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Spitzenforschung

Die besten Promovendinnen und Promovenden eines Jahrgangs werden an der Freien Universität seit 1985 mit dem Ernst-Reuter-Preis geehrt. Die Preisträgerinnen und Preisträger 2016 stellen wir Ihnen hier vor.

05.12.2016

Der Betriebswirt Blagoy Blagoev promovierte zu überlangen Arbeitszeiten.

Der Betriebswirt Blagoy Blagoev promovierte zu überlangen Arbeitszeiten.
Bildquelle: privat

Jedes Jahr werden an der Freien Universität herausragende Promotionsarbeiten geschrieben. Die besten Promovendinnen und Promovenden werden seit 1985 mit dem Ernst-Reuter-Preis geehrt. Die Preisträgerinnen und Preisträger 2016 stellen wir Ihnen hier vor.

Dr. Blagoy Blagoev

Blagoy Blagoev, 29, studierte von 2006 bis 2009 Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität (Bachelor) und von 2009 bis 2011 Management und Marketing an der Freien Universität und der University of Illinois, USA (Master). Im Anschluss promovierte er von 2011 bis 2015 am DFGGraduiertenkolleg „Pfade organisatorischer Prozesse“ an der Freien Universität.

Wie lautet der Titel Ihrer Arbeit?

Arbeitszeitregime im Lock-in? Eine pfadtheoretische Untersuchung der Persistenz überlanger Arbeitszeiten in Beratungsunternehmen (Hauptbetreuer: Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Schreyögg / Freie Universität).

Was gefiel Ihnen bei der Promotion?

An einem DFG-Graduiertenkolleg promovieren zu dürfen empfand ich als ein besonderes Privileg. Der ständige Austausch mit den anderen Kollegiatinnen und Kollegiaten und die exzellente Betreuung haben entscheidend zum Gelingen meiner Promotion beigetragen. Eine einzigartige Erfahrung war es auch, ein Unternehmen ethnografisch erforschen zu dürfen: Als Teil der empirischen Untersuchung habe ich bei einem Beratungsteam drei Monate lang mitgearbeitet, um die Arbeitszeitmuster in situ zu erfassen. So konnte ich die Konsequenzen eines Arbeitszeitregimes quasi am eigenen Leib erleben: Dies hieß morgens um 7 aufstehen, bis etwa 23 Uhr arbeiten und dann zu Hause bis in die Nacht noch meine Notizen des Tages ausformulieren.

Und das Thema Ihrer Arbeit?

In vielen professionellen Dienstleistungsunternehmen – Anwaltskanzleien, Investmentbanken, Beratungsfirmen, oder Architekturbüros – arbeiten Menschen sehr lange und haben kaum Zeit für Familie und Privatleben. Sechzehn Stunden Arbeit am Tag, Einsätze am Wochenende und vier Übernachtungen im Hotel pro Woche sind dort der Normalfall. Wir wissen, dass dies auf Dauer die Gesundheit, Motivation und Produktivität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern belastet. Doch auch wenn Unternehmen gezielt versuchen, dieses Arbeitszeitregime zu verändern, scheitern ihre Initiativen an „unsichtbaren Beharrungskräften“. In meiner Arbeit habe ich untersucht, woher diese Wandelschwierigkeiten kommen und warum sich das Regime überlanger Arbeitszeiten scheinbar kaum verändern lässt.

Wolf-Julian Neumann schrieb in seiner Doktorarbeit darüber, wie verschiedene Hirnareale über Schwingungen in bestimmten Rhythmen miteinander kommunizieren können.

Wolf-Julian Neumann schrieb in seiner Doktorarbeit darüber, wie verschiedene Hirnareale über Schwingungen in bestimmten Rhythmen miteinander kommunizieren können.
Bildquelle: privat

Dr. Wolf-Julian Neumann

Wolf-Julian Neumann, 30, studierte von 2006 bis 2013 Medizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und promovierte dort auch von 2012 bis 2015.

Wie lautet der Titel Ihrer Arbeit?

Krankheitsspezifische Oszillationen im limbischen System bei Patienten mit therapierefraktärer Depression (wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Andrea Kühn / Charité – Universitätsmedizin Berlin).

Was gefiel Ihnen bei der Promotion?

Die Fähigkeit, Hirnaktivität anhand oszillatorischer Muster zu charakterisieren, ist für mich immer besonders spannend gewesen, weil ich mein gesamtes Studium sehr intensiv Musik gemacht habe und musikalische Schwingungen den gemessenen Wellen von Hirnaktivität sehr ähnlich sind.

