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Frischekur für jahrhundertealte Bücher

Experten restaurieren seltene Werke des Seminars für Katholische Theologie vor dem Umzug in die neue Campusbibliothek

21.02.2015

Spuren der Zeit: Rund 300 Bücher aus dem Rara-Bestand der Bibliothek müssen restauriert werden.

Spuren der Zeit: Rund 300 Bücher aus dem Rara-Bestand der Bibliothek müssen restauriert werden.
Bildquelle: Annika Middeldorf

24 Instituts- und Bereichsbibliotheken ziehen in die neue Campusbibliothek der Freien Universität. Das Online-Magazin campus.leben begleitet den Umzug mit einer Serie.

24 Instituts- und Bereichsbibliotheken ziehen in die neue Campusbibliothek der Freien Universität. Das Online-Magazin campus.leben begleitet den Umzug mit einer Serie.
Bildquelle: luxuz::. / photocase photocase

Fasziniert von Material und Inhalt: Julia Fromm, Markus Thurau und Barbara Dammers (v.r.) wissen den Rara-Bestand zu schätzen.

Fasziniert von Material und Inhalt: Julia Fromm, Markus Thurau und Barbara Dammers (v.r.) wissen den Rara-Bestand zu schätzen.
Bildquelle: Annika Middeldorf

Den Dreißigjährigen Krieg, die Französische Revolution, zwei Weltkriege und den Fall der Berliner Mauer: Die Bücher der sogenannten Rara-Sammlung des Seminars für Katholische Theologie haben so viele historische Ereignisse überstanden, dass sie inzwischen selbst ein Stück Geschichte sind. Mehr als 550 Exemplare umfasst die Sammlung seltener Werke insgesamt, das älteste von ihnen ist fast fünf Jahrhunderte alt. Um sie von Wasserflecken, Schimmel oder Wurmfraß zu befreien, werden jetzt etwa 300 der kostbaren Werke aufwendig restauriert. Mehr als ein Jahr sollen diese Arbeiten etwa dauern. Nach der Frischekur ziehen die Bücher in die neue Campusbibliothek, in einen speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Raum.

Qualitativ hochwertiger Druck, Einbände aus Leder oder Pergament und kunstvolle Buchschließen: Barbara Dammers gerät ins Schwärmen, wenn sie einen der jahrhundertealten Schätze aus der Sammlung in der Hand hält: „Diese Bücher sind teilweise richtige Kunstwerke“, sagt die promovierte Archäologin, die die Restaurierung der Rara-Werke aus dem Seminar für Katholische Theologie organisiert. Der Begriff „Rara“ leitet sich von dem lateinischen Wort rarus ab und bedeutet „selten“.

Wochenlang prüfte Dammers im Kellerraum des Seminars jedes der Bücher auf seinen Zustand: Ist das Leder der Einbände abgewetzt? Sind die Bindungen locker? Haben sich Mäuse an den Seiten zu schaffen gemacht? Schimmeln Einbände oder Buchseiten? Schließlich bieten die kostbaren Bücher nicht nur geistige Nahrung: Sie sind auch ein Nährboden für Bakterien, Schimmelpilz oder Insekten.

Rund 300 von 556 Büchern der Sammlung hat die Archäologin für die Restauration ausgewählt. Mit der Arbeit betraut hat die Freie Universität Spezialisten, die den Büchern zu neuem Glanz verhelfen sollen, ohne dass sie ihre Geschichte und ihren individuellen Charakter verlieren: „Die Restauratoren werden die Gebrauchsspuren nicht beseitigen. Die Bücher sollen später nicht wie neu aussehen, sondern in der Hauptsache vor dem Verfall geschützt und weiter genutzt werden können“, sagt Dammers.

Spuren von 400 Jahre altem Messwein

In der neuen Campusbibliothek zählen alle Bücher mit einem Erscheinungsdatum vor dem Jahr 1720 zum Rara-Bestand – außerdem grundsätzlich alle Pergamentbände, also Bücher, bei denen bearbeitete Tierhaut als Einband verwendet wurde. Dass die Bücher ihre eigenen Geschichten erzählen, zeigt ein Römisches Messbuch, das Missale Romanum aus dem Jahr 1639: Einige Buchseiten haben Flecken von Messwein und Kerzenwachs. „Man sieht deutlich, dass es vor Jahrhunderten in Gottesdiensten genutzt wurde“, sagt Markus Thurau, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Seminars. Er hat sich mit der Herkunft der Bücher auseinandergesetzt.

