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Ich bin ein Dahlemer

Seine Rede am Rathaus Schöneberg ist unvergessen, inhaltlich relevanter waren jedoch seine Worte an der Freien Universität

Kennedys Dahlemer Botschaft ist programmatischer als die aus Schöneberg: „Wir werden euch schützen, aber ohne Verhandlungen mit Moskau wird es nicht gehen“

Kennedys Dahlemer Botschaft ist programmatischer als die aus Schöneberg: „Wir werden euch schützen, aber ohne Verhandlungen mit Moskau wird es nicht gehen“
Bildquelle: Reinhard Friedrich/Universitätsarchiv Freie Universität Berlin

Ein Satz wird zur sprachlichen Ikone: „Ich bin ein Berliner.“ Es ist mehr als eine Solidaritätsbekundung. Dieses Maximum an Identifikation bedeutet Schutz vor der Sowjetunion; es ist ein Freiheitsversprechen. Manch ein Berliner empfindet es gar als eine politische Liebeserklärung. Erleichtert jubeln Hunderttausende – und Kennedy genießt es, steht noch Minuten nach dem Ende der Rede wie in Trance da. Die Freiheitsglocke im Rathausturm hat längst zu läuten aufgehört, Brandt die US-Delegation schon herein gebeten. Die inhaltlich relevantere Rede hält Kennedy allerdings nicht am Rathaus Schöneberg, sondern in Dahlem.

So sieht es zum Beispiel Egon Bahr, damals Senatssprecher unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt. „Seine Rede war uns vorab nicht bekannt“, so Bahr. „In ihr lobte er die Zusammenarbeit mit Moskau im Interesse der Stabilität in Europa.“ Bahr erkennt darin eine Ermutigung für die spätere Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition. Die F.A.Z. analysiert es ähnlich: An der Freien Universität habe Kennedy eine Rede gehalten, die „auf Dauer gesehen die politisch wichtigere Äußerung“ war, weil sie auf der Linie aufkeimender Entspannungspolitik gelegen habe.

Ich bin ein Dahlemer! Diesen Satz hat Kennedy nie gesagt, auch nicht am Henry-Ford-Bau, aber seine Botschaft an Berlin und Deutschland ist ähnlich, nur weitaus ausgefeilter und programmatischer als in Schöneberg: Wir werden euch schützen, notfalls militärisch. Aber wir müssen die Realitäten anerkennen – ohne Verhandlungen mit Moskau wird es nicht gehen.

Auftrag und Verpflichtung: Weltbürger soll die Freie Universität hervorbringen

Und auch der Freien Universität gibt er etwas mit auf den Weg: “This school – and this must be true of every university – must be interested in turning out citizens of the world, men who comprehend the difficult, sensitive tasks, that lie before us as free men and women, an men who are willing to commit their energies to the advancement of a free society.”

Es ist Auftrag und Verpflichtung: Weltbürger soll die Freie Universität hervorbringen, die ihre Kraft in den Dienst der Freiheit stellen. „Ständig brandete Beifall auf “, so erinnert sich Thomas Lennert, damals noch Student. Er steht mitten im Gedränge auf der Wiese, kann den Staatsmann nur aus der Ferne sehen.

Näher dran ist Heinz Fortak, damals 35: Als Meteorologie-Professor darf er gemeinsam mit anderen Hochschullehrern im Halbkreis auf der Bühne sitzen, nur wenige Meter vom US-Präsidenten entfernt. „Mich hat die Rede sehr berührt“, erinnert er sich.

„Wir sahen ihn fast wie einen Heilsbringer“

„Die erneute Betonung der Freiheit der westlichen Welt und die Abgrenzung gegenüber der Ideologie des Ostens in seiner Rede entsprachen unseren Überzeugungen.“ Volkmar Schneider studiert damals Medizin und empfindet die Rede als Mutmacher: „Nach dem Mauerbau brachte uns der Präsident Hoffnung nach West- Berlin, Hoffnung auf ein Leben in Freiheit.“

An eine „große Solidarisierung zwischen der bewegten Menge und diesem Mann, der Selbstbewusstsein, Verpflichtung und Bekenntnis ausstrahlte“, wird sich später etwa Tom Sommerlatte erinnern, damals Chemie- Student an der Freien Universität. Der Jurist Dietrich Weitz steckt damals mitten in seiner Promotion, er wird sich später an die „große Euphorie“ beim Kennedy-Besuch erinnern, die aufwallte bei ihm und seinen Kommilitonen: „Wir sahen ihn fast wie einen Heilsbringer.“