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Rede des Ersten Vizepräsidenten

Rede zur Immatrikulationsfeier zum Sommersemester 2005

Begrüßung durch Prof. Dr. Klaus Hempfer, Erster Vizepräsident der Freien Universität Berlin

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Eltern und Angehörige unserer Neu-Immatrikulierten, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte allen Neu-Immatrikulierten zu der Chance gratulieren, an der Freien Universität zu studieren und darf sie ganz herzlich willkommen heißen. Ich freue mich, dass sie sich trotz mancher nicht brillanter Rankings für die Freie Universität entschieden haben.

Entgegen den Ergebnissen dieser Rankings, die in der Regel nur einzelne Fächer und dann auch noch immer dieselben berücksichtigen, ist die Freie Universität nämlich die Nr. 1 in Berlin, wenn man sich auf die Leistungskriterien bezieht, nach denen die Landeszuschüsse verteilt werden. Wer in Forschung, Lehre und Gleichstellung die besten Ergebnisse erzielt, erhält einen höheren staatlichen Zuschuss. In diesem Wettbewerb war die Freie Universität in den letzten Jahren stets der Sieger. Im vergangenen Jahr hat die Freie Universität zusätzlich 1,5 Mio. EUR erhalten, eine Summe, von der man umgerechnet beispielsweise 30 zusätzliche Stellen für Wissenschaftliche Mitarbeiter schaffen kann.

Wir müssen zurzeit freilich auch noch konstatieren, dass unsere Performance hinsichtlich der Studiendauer und der Abbrecherquote, die die Verteilung der Leistungsmittel wesentlich mit bestimmen, keineswegs befriedigend ist – auch wenn ein Abbruch des Studiums, wie wir noch sehen werden, durchaus von Erfolg gekrönt sein kann – und dass wir erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um die Ausbildungssituation zu verbessern. Doch was auch immer die Universität tut, wir sind darauf angewiesen, dass Sie mitspielen.

Obgleich die allermeisten von Ihnen sich noch für die traditionellen Magister-, Diplom- und Staatsexamensstudiengänge eingeschrieben haben, befindet sich die Freie Universität seit dem vergangenen Semester in einem fundamentalen Umstrukturierungsprozess, der bis zum Wintersemester 2008/2009 die flächendeckende Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen vorsieht. Ausgenommen bleiben zunächst nur die Staatsexamensstudiengänge in Pharmazie, Medizin, Veterinärmedizin und Jura, alles andere wird und muss nach den staatlichen Vorgaben bis zum Winter 2008 auf die neue Studienstruktur umgestellt sein. Hierzu verpflichten wir uns in den vor dem Abschluss stehenden Vertragsverhandlungen mit dem politischen Senat.

Wie die ersten Erfahrungen im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, der alle seine Studiengänge bereits im Wintersemester 2004/05 umgestellt hat, zeigen, handelt es sich um einen radikalen Systemwandel, der unser Universitätssystem grundlegend verändern wird.

So zukunftsweisend das Humboldtsche Universitätskonzept vor 200 Jahren war, so wenig kann es den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügen. Noch in den 60er Jahren, als ich studierte, besuchten nur ca. 6 % eines Jahrgangs die Hochschulen, heute sind es über 30 % und Prognosen wollen uns glauben machen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten mindestens 50 % Hochschulabsolventen bräuchten. Nun sind Prognosen in der Regel Fehlprognosen, richtig ist jedoch, dass die für Humboldts Universitätskonzeption zentrale Einheit von Forschung und Lehre in der Massenuniversität gleichermaßen zur Chimäre verkommen ist, wie die akademische Freiheit zur Beliebigkeit des Lehrens und Lernens denaturierte. Wenn, wie dies in den Geistes- und Sozialwissenschaften der Fall ist, über 40 % der Studierenden ihr Studium abbrechen – dies sind die Zahlen von 1999 mit steigender Tendenz für die BRD insgesamt, an der FU liegen die Zahlen noch höher, – und diejenigen, die ihr Studium erfolgreich abschließen, 12, 13, 14 und mehr Semester im Durchschnitt je nach Fach und Studienort brauchen, dann war und ist eine grundlegende Studienreform unumgänglich.

Die Einführung des Bachelor-/ und Mastersystems darf folglich nicht einfach als simple Anpassung des deutschen Hochschulsystems an die europäischen bzw. insbesondere angelsächsischen Vorgaben gesehen werden. Grundlegend ist vielmehr, dass mit dieser Struktur offenkundige Mängel der deutschen Universitätsausbildung behoben werden sollen. Wir geben also nicht etwa ein funktionierendes System auf, wie die Kritiker der neuen Studienstruktur beständig suggerieren, sondern wir versuchen, einen nicht länger haltbaren Zustand zu verbessern. Ob die gestuften Studiengänge hierfür das richtige Modell sind, hängt entscheidend von ihrer konkreten Realisation ab. Wenn der Bachelor nur ein etwas ‚eingedampfter’ Magister- oder Diplomstudiengang werden sollte, dann kann man sich den ganzen Aufwand sparen. Es kommt also entscheidend darauf an, dass die Hochschullehrer, die die neuen Studien- und Prüfungsordnungen ausarbeiten und umsetzen, begreifen – dies ist leider noch immer nicht durchgängig der Fall – dass sie komplett umdenken müssen. Was dies konkret bedeutet, kann ich Ihnen hier nicht im Einzelnen ausführen. Es geht jedoch darum, dass der Bachelor nicht mehr und nicht weniger als eine solide fachliche Grundausbildung mit einem deutlichen Praxisbezug vermittelt, dass auf Master-Ebene eine Ausdifferenzierung auf einerseits praxisorientierte und andererseits forschungsorientierte Studiengänge erfolgt und dass für die spezifische  Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses Promotionsstudiengänge eingerichtet werden. Verabschiedet wird damit eine längst durch die Realität überholte Fiktion der deutschen Universität, nämlich dass sie vor allem künftige Wissenschaftler oder gar Hochschullehrer ausbildet. Die Universität bildet vor allem künftige Nicht-Wissenschaftler aus, die eine wissenschaftliche Ausbildung benötigen, um in ihrem späteren Berufsleben bestehen zu können, ohne selbst aktiv Wissenschaft zu betreiben. Für diese Mehrheit müssen wir eine adäquate Ausbildung vorhalten, was nicht heißt, dass wir uns auf Master- und Promotionsebene nicht auch intensiv um unseren wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern. Das insbesondere beim Master sehr differenzierte System eröffnet einen Spielraum von Entwicklungsmöglichkeiten, der bisher in keiner Weise ausgeschöpft ist. So sind etwa auch ‚Springermodelle’ vorstellbar, die es wissenschaftlich besonders qualifizierten Bachelor-Absolventen erlauben, nach einem Übergangsjahr im Masterbereich ohne weiteren Abschluss unmittelbar in die Promotionsstudiengänge einzusteigen.

