Springe direkt zu Inhalt

Machtspieler aus Dahlem

Klaus Wowereit, Renate Künast, Frank Henkel, Harald Wolf und Christoph Meyer – alle Spitzenkandidaten der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus haben an der Freien Universität studiert

15.08.2011

Es ist Wahlkampf in Berlin: Zeit der Zuspitzung, Zeit der Abgrenzung. In fünf Wochen, am 18. September, wählen die Berliner ein neues Abgeordnetenhaus – und die Spitzenkandidaten geben sich alle Mühe, sich voneinander abzuheben. Doch auch wenn sie jetzt alle betonen, wie sehr sie sich voneinander unterscheiden – eines haben die Berliner Machtspieler gemein: Sie alle haben an der Freien Universität studiert. Die beiden größten Konkurrenten beim Rennen ums Berliner Rathaus, Klaus Wowereit, SPD, seit zehn Jahren Regierender Bürgermeister von Berlin, und seine Herausforderin Renate Künast, Spitzenkandidation von Bündnis 90/Die Grünen, paukten in Dahlem Paragrafen und schlossen ihr Jura-Studium mit dem Zweiten Staatsexamen ab.

Ebenso, allerdings fast ein Vierteljahrhundert später, der FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer, der auch in Frankfurt/Oder studierte. Harald Wolf, Wirtschaftssenator und Mitglied der Partei Die Linke, wiederum machte Anfang der 1980er Jahre sein Diplom in Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut, nachdem er bereits Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum studiert hatte. Und Frank Henkel, CDU-Spitzenkandidat, setzte auf seinen Diplom-Kaufmann von der Fachhochschule für Wirtschaft einen Journalistik-Abschluss an der Freien Universität drauf.

Das macht diese Wahl aus Dahlemer Sicht zu einer besonderen. Zwar ist es nicht neu, dass sich in der politischen Elite Berlins zahlreiche Alumni der Freien Universität finden. Auch die ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, CDU, und Walter Momper, SPD, um nur zwei zu nennen, machten sich – akademisch im Berliner Südwesten geprägt – auf den Weg zur Macht. Dass aber ausnahmslos Spitzenkandidaten mit einem Abschluss der Freien Universität Berlin gegeneinander antreten, kommt nicht bei jeder Wahl vor.

Der Weg der Alumni an die Schaltstellen der Macht verrät auch etwas über die Freie Universität. Sie gibt ihren Absolventen das Rüstzeug mit auf ihrem Weg nach oben und bereitet sie vor auf die manchmal harte Karriere in der Politik. Für die Berliner Machtspieler waren es jedenfalls prägende Jahre. So sagt Klaus Wowereit, er habe als Student am eigenen Leib erfahren, was für ein Privileg Bildung damals noch gewesen sei. Daraus habe er das Ziel abgeleitet, sie jedem zugänglich machen zu wollen. Aus Vernunftgründen habe er sich für das Jura-Studium entschieden, das er effizient durchzog: „Ich wollte meiner Mutter nicht unnötig auf der Tasche liegen.“ Geprägt hätten ihn seine akademischen Lehrer: Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und langjährige Präsidentin des Goethe-Instituts (SPD) und Staatsrechtler Rupert Scholz, ehemaliger Bundeverteidigungsminister (CDU). „Beide waren herausragend und haben den Fachbereich geschmückt.“

Renate Künast hatte zunächst zwischen den Fächern Psychologie und Jura geschwankt, sich dann aber für die Rechtswissenschaft entschieden: „Ich habe erkannt, dass nur, wer die Gesetze und das Rechtssystem versteht, etwas verändern kann.“ In den Seminaren habe die Grünen-Politikerin und ehemalige Bundesverbraucherministerin trainiert, wie man strukturiert denkt. Und wie man sich durchsetzt: „Ich habe in der Uni gelernt, das Wort zu ergreifen.“ Vermisst habe sie Kommilitoninnen: „Jura war, noch mehr als heute, ein von Männern dominiertes Fach. Ein paar mehr Frauen hätten der Atmosphäre gut getan“, sagt Künast.

Für Frank Henkel war die wichtigste Dahlemer Erfahrung, dass er sich bis zum Abschluss durchgebissen hat: „Ich hatte ja schon eine Ausbildung und ein Betriebswirtschaftsstudium hinter mir und stand mit beiden Beinen fest im Berufsleben. Da muss man sehen, wie man alles unter einen Hut bekommt.“ Ursprünglich wollte Henkel Arzt werden. Doch aus politischen Gründen wurde der gebürtige Ost-Berliner in der DDR nicht zum Abitur zugelassen. Erst durch die Ausreise seiner Familie 1981 habe er erfahren, sagt Henkel, welches Privileg es ist, Zugang zu höherer Bildung zu haben, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Partei.

Wirtschaftssenator Harald Wolf lernte in Dahlem, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Er würde sich auch in der Rückschau wieder für das Fach Politikwissenschaft entscheiden, sagt er, die Studienzeit allerdings mehr dafür nutzen, seine Sprachkenntnisse zu erweitern. Auf die Frage, wer ihn am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität am stärksten beeindruckt und beeinflusst habe, nennt Wolf die Politologen Elmar Altvater und Bodo Zeuner. Altvater wegen seiner politökonomischen Analysen, Zeuner, „weil er nicht nur ein guter Hochschullehrer war, sondern auch immer ein guter Ratgeber war und ist.“

Für den FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Christoph Meyer, war das Jura-Studium, das er auf eine Banklehre gesattelt hat, beruflich die richtige Entscheidung: „Es hilft mir bei der täglichen Arbeit, bei Verständnisfragen und der Einarbeitung in fremde Materien.“ Allerdings gibt Meyer, der seinen Studieneifer mit „geht so“ beschreibt, auch zu, dass ihm „die Wiese zwischen den Gebäuden der Wirtschaftswissenschaftler und der Juristen immer recht gut gefallen hat.“ Er gesteht: Wenn er noch einmal studieren und nur etwas für sich machen könnte, „würde ich mich für Philosophie einschreiben.“

Welcher der fünf Kandidaten auch immer am 18. September in das Berliner Rathaus einziehen wird – Klaus Wowereits Maxime gilt für sie alle: „Gut, wenn ein Alumnus der Universität, an der man selbst studiert hat, Chef in der Stadt ist.“