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„Kleine Fächer können große Probleme lösen“

Tagung zur Forschungsplanung der Zukunft – ein Gespräch mit Carsten Dreher vom Center for Cluster Development der Freien Universität

15.08.2011

Wer bestimmt, woran in Zukunft geforscht wird? Wie viel Freiheit braucht die Wissenschaft? Und welche Forschung können wir uns leisten? Vom 13. bis 15. Oktober treffen sich an der Freien Universität Berlin Wissenschaftler aus aller Welt, um Sinn, Möglichkeiten und Grenzen der Forschungsplanung zu beleuchten. Die Tagung mit dem Titel „Planning Research for the Future?“ wird vom Center for Cluster Development (CCD) organisiert, das die langfristige Forschungsentwicklung der Freien Universität fördert. Jan Hambura sprach mit Carsten Dreher, Professor für Innovationsmanagement und Direktor des Center for Cluster Development.

Herr Dreher, der Titel der Tagung, zu der das CCD für Oktober einlädt, lautet „Planning Research for the Future?“ Weshalb das Fragezeichen? Muss Forschung nicht immer geplant werden?

Wir wenden uns dieser Frage bewusst zu, weil es Unterschiede zwischen einzelnen Wissenschaftssystemen gibt.

In Deutschland können Wissenschaftler zu einem hohen Grad selbst entscheiden, woran sie forschen. Es gibt allerdings auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die eine klare Aufgabe haben und nur bestimmte Themen erforschen. Zumindest an den Universitäten ist die Lage für Professoren vergleichsweise komfortabel, da die Forschungsfreiheit dort gesetzlich garantiert ist. In anderen Gesellschaften wird das von anderen entschieden. In China beispielsweise hat die Chinesische Akademie der Wissenschaften eine Roadmap bis zum Jahre 2050 vorgelegt. Dort ist klar geregelt, welche Institute gegründet werden und welche Wissenschaftler was zu erforschen haben. Für die Freie Universität als internationale Netzwerkuniversität ist es wichtig, auch hierzu den Dialog mit den außeruniversitären Partnern – besonders mit denen in Berlin – sowie mit den Zuwendungsgebern und internationalen Partnern zu führen.

Es gibt allerdings auch in Deutschland zahlreiche Forschungsförderprogramme, durch die die Forschung beeinflusst wird.

Die grundständige Forschung der Universitäten wird von den Bundesländern finanziert. Der Bund fördert auch Forschung in Verbundprojekten, die wissenschaftliche Einrichtungen etwa mit Unternehmen betreiben. Auf EU-Ebene werden zudem Forschungsgelder für Spitzenforscher vergeben. Dann gibt es zahlreiche private und staatliche Stiftungen, die Forschungsprojekte finanzieren. Eine besondere Rolle kommt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu, die Wissenschaftler der Universitäten mit verschiedenen Instrumenten fördert. Dort sind die Projekte in der Regel nicht themengebunden. Über die Vergabe der Stipendien und Forschungsförderungen entscheiden Gremien, in denen Wissenschaftler sitzen. Die Geldgeber haben natürlich auch eigene Vorstellungen. Doch das ist in einer Demokratie unausweichlich. Das Bundesforschungsministerium beispielsweise ist an der Lösung gewisser gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Energieversorgung oder des demografischen Wandels interessiert. Auch Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und Stiftungen, die Forschungsförderung betreiben, haben ihre Schwerpunkte und Vorstellungen.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass an bestimmten Themen geforscht wird, während andere Forschungskomplexe vernachlässigt werden?

Das Wissenschaftssystem ist keine Maschine, sondern ein lebendes Gebilde. In diesem sind Menschen tätig, die eigene Vorstellungen haben und natürlich auch zu ähnlichen Themen forschen. Manchmal kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es geht darum, Ergebnisse gegebenenfalls kritisch zu reflektieren. Man muss auch Fächer sichern, die im Moment nicht so spannend erscheinen. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die Forschung zum Mittleren Orient und zum Islam als sogenannte Orchideen-Fächer-Forsctung betrachtet. Mittlerweile haben wir an der Freien Universität eine Exzellenz-Graduiertenschule zu diesem Themenkomplex . Man kann gewisse gesellschaftliche Herausforderungen einfach gar nicht bewältigen, wenn man auf diesen Gebieten nicht über Wissen verfügt. Das kann bei anderen Fächern genauso passieren. Ehemals kleine Fächer können große Probleme von morgen lösen.

Welchen Beitrag möchten Sie mit der Konferenz im Oktober leisten?

Wir wollen über die Vor- und Nachteile von Forschungsplanung in Institutionen der Wissenschaft kritisch diskutieren. Natürlich muss die Freiheit der Forschung erhalten bleiben. Doch dass wir planen müssen, machen knapper werdende Ressourcen und der demografische Wandel deutlich. Wir haben gleichzeitig einen international stärker werdenden wissenschaftlichen Wettbewerb. China beispielsweise hat in den vergangenen acht Jahren den staatlichen Etat für Wissenschaftsförderung jährlich um mehr als 20 Prozent gesteigert. Durch die internationale Konkurrenz wird es zwangsläufig schwieriger, erstklassige Nachwuchskräfte zu gewinnen. Vielleicht kann uns das gerade gelingen, wenn wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs einen größeren Grad an wissenschaftlicher Freiheit bieten. Unser Hauptanliegen ist die Diskussion darüber, wer die Forschungsplanung der Zukunft bestimmen soll. Sollen es Verwaltungen oder doch besser Wissenschaftler tun – und wenn ja, wie? Unsere Konferenz soll Teil eines Prozesses innerhalb der Wissenschaft sein.

Aus welchen Bereichen kommen die Konferenzteilnehmer?

Neben Wissenschaftlern der Freien Universität und weiterer deutscher Universitäten werden auch Nachwuchswissenschaftler an der Konferenz teilnehmen, die von den heutigen Festlegungen künftig besonders betroffen sein werden. Zum Teil sitzen sie schon jetzt in Gremien der Freien Universität, die Forschungsprojekte für eine Förderung auswählen. Vertreter aus Ministerien, Forschungseinrichtungen und Stiftungen sind ebenfalls vertreten. Wir haben Gäste aus Indien, China, den USA und Singapur auf dem Podium. Mit Professor Arthur Bienenstock von der Stanford University wird etwa der Berater des US-Präsidenten Barack Obama für die Forschungspolitik teilnehmen. Professor Rongping Mu, der Leiter des Planungsinstituts der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, wird seine langfristige Planung bis zum Jahre 2050 vorstellen. Und Dr. Jamil Salmi, der die Weltbank bei der Forschungspolitik berät, wird uns einen Überblick über die Forschungsförderung in Ländern geben, die keine Industrieländer sind und häufig nicht im Fokus stehen.