beobacht- und erfahrbare Selbstverständnis der Geschlechterdifferenz als Geschlechterhierarchie. Sie manifestierte sich in der nahezu vollständigen Abwesenheit von Frauen in Forschung und Lehre.

So konstituierte sich die Projektgruppe "Frauen in der Philosophie". Mit drei universitären Ringvorlesungen, eigenständig konzipiert und organisiert, meldete sich die Projektgruppe ab dem Sommer 1989 über die Fachbereichsgrenzen hinaus zu Wort. Mit den Titeln „Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftskritik“, „Die Geschlechterdifferenz Aus-Denken: Philosophinnen stellen sich vor“ und „Die Geschlechterdifferenz Aus-Denken: Feministische Positionen überdenken“ werden zugleich auch Denkrichtungen und Diskursentwicklungen benannt.

Allein mit kreativer Lust, ohne gleichzeitige Initiativen zur Frauenförderung, ist allerdings das längerfristige Ziel der Etablierung von Frauenforschung und Feministischer Theoriebildung am Philosophischen Institut der Freien Universität kaum zu erreichen. Erste Anstrengungen hier konkretisierten sich 1991 in einer erstmals in der Bundesrepublik direkt für „Philosophische Frauenforschung“ausgeschriebenen Stelle für eine wissenschaftliche Assistentin. Kurz zuvor waren vier wissenschaftliche Mitarbeiterinnen eingestellt worden, die sich zugleich auch der Geschlechterforschung widmeten. Auch die Vergabe von Lehraufträgen stärkte diese Fachrichtung und so gelang es, 1995 im Stellenplan des philosophischen Instituts eine C3-Professur mit der Ausrichtung „Philosophie in der Perspektive feministischen Kritik“ vorzusehen.

Diese Planung fiel dem immer stärker werdenden Finanzdruck zum Opfer und hatte doch zur Folge, dass Geschlechterforschung als Teil einer Disziplin Philosophie sich auch an der Freien Universität Berlin etablierte. In all diesen dem Streiksemester folgenden Jahren war die Projektgruppe aktiv am inner- und außeruniversitären Diskurs beteiligt, so auch 1992 mit der Organisation des Colloquiums „Frauenforschung/Feministische Wissenschaft. Etablierung eines Ausschlusses?“

Dieses außergewöhnliche Engagement der studentischen Initiative „Frauen in der Philosophie“ und ihrer „ungewöhnlich qualifizierten“ Projekte begründete für den Frauenrat der Freien Universität die Empfehlung für den Margeritha-von-Brentano-Preis. Für die Mitglieder der Gruppe war die Entscheidung der Jury schon deshalb ein Anlass zu großer Freude, weil sie sich als Philosophinnen seiner Namensgeberin in besonderer Weise verbunden fühlten. Mit ihrem an Kant geschulten kritischen Intellekt war es Margherita von Brentano gelungen, ein „Bild“ in Frage zu stellen, das die Philosophen-Zunft „gefangen hält“: das Bild des einen Geschlechts als des zum Denken abstrakter Gegenstände ungleich besser befähigten. Noch vor der Preisverleihung war die Vorbereitung für die nächste große Veranstaltung angelaufen, das 1997 mit Fachbereichen der Technischen Universität Berlin sowie dem Einstein Forum realisierte Colloquium „Leiblichkeit/Performativität und Geschlecht“ mit der Philosophin Elisabeth List. Mit dem Preisgeld konnte der dort begonnene philosophische Diskurs zum Begriff Geschlecht fortgesetzt und vertieft werden. Die interdisziplinäre Tagung „Wahrnehmung. Ästhetik. Geschlecht.“ wurde geplant und im Mai 1998 realisiert.

Neu war die Konzeptualisierung der Tagung am Leitfaden der offenen Fragen, welche die feministische Auflösung der problemlos scheinenden Verbindung zwischen Körper und Geschlecht aufgeworfen hatte. Auskunft über die in den Vorträgen vorgeschlagenen Antworten gibt der Tagungsbericht in der Zeitschrift „Die Philosophin“ (Heft 18, 1998). Das große Interesse an der Tagung und die lebhaften Diskussionen bezeugten die Aktualität der Problemstellungen.

Wie alle früheren Veranstaltungen sollte auch diese mit dem Preisgeld finanzierte vor allem Studentinnen ermuntern, ihre eigenen Fragestellungen zu präzisieren und in Arbeitsschwerpunkte umzusetzen. Auch heute, wiewohl die Studentinnen von einst ihre Abschlüsse haben, ist das Thema präsent und seit Oktober mit der C2-Stelle „Philosophische Anthropologie, Phänomenologie und Geschlechtertheorie“ vertreten.

Die Laudatio hielt Prof. Dr. Christine Keitel-Kreidt (Vorsitzende des zentralen Frauenrats).