Wenn ich mich nach längeren und nicht unerheblichen Zweifeln nunmehr mit Entschiedenheit für die Einführung der gestuften Studiengänge einsetze, so beruht das wesentlich auf der Überzeugung, dass sie besser als das alte System die Vermittlung zweier scheinbar divergierender Zielsetzungen der Universität erlauben: eine solide akademische Grundausbildung für einen möglichst hohen Anteil eines Altersjahrgangs und zugleich die gezielte Förderung derjenigen, die den Weg der eigenständigen wissenschaftlichen Tätigkeit einschlagen wollen und können.

Warum erzähle ich Ihnen soviel von der neuen Studienstruktur, wo Sie doch in Ihrer weit überwiegenden Mehrheit noch nach dem alten System zumindest zu studieren beginnen? Sie werden im Verlauf Ihres Studiums ohne jeden Zweifel merken, dass die neue Studienstruktur auch Ihr scheinbar traditionelles Studium beeinflusst, modifiziert, vielleicht sogar grundlegend verändert – eine Ausnahme dürften allenfalls die Staatsexamensfächer darstellen, doch werden auch diese vom generellen Systemwechsel nicht auf Dauer untangiert bleiben. Warum werden Sie die generellen Veränderungen spüren? Sie werden z. B. gemeinsam mit Bachelor- und Masterstudierenden in Veranstaltungen sitzen, die auf die neue Studienstruktur zugeschnitten sind, weil für die auslaufenden Magister- und Diplomstudiengänge aus kapazitären Gründen nur noch für begrenzte Zeit eigenständige Lehrveranstaltungen angeboten werden können. Sie werden Ihr Studium ähnlich zügig und zielorientiert anlegen müssen, wie die Bachelor- und Masterstudenten, weil die traditionellen Studiengänge nach der letztmaligen Zulassung nur für die Dauer der Regelstudienzeit plus zwei Semester vorgehalten werden können usw. Das heißt, Sie erleben die Universität in einer Übergangsphase zwischen zwei Systemen und haben die Möglichkeit, bereits jetzt positive Elemente des neuen Systems zu nutzen. Hierfür und für Ihr Studium insgesamt wünsche ich Ihnen alles Gute.

Hier erfolgt die Überreichung der symbolischen Immatrikulationsurkunden an ausgewählte Studienanfänger.

„Wir haben abgebrochen“ titelte unlängst der Uni-Spiegel in offenkundiger Anspielung auf die Skandalnummer des Spiegels „Wir haben abgetrieben“, und ließ eine Serie von Rock- und Popstars, Schauspielern und Regisseuren, ja sogar von Schriftstellern, Künstlern und „Denkern“ Revue passieren, die alle mit dem Studium früher oder später, auf jeden Fall ohne Abschluss, Schluss gemacht haben. In dieser noblen Galerie, die nach den mir nicht ganz einsichtigen Kriterien für ‚abgeschlossenes Studium’ von Luther über Nietzsche bis Bill Gates reicht, ist auch unser heutiger Gast, Christoph Gottschalk, vertreten. Bevor er ein Fachstudium aufnahm, besuchte er nach dem Abitur das Tübinger Leibniz-Kolleg, das alljährlich 50 Abiturienten für ein einjähriges Studium Generale auswählt. In diesem Vorbereitungsjahr entschied er sich für ein Studium der Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der FU und in Frankreich. Neben dem Studium arbeitete er für das Europäische Parlament in Brüssel, die Deutsche Oper in Berlin, das ZDF, mehrere Stiftungen, war Präsident des Europäischen Jugendparlaments und persönlicher Referent der Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerks bis er mit 25 Jahren – und ohne Hochschulabschluss – zum Mitglied des Kabinetts des französischen Ministerpräsidenten Raffarin berufen wurde, wo er für die Deutsch-Französischen Beziehungen zuständig ist. Wie Sie sehen, können Karrierewege auch völlig untypisch verlaufen, wenn sie auf entsprechendem Engagement basieren. Entscheidend ist freilich eben dieses Engagement, gleichgültig ob es nun zum nominellen Abschluss führt oder nicht.

Bevor ich Ihnen weiter über Christoph Gottschalk erzähle, möchte ich ihn lieber selbst zu Wort kommen lassen.