Springe direkt zu Inhalt

Von Sit-Ins und antiamerikanischen Amerikanisten

50jähriges Bestehen des John-F.-Kennedy-Instituts im Juni 2013 - zwei Ehemalige erinnern sich an ihr Studium

Renate Semler studierte von 1966 bis 1972 Amerikanistik am John-F.-Kennedy-Institut.

Renate Semler studierte von 1966 bis 1972 Amerikanistik am John-F.-Kennedy-Institut.
Bildquelle: Mehmet Dedeoglu

Wirtschaftswissenschaftlerin Julia Püschel promovierte an der Graduiertenschule für Nordamerikastudien.

Wirtschaftswissenschaftlerin Julia Püschel promovierte an der Graduiertenschule für Nordamerikastudien.
Bildquelle: privat

Zwei Biografien am selben Ort, damals und heute: Renate Semler studierte in bewegten Zeiten von 1966 bis 1972 Amerikanistik mit dem Schwerpunkt Literatur und Kultur an der Freien Universität Berlin. Julia Püschel promovierte als Wirtschaftswissenschaftlerin gut 40 Jahre später an der aus Mitteln der Exzellenzinitiative eingerichteten Graduiertenschule für Nordamerikastudien.

Nicht nur die Nation, die Gegenstand des Faches ist, hat sich gewandelt – auch die Art, wie am John-F.-Kennedy-Institut geforscht, gelehrt und gelernt wird, ist nicht mehr die gleiche. Geblieben ist jedoch, dass die fächerübergreifende Perspektive des Instituts auf die USA persönlich wie wissenschaftlich prägend sein kann.

Als Renate Semler in den 1950er und 60er Jahren in Kreuzberg aufwuchs, war Amerika zugleich präsent und fern. Mit dem Sender der amerikanischen Streitkräfte, AFN, wurden Jazz und Blues zum Soundtrack dieser Jahre, die Alliierten prägten noch immer als Besatzungsmacht den Stadtteil. „Es prallten so viele Lebenswirklichkeiten aufeinander“, erzählt sie heute. „Die Alten, die aus dem Krieg kamen, die Frauen, die Berlin wiederaufgebaut haben, und dann eine Generation, die durch die Straßen zog und Slogans wie ‚Ho Ho Ho Chi Minh!’ rief.“ Sie habe Arbeiter gesehen, die vor Unverständnis für diesen Feldzug gegen die Amerikaner Steine in den Händen hatten.

„Was soll denn das sein: amerikanische Kultur“?

Als sie sich 1966 entschloss, Amerikanistik und damit auch amerikanische Kultur zu studieren, stieß sie auch bei älteren konservativen Bekannten auf Unverständnis: „Amerikanische Kultur? Was soll das denn sein: die amerikanische Kultur?“. Die Geschichts- und Kulturlosigkeit Amerikas war damals noch ein weitverbreitetes bildungsbürgerliches Vorurteil. Man habe sich deshalb am John-F.-Kennedy-Institut fast als Avantgarde gefühlt; es sei ein Aufbruch gewesen, erzählt sie.

Für Julia Püschel waren die USA schon in ihrer Jugend geradezu allgegenwärtig, und durch einen Urlaub in New York als Teenager schrumpfte die Entfernung zum Land jenseits des Atlantiks auf acht Flugstunden. Vor ihrer Doktorarbeit habe sie sich nie besonders für Amerika interessiert, meint sie, die ihre Arbeit vor wenigen Wochen verteidigt hat und ein Postdoc-Projekt plant.

Doch weil sich die junge Wirtschaftswissenschaftlerin mit Fragen der sozialen Ungleichheit beschäftigen wollte, bot sich Amerika als Untersuchungsgegenstand an, und sie entschloss sich zu einem Promotionsstudium an der interdisziplinären Graduiertenschule für Nordamerikastudien, einem gemeinsamen Programm für Doktoranden aus Geistes- und Sozialwissenschaften, das 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative an der Freien Universität ins Leben gerufen wurde.

