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Frauen – Recht auf selbstbestimmtes Leben

Die aktuelle Migrationsdebatte bewegt sich im Spannungsfeld von Integrationsforderungen einerseits und interkultureller Toleranz anderseits. Die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates, die sich seit über 20 Jahren beruflich und öffentlich für die Rechte von Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund einsetzt, hat dieses Spannungsfeld auch am eigenen Leib erfahren.

Seyran Ates , 1963 in Istanbul geboren, kam als Sechsjährige nach Berlin-Wedding. Während ihre Erziehung islamisch geprägt war, erlebte sie in der Schule neue Freiheiten. Diese Diskrepanz wurde schließlich so belastend, dass sie mit 17 Jahren das Elternhaus verließ. Das Jurastudium an der Freien Universität Berlin finanzierte sie sich unter anderem durch die Mitarbeit im Kreuzberger Frauenladen TIO (Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei), an den sich vorrangig türkische und kurdische Migrantinnen wandten, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. 1984 wurde Seyran Ates dort Opfer eines Attentats durch ein Mitglied der rechtsextremen, türkisch-nationalistischen Organisation „Grauen Wölfe“. Ates überlebte mit lebensgefährlichen Verletzungen, eine Frau starb. Erst nach sechs Jahren Heilungsprozess konnte sie ihr Studium an der Freien Universität Berlin fortsetzen und es 1997 mit dem Zweiten Staatsexamen beenden.

Im gleichen Jahr eröffnete Ates eine Kanzlei in Berlin. Auf Familien- und Strafrecht spezialisiert, vertrat sie vorrangig Frauen aus muslimischen Ländern. Auch öffentlich bezieht sie unbequeme Positionen in der Integrationsdebatte. So kämpft sie gegen die Haltung, die Unterdrückung von Frauen als vermeintlichen Teil einer anderen Kultur hinzunehmen. Sie tritt vehement für das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit von Frauen ein und gehört zu den Verfechterinnen des Gewaltschutzgesetzes.

Als Rechtsanwältin fordert sie einen angemessenen juristischen Umgang mit Missständen und Gewalt; etwa die Schaffung eines eigenständigen Straftatbestandes als Verbrechenstatbestand bei Zwangsverheiratungen. Auch häusliche Gewalt und „Ehrenmorde“ bedürfen aus ihrer Sicht einer Rechtssprechung, die sich nicht zum Nachteil der Opfer auf kulturelle Eigenheiten beruft und damit Menschenrechtsverletzungen billige. In diesem Kontext kooperiert sie auch mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSDV).

Seit 1983 hat Seyran Ates verschiedene Frauenprojekte mitgegründet und in Organisationen mitgearbeitet, die sich für Frauenrechte einsetzen. Sie ist Vorstandsmitglied bei Wildwasser e.V. in Berlin, einer Vereinigung gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen.
Ebenfalls als Vorstandsmitglied ist sie im Bund gegen ethnische Diskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland (BDB) aktiv. Als Expertin für Menschenrechtsfragen und Migrationspolitik vertritt Ates ihre Positionen engagiert in der Öffentlichkeit.

Im Sommer 2006 wurden die Bedrohungen und Attacken auf ihre Person und ihre Klientinnen so massiv, dass Seyran Ates die Zulassung als Rechtsanwältin zurückzog und ihre Kanzlei auflöste. Dieser Schritt stieß eine bundesweite Debatte an und bewirkte eine Vielzahl von Solidaritätsbekundungen und Unterstützungsangeboten.
Ob Seyran Ates ihr Mandat wieder aufnehmen wird, ist derzeit noch offen.

Die Arbeit und das Engagement von Seyran Ates stehen im Kontext aktueller gesellschaftspolitischer Debatten und reichen damit weit über ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin hinaus. Mit dem Margherita-von-Brentano-Preis würdigt die Freie Universität Berlin das leidenschaftliche und mutige Eintreten von Seyran Ates für Frauenrechte im interkulturellen Kontext.

Die Preisträgerin plant, das Preisgeld für Forschungen über die juristischen Aspekte von „Ehrenmord“ und Zwangsheirat zu verwenden.

Die Laudatio hielt Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und Präsidentin des Goethe-Instituts