Und das Thema Ihrer Arbeit?

Verschiedene Hirnareale können über Schwingungen in bestimmten Rhythmen miteinander kommunizieren. Diese Rhythmen sind in seltenen Fällen über Elektroden, welche neurochirurgisch implantiert werden, für Messungen zugänglich. Meine Arbeit zeigt, dass ein bestimmter Rhythmus in emotionsverarbeitenden neuronalen Zentren mit der Symptomschwere depressiver Patienten korreliert und sich signifikant vom Rhythmus von Patienten mit Zwangserkrankung unterscheidet.

 

Jan-Erik Schirmer beschäftigte sich in seiner Doktorarbeit mit der Frage, wer in einem Unternehmen für etwaige Schädigungen haftet.

Jan-Erik Schirmer beschäftigte sich in seiner Doktorarbeit mit der Frage, wer in einem Unternehmen für etwaige Schädigungen haftet.

Dr. Jan-Erik Schirmer

Jan-Erik Schirmer, 30, studierte von 2007 bis 2012 an der Freien Universität Rechtswissenschaften. Von 2012 bis 2015 folgte die Promotion ebenda. In dieser Zeit war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Gregor Bachmann. Jetzt ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand an der Humboldt-Universität zu Berlin (ebenfalls bei Gregor Bachmann).

Wie lautet der Titel Ihrer Arbeit?

Das Körperschaftsdelikt (Erstgutachter Prof. Dr. Gregor Bachmann).

Können Sie uns eine Anekdote Ihrer Promotionszeit schildern?

Meine Promotion war ein zweijähriges Gefühlskarussell. Oftmals lagen nur wenige Tage zwischen wahnsinnigen Glücksmomenten und Momenten, in denen ich mich glücklich schätzen kann, nicht wahnsinnig geworden zu sein. Oder wie in einem Fall nur ein paar Stunden: Ich war mit einem gedanklichen Durchbruch aufgewacht, bin dann wie elektrisiert in die Uni gefahren, habe drei Stunden wie ein Verrückter überall im Text Anmerkungen und Ergänzungen geschrieben – nur um nach dem Mittagessen festzustellen, dass mein Computer abgestürzt und der ganz Arbeitsfortschritt dahin war. So etwas hält jung.

Und das Thema Ihrer Arbeit?

Das Bürgerliche Gesetzbuch spricht davon, dass Unternehmen für Schädigungen ihrer Geschäftsleiter „verantwortlich“ sind. Was dieses „verantwortlich“ allerdings genau meint, beantwortet das Gesetz nicht. Bislang fiel die Antwort eher reflexhaft aus: Geschäftsleiter und Unternehmen haften nebeneinander. Begründung: Das war schon immer so; wer jemanden schädigt, muss dafür einstehen, egal ob er dies privat oder im Rahmen seiner Tätigkeit für ein Unternehmen tut. In meiner Dissertation zeige ich, dass diese Begründung überholt ist und anderen gesetzlichen Wertungen widerspricht. Ich plädiere deshalb für ein neues, einheitliches Verständnis: Primär haftet das Unternehmen; der Geschäftsleiter nur, wenn er ein eigenständiges Schadensrisiko setzt.

 

Szilvia Vincze untersuchte in ihrer Arbeit unter anderem, oder der bakterielle Erreger Staphylococcus (S.) aureus zwischen Mensch und Tier übertragen werden kann.

Szilvia Vincze untersuchte in ihrer Arbeit unter anderem, oder der bakterielle Erreger Staphylococcus (S.) aureus zwischen Mensch und Tier übertragen werden kann.

Szilvia Vincze, PhD

Szilvia Vincze, 32, studierte von 2004 bis 2010 Tiermedizin an der Freien Universität. Nach dem Studium arbeitete sie am Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen als Doktorandin (2010 – 2015). Seit 2014 ist sie dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Im Februar 2015 hatte sie ihre Doktorarbeit verteidigt.

Wie lautet der Titel Ihrer Arbeit?

Staphylococcus aureus in companion animals: An infection source for the community? (Erstgutachter: Prof. Dr. Lothar Wieler / Freie Universität Berlin).

Was gefiel Ihnen bei der Promotion?

Besonders gut gefiel mir, dass ich meine Forschungsergebnisse auch auf internationalen Tagungen vorstellen konnte und somit direkt Einblick erhielt, wie internationaler Forschungsgruppen arbeiten. Das hatte mein Interesse an Forschung zusätzlich gefördert.