Priester-Geschenke und Klosterauflösungen

Die Bücher der Rara-Sammlung wurden größtenteils in den 1960er Jahren von Theologieprofessor Marcel Reding angeschafft, dem Gründer des Seminars für Katholische Theologie an der Freien Universität. Er forschte vor allem zur mittelalterlichen Theologie und baute die Bibliothek auf. „Reding war eine echte Spürnase und reiste auf der Suche nach theologischer Literatur aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit quer durch Deutschland“, erzählt der promovierte Geschichts- und Kulturwissenschaftler Thurau.

Die Geschichte eines jeden Exemplars ließe sich zwar nicht zurückverfolgen. „Wir wissen aber, dass etwa die Hälfte der Bücher aus privaten Besitz stammt, zum Beispiel aus Klosterauflösungen in den Ostblockstaaten in den 1950er und 1960er Jahren oder aus den Nachlässen verstorbener Priester“, erklärt Thurau. Der andere Teil der Rara-Sammlung wurde aus den Antiquariaten katholischer Buchverlage angekauft.

Digitalisierung als Ergänzung, nicht Ersatz

Im Zuge der Restauration wird ein Teil der Rara-Bücher auch digitalisiert. Außerdem haben Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer die Möglichkeit, Wünsche zu äußern, welche Rara-Bücher eingescannt werden sollen, und Scans vom geschützten Bestand zu bestellen. Digitale Ausgaben könnten die „Aura des Originals“ aber nicht ersetzen, meint Barbara Dammers: „Der Text ist zwar der gleiche. Bei den Rara-Büchern geht es aber nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Bücher selbst. Jedes Buch hier ist ein Unikat.“ Auch die Bibliothekarin Julia Fromm sieht in der Digitalisierung eine Ergänzung, aber keinen Ersatz für das Original: „Als Bibliothek tragen wir auch eine Verantwortung, diese Bestände zu erhalten. Dem kommen wir mit der Restaurierung nach.“

In der neuen Campusbibliothek, die Mitte April in der Fabeckstraße 23-25 ihren Betrieb aufnehmen soll, ist für den Bestand ein Rara-Raum vorgesehen. Mit 14 bis maximal 18 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit bietet er ideale Bedingungen für die wertvollen Bücher. „Das muss man sich vorstellen wie einen klimatisierten Tresor“, sagt Dammers. Auch Rara-Bestände anderer Fachbereiche werden hier untergebracht; schließlich ziehen insgesamt 24 Instituts- und Bereichsbibliotheken in die neue Campusbibliothek. Doch auch im neuen Rara-Raum stellen die Bücher aus dem Seminar für Katholische Theologie den größten Teil der Sammlung.

Zum Schutz der Bestände sind die Rara-Bücher allerdings nicht zur Ausleihe freigegeben. Unter Aufsicht können Interessenten sie aber vor Ort einsehen. Auf moderne Gebrauchsspuren von Kaffeetasse, Textmarker oder Kugelschreiber wollen die Bibliotheksmitarbeiter dann doch lieber verzichten.

Weitere Informationen

  • Etwa eine Million Bände aus 24 Instituts- und Bereichsbibliotheken werden in der neuen Campusbibliothek Natur-, Kultur- und Bildungswissenschaften, Mathematik, Informatik und Psychologie zusammengebracht.
  • Neben den Bibliotheken, die zu geschichts- und kulturwissenschaftlichen Instituten gehören, die ebenfalls in den Neubau der Universität umziehen, sind dies die Bereichsbibliothek Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik und Psychologie sowie die Bibliotheken von fünf mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern.
  • Die Campusbibliothek entsteht in dem großen Neubau an der Fabeckstraße 23-25, der den bisherigen Gebäudekomplex an der Habelschwerdter Allee 45 – die sogenannte Rost- und Silberlaube – nach Norden erweitert und in dem die „Kleinen Fächer“ des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften zusammengeführt werden.
  • Der Bibliotheksneubau wurde baulich mit dem bereits bestehenden, sanierten Gebäude der Bibliothek des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie verbunden und bildet mit diesem zusammen die Campusbibliothek
     

Dieser Artikel ist Teil einer Serie des Online-Magazins Campus.leben, das den Umzug der Bibliotheken in die neue Campusbibliothek mit einer Serie begleitet.

  • Zum Start sprachen Jiří Kende, leitender Direktor der Universitätsbibliothek, und Martin Lee, Leiter der neuen Campusbibliothek, über die Herausforderungen des Umzugs.
  • In einem Übersichtsartikel sind Informationen über die Sonderausleihen der Bereichsbibliotheken während der Umzugszeit zu finden.
  • Im nächsten Teil spricht die stellvertretende Leiterin der Universitätsbibliothek Andrea Tatai über das neue Katalogisierungssystem des Bücherbestands.