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Promovieren – damals und heute

15.07.2015

Sie haben zu unterschiedlichen Zeiten ihre Doktorarbeit geschrieben, anlässlich der diesjährigen Feierstunde zur Silbernen Promotion haben sie sich getroffen: Sonja Longolius, 36, und Christian Freigang, 55, über den Wandel des Promovierens und die Vorteile einer Graduiertenschule.

Sonja Longolius erwarb ihren Doktortitel an der Graduiertenschule am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Christian Freigang konnte sich dank einer Assistentenstelle auf seine Promotion konzentrieren.

Sonja Longolius erwarb ihren Doktortitel an der Graduiertenschule am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Christian Freigang konnte sich dank einer Assistentenstelle auf seine Promotion konzentrieren.

Fast auf den Tag genau ein Vierteljahrhundert liegt zwischen der Promotion von Sonja Longolius und jener von Christian Freigang, Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität. 25 Jahre, in denen sich die akademische Kultur gewandelt, an die Veränderungen in der Gesellschaft angepasst hat. Dem Gesetz folgend, dass sich großer Wandel auch stets im Kleinen widerspiegelt, heißt das auch: Longolius und Freigang haben zwar beide an der Freien Universität Berlin ihren Doktorgrad erworben, beide in den Geisteswissenschaften, und sie haben jeweils vier Jahre dafür benötigt, aber damit enden die Gemeinsamkeiten.

„Vor 25 Jahren bedeutete eine Promotion ein fast mönchisches Leben, in der Einsamkeit des Elfenbeinturms“, sagt Christian Freigang. Um nicht „im eigenen Saft zu kochen“, suchte er sich auf eigene Faust eine Arbeitsgruppe aus Doktoranden und schloss sich ihr an. „Wir haben uns gegenseitig bekocht, aber auch und vor allem die Arbeit der anderen in der Sache äußerst hart kritisiert – im Interesse der Qualität.“ Sonja Longolius indes erwarb ihren Doktortitel auf einer Graduiertenschule am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien. Solche Einrichtungen gab es in den späten 1980er Jahren in Deutschland noch gar nicht.

Tagsüber bei den Heinzelmännchen, abends promovieren

In dieser Graduiertenschule lernte, lehrte und forschte Longolius im Verbund mit elf anderen Doktoranden ihres Jahrgangs. Auch um die Finanzierung musste sie sich während dieser Zeit nicht sorgen. Christian Freigang hingegen stellte sich in den ersten Jahren seiner Promotion um 5 Uhr morgens bei den Heinzelmännchen – der studentischen Arbeitsvermittlung – an, um einen Tagesjob für 80 DM zu bekommen. Erst nach getaner Arbeit saß er dann, schon leicht ermattet, am Nachmittag in der Bibliothek über den Büchern. Später kamen ein Stipendium und eine Assistentenstelle hinzu, und Christian Freigang konnte sich hauptsächlich auf seine Promotion konzentrieren.

Das wiederum war Sonja Longolius nicht vergönnt: Auch wenn die Graduiertenschule ihr finanzielle Unabhängigkeit für vier Jahre gewährte, auch wenn sie dank regelmäßiger Gutachten über den Fortschritt ihrer Arbeit von außen motiviert und strukturiert wurde, so bringt das Promovieren an einer Graduiertenschule andere Verpflichtungen mit sich: Es galt, eine Konferenz zu organisieren, Vorträge zu halten, möglichst früh wissenschaftliche Paper zu veröffentlichen.

All das sind Pflichten, von denen Christian Freigang sagt, er sei froh, dass sie ihm während seiner Dissertationszeit nicht auferlegt waren. So kommt es, dass sich Longolius und Freigang ein wenig beneiden und ein bisschen denken: Gut, dass das bei mir anders war. „Promovieren ist nicht schwerer oder leichter geworden, die Vor- und Nachteile haben sich über die Zeit zwar verändert, aber in Summe ist die Promotion noch immer eine Herausforderung“, bringt es Freigang auf den Punkt. In dieser Funktion kennt er nun beide Seiten, denn er betreut am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität natürlich auch Doktoranden. Dort spüre er immer wieder, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Lebensabschnitts Promotion abgenommen habe.

Die Ökonomisierung der Gesellschaft mache auch vor der Wissenschaft nicht halt, viele begabte Studierende würden gern promovieren, sehen sich aber mit Vorbehalten konfrontiert: Ist der Titel karrierefördernd? Lohnt sich die Investition in vier Jahre akademische Arbeit, in der andere vielleicht schon im Beruf vorankommen? Lohnt es sich in Zeiten, in denen junge Wissenschaftler oft nur noch Zeitverträge bekommen und Professorenstellen heiß umkämpft sind, den langen und steinigen Weg einer universitären Karriere einzuschlagen? Viele Studierende, die Freigang gern hielte, beantworten eine oder mehrere dieser Fragen für sich mit „nein“. Sonja Longolius sekundiert sofort: Genau diese Fragen habe sie sich auch gestellt, und sie seien ihr auch von Freunden und Verwandten gestellt worden – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie zwei Kinder hat. „Ich habe ,ja‘ zur Promotion und ,nein‘ zur universitären Karriere gesagt“, lautete Longolius‘ Kompromiss. Sie möchte gern in einem Museum oder einer Stiftung arbeiten, da ist ein Doktortitel oft schon Voraussetzung, um überhaupt nur ein Volontariat zu bekommen.

Wie sich das Promovieren über die Jahre geändert hat, das war auch das Thema einer Podiumsdiskussion auf der Feierstunde zur Silbernen Promotion am 30. Mai, an dem sich Sonja Longolius und Christian Freigang erneut trafen und vor rund 150 ehemaligen Promovenden sprachen. Christian Freigang freute sich schon im Vorfeld auf diese Veranstaltung: „Das fühlt sich fast wie bei einem Ehepaar an, das Silberhochzeit feiert“, scherzte er. Die Einrichtung der Silbernen Promotion hält er für „höchst lobenswert“, zeige sich darin doch eine vorbildliche Alumni-Kultur. „Der Gedanke der Internationalen Netzwerkuniversität, dem sich die Freie Universität verschrieben hat, wird auch auf diese Weise gelebt.“

Promovieren heute: Nicht schwerer, nicht leichter - aber anders

Mitglieder seiner damaligen Promotions-Arbeitsgruppe wird er dort zwar nicht treffen – sie beendeten ihre Promotionen ein Jahr zuvor – aber ein Wiedersehen mit ehemaligen Kollegen und Studierenden steht in jedem Fall an. Während Christian Freigang noch in Vorfreude schwelgt, hat Sonja Longolius schnell gerechnet: „In einem Vierteljahrhundert bin ich 61. Das wird ein Spaß, dann die Kollegen aus der Graduiertenschule zu treffen.“ Sicher ist dabei eines: Auch bis dahin wird sich das Promovieren wieder etwas verändert haben, so, wie es die Gesellschaft tut. Es wird nicht schwerer und nicht leichter sein, aber anders.