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Die Vernetzung der Welt

Wissenschaftler untersuchen transnationale Verflechtungen im Ostasien des 19. und 20. Jahrhunderts

18.04.2011

Von Nadin Heé

Die Entstehung der modernen Welt seit Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich nur begreifen, wenn man die Entwicklung innerhalb globaler Strukturen und transnationaler Verflechtungen betrachtet. Das Aufkommen eines Weltmarktes, die politische und imperiale Expansion des Westens, aber auch zahlreiche kulturelle Transfers über nationale Grenzen hinweg trugen zu unterschiedlichen Globalisierungsprozessen bei. Die globale Integration hat jedoch nicht zu einer einheitlichen Welt geführt. Vielmehr behaupteten sich regionale Identitäten oder es bildeten sich sogar neue heraus.

Diese für unser Verständnis einer Geschichte der Globalisierung so wichtigen Entwicklungen stehen im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens „Korea and East Asia in Global History 1840-2000“, das von Professor Sebastian Conrad am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin geleitet und von der Academy of Korean Studies finanziert wird.

Unter dem Titel „Globalgeschichte global“ wollen Wissenschaftler in dem Projekt Multiperspektivität auf verschiedenen Ebenen umsetzen.

Ostasien ist ein gutes Beispiel für die Vernetzung unterschiedlicher Perspektiven und Positionen. So wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf der einen Seite das späte Chôson-Korea, Qing-China und Tokugawa-Japan zu Zielen westlicher Expansion. Englische und amerikanische Kanonenboote „öffneten“ Japan und China im Namen des Freihandels und der „Zivilisation“ und unterwarfen beide Länder unterschiedlichen Formen imperialer und kultureller Herrschaft. Die ostasiatischen Länder reagierten jedoch nicht einfach passiv, sondern prägten die globale Ordnung und ihren Wandel maßgeblich mit: einerseits durch Reformpolitik und Modernisierung nach westlichem Vorbild, andererseits – und das bleibt häufig unbeachtet – durch die Ausbildung regionaler Bezüge in Ostasien. Natürlich ließe sich da an eine längere Geschichte des Austausches und gemeinsame kulturelle Traditionen anknüpfen; doch die spezifische Art und Weise wie nach 1900 eine Großregion „Asien“ imaginiert und politisch instrumentalisiert wurde, war neu und lässt sich nur als Reaktion auf Prozesse globaler Integration verstehen.

Die Frage nach der Einordnung der Region ins globale Machtgefüge ist zentral für das Feld der Globalgeschichte, das in jüngster Zeit auch in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Credo in diesem Gebiet ist es, nationalhistorische Herangehensweisen zu überwinden und dabei nicht auf Vergleiche zwischen einzelnen Nationalstaaten abzuzielen, sondern ihre gegenseitige Beeinflussung und Durchdringung in den Blick zu nehmen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf Ostasien und seine globale Rolle bisher kaum geschehen – aus vielen Gründen: Zum Teil hat es mit mangelnden Sprachkenntnissen zu tun oder mit fehlender institutioneller Verankerung. Aber es ist auch ein Resultat der bestehenden eurozentrischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft.

Das Projekt „Korea and East Asia in Global History 1840-2000“ am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität will nun diese Lücke schließen. Dabei ist die Multiperspektivität auch bei den Teilnehmern gegeben. An dem Vorhaben sind unterschiedliche Forschungsinstitutionen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt beteiligt: in Deutschland neben Berlin die Universität Tübingen, in den Vereinigten Staaten die Duke University, und aus dem ostasiatischen Raum die Seoul National-Universität, die Yonsei-Universität sowie die National University of Singapore. Die an dem Forschungsverbund beteiligten Wissenschaftler analysieren nicht einzelne nationalstaatliche Entwicklungen, sondern fragen generell nach der Rolle von Ostasien in den Prozessen der Globalisierung zwischen 1840 und 2000. So untersuchen Historiker in einem Teilprojekt beispielsweise transnationale Vernetzungen im ostasiatischen Raum, indem sie Schmuggel im chinesischen Meer im 19. und 20. Jahrhundert in den Blick nehmen. Die Leitfrage ist, inwiefern Nationalstaatenbildung, Kolonialismus und Dekolonisierung sowie wirtschaftliche Krisen oder Wachstum den Schmuggel beeinflusst haben.