Und das Thema Ihrer Arbeit?

Der bakterielle Erreger Staphylococcus (S.) aureus führt bei Menschen und Tieren oft zu Infektionen. Daher wollte ich in meiner Arbeit einerseits prüfen, wie häufig Wundinfektionen bei Hunden, Katzen und Pferden durch diesen Erreger verursacht werden. Andererseits wollte ich untersuchen, wie ähnlich S. aureus bei Mensch und Tier sind. Ich konnte in meiner Arbeit nachweisen, dass S. aureus relativ häufig zu Wundinfektionen bei den untersuchten Tieren führt und zu einem Großteil tatsächlich den Erregern ähnelt, die auch beim Menschen Infektionen hervorrufen – und somit eine Übertragung zwischen Mensch und Tier (und andersherum) prinzipiell möglich ist.

Manolis Ulbricht

Manolis Ulbricht, 33, studierte von 2003 bis 2010 an der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin Alte Geschichte, Evangelische Theologie und Islamwissenschaft; davon 2005 bis 2007 im Ausland an der Universität Athen, mit den Schwerpunkten Orthodoxe Theologie und (Spät-)Antike Geschichte. Von 2010 bis 2012 hielt er sich zu Recherchen in Syrien/Damaskus auf und studierte und forschte unter anderem an der Umayyaden-Moschee und in ostkirchlichen Klöstern. Anschließend (2012 bis 2015) promovierte er im Fach Byzantinistik an der Freien Universität mit der Arbeit „Coranus Graecus“. Seit 2016 ist er der Wissenschaftliche Mitarbeiter der Berliner Byzantinistik (Freie Universität) und Koordinator eines Projekts der Einstein Stiftung Berlin in der Graeco-Arabica Forschung.

Wie lautet der Titel Ihrer Arbeit?

Coranus Graecus. Die älteste überlieferte Koranübersetzung in der «Ἄνατροπὴ τοῦ Κορανίου» des Niketas von Byzanz (9. Jh.) (Erstgutachter: Prof. Dr. Johannes Niehoff-Panagiotidis / Freie Universität).

Und das Thema Ihrer Arbeit?

Der „Coranus Graecus“ ist die älteste überlieferte Übersetzung des Koran überhaupt, die in griechischer Sprache fragmentarisch in einer byzantinischen Polemik gegen den Islam erhalten ist. Diese Streitschrift gegen den Koran, mit dem Ziel, diesen zu widerlegen, verfasste ein orthodoxer Gelehrter und Theologe namens Niketas von Byzanz (9. Jh.). Da es sich um eine sehr frühe Übersetzung des Koran handelt (wohl aus dem 8. / 9. Jh.), die Niketas in seiner „Widerlegung des Koran“ verwendete, bietet die Übersetzung neue Einblicke in das frühe Verständnis des arabischen Korantextes. Darüber hinaus war seine Polemik nicht nur in Byzanz für das Islambild über Jahrhunderte bestimmend, sondern auch im Lateinischen Europa bis in die frühe Neuzeit hinein. In der Promotionsschrift wurde dieses fundamentale Werk interreligiösen Dialoges erstmals umfassend wissenschaftlich aufgearbeitet, das heißt eine griechisch-arabische Textausgabe erstellt, die Differenzen und Modifikationen der Übersetzung analysiert und kommentiert und die Forschungsergebnisse in ihren historischen Kontexten beleuchtet. Das einzige überlieferte Manuskript liegt heute in der Vatikan-Bibliothek.

Was gefiel Ihnen bei der Promotion?

Es ist beeindruckend, aber auch erschreckend zu sehen, wie aktuell die behandelte Thematik eigentlich ist. Obwohl ich zu einer über 1.000 Jahre alten Schrift arbeite, haben sich Ton und Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen, gerade im Nahen Osten, bis heute im Wesentlichen nicht geändert. Lediglich Kontexte und mediale Formen haben sich gewandelt – im Laufe der akademischen Arbeit, aber auch aufgrund der Erfahrungen vor Ort wurde mir deutlich, wie stark Argumentationsweise und Vorurteile immer noch an antiken Vorbildern verhaftet sind. Sicherlich herausragend war der Moment, als ich nach abgeschlossener Promotion Papst em. Benedikt XVI. im Vatikan begegnen durfte, um ihm das wissenschaftliche Resultat meiner jahrelangen Arbeit zu überreichen.