Ökonomie ist zwar auch Teil der Forschung und Lehre des John-F.-Kennedy-Instituts wie der Graduiertenschule, dennoch fühlte sich Julia Püschel beim Mittagessen unter ihren neuen Kommilitonen aus verschiedenen Fächern erst einmal wie eine Exotin: „Bei den anderen Doktorarbeiten habe ich weder den Ansatz verstanden noch den Gegenstand.“

Amerika verstehen

Dass sie inzwischen wissenschaftliche Texte anderer Disziplinen für ihre wirtschaftswissenschaftliche Arbeit zum Thema Verlagerungen von Dienstleistungen nach Übersee und die Folgen für den amerikanischen Arbeitsmarkt fruchtbar macht, verdankt sie den fächerübergreifenden Einführungen, die an der Graduiertenschule angeboten werden. Die politischen und kulturellen Dimensionen der amerikanischen Haltung zur sozialen Ungleichheit seien ihr so deutlich geworden.

Als sie im zweiten Jahr ihrer Doktorarbeit ans Department of Economics an der Princeton University ging, wurde ihr die soziale Ungleichheit in den USA bereits im Pendlerzug deutlich, der  von ihrer Wohnung in Queens in die edle Universitätsstadt fuhr. Je nach Fahrzeit hatte Julia Püschel vollkommen andere Mitreisende: Am frühen Morgen Servicekräfte, die unsichtbar die Büros für jene säuberten, die dann ein paar Stunden später in Anzug und Kostüm im Zug anzutreffen waren.

Prägende Studienaufenthalte in den USA

Armut und soziale Ungleichheit waren auch die ersten schockierenden Eindrücke, die Renate Semler mitnahm, als sie nach drei Jahren Studium 1969 das erste Mal in die USA nach Tennessee reiste und dort eine Ärztin bei ihren Hausbesuchen bei den „vergessenen Armen“, dem „White Trash“ begleitete. Dort sah sie so schäbige Unterkünfte, „shacks“,  wie es sie selbst im Nachkriegsdeutschland nicht gegeben hatte.

Dass einige ihrer Kommilitonen, ebenfalls Amerikanistik-Studenten, diesen wie auch einen späteren Studienaufhalt an der Duke University ablehnten und fragten, wie sie ausgerechnet jetzt zu Zeiten des Vietnam-Krieges in die USA fahren könnte, erschütterte sie. Die Eindimensionalität und Radikalität des Protestes fand sie, die sich stets zwischen den verschiedenen Welten bewegte, irritierend.

Sit-Ins prägten und lähmten den Unterricht am Institut zu dieser Zeit. Die Fronten zwischen Lehrenden, die – wie etwa Ursula Brumm, eine der ersten Amerikanistik-Professorinnen des Instituts – noch während des Zweiten Weltkriegs studiert hatten, einerseits und den Studierenden andererseits verhärteten sich. Eine Studentengeneration auf Konfrontationskurs zum Gegenstand ihres eigenen Studiums, den USA.

Skepsis und Vermittlung

Vielleicht hat Renate Semler aus diesem Grund kurze Zeit später, im Oktober 1974, eine Vermittlungsarbeit begonnen, die zu einer Lebensaufgabe wurde. 30 Jahre lang war sie Programmreferentin des Amerika-Hauses in der Hardenbergstraße nahe dem Bahnhof Zoologischer Garten. Sie brachte nicht nur deutsche und amerikanische Schriftsteller ins Gespräch. Sie schaffte es auch, das Haus wieder für junge kritische Intellektuelle zu öffnen, die noch kurz zuvor eben dort in erster Linie eine Dependance der amerikanischen Imperialisten auf deutschem Boden gesehen hatten.

Eine kritische Haltung zu Amerika findet Julia Püschel auch typisch für ihre Generation. Doch die Meinungen unter Studierenden und Doktoranden heute am Institut seien viel heterogener. Bei ihr habe die Promotion an der Graduiertenschule vor allem eine skeptische Haltung gegenüber den Prämissen des eigenen Faches gefördert. „Man stellte auch die Vorannahmen des Faches immer wieder in Frage  –und das zeichnet gute Wissenschaft ja aus.“