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Die Lust aufs Forschen fördern

Neuer Studiengang an der Freien Universität soll Grundschullehrer besser auf Unterricht der Naturwissenschaften vorbereiten

18.04.2011

Im Rahmen des Projekts "MINT-Lehrerbildung neu denken" wird an der Freien Universität vom Wintersemester an das neu konzipierte Studienfach "Integrierte Naturwissenschaften" als Nebenfach zum Kernfach Grundschulpädagogik angeboten.

Im Rahmen des Projekts "MINT-Lehrerbildung neu denken" wird an der Freien Universität vom Wintersemester an das neu konzipierte Studienfach "Integrierte Naturwissenschaften" als Nebenfach zum Kernfach Grundschulpädagogik angeboten.
Bildquelle: Timo Bleimling

Von Aliki Nassoufis

Ist die Erde rund? Warum soll ich Vollkornbrot essen? Und was haben Rapsfelder mit dem Autofahren zu tun? Wenn Kinder die Welt entdecken, wollen sie vieles wissen. Doch die Antworten fallen Eltern oft gar nicht so leicht. Auch den Lehrern nicht. Immerhin sind Fragen aus Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie und Physik nicht jedermanns Sache. An der Freien Universität Berlin haben Pädagogen und Naturwissenschaftler daher ein bundesweit einmaliges Projekt entwickelt: Im neuen Studiengang „Integrierte Naturwissenschaften“ können sich angehende Lehrer vom Wintersemester an gezielt auf den naturwissenschaftlichen Unterricht an Grundschulen vorbereiten.

„Derzeit geben rund 70 Prozent der Grundschullehrerinnen naturwissenschaftlichen Unterricht im Rahmen des Sachunterrichts“, sagt Professor Jörg Ramseger, Erziehungswissenschaftler und Leiter der Arbeitsstelle Bildungsforschung Primarstufe an der Freien Universität. „Davon haben allerdings nur etwa 20 Prozent ein naturwissenschaftliches Fach und knapp 40 Prozent das Fach Sachunterricht studiert – die übrigen unterrichten aus freier Hand.“ Eine Umfrage von Ramseger und seinen Mitarbeitern ergab außerdem, dass sich unabhängig von der Ausbildung nur rund 16 Prozent der Pädagoginnen und Pädagogen für den naturwissenschaftlichen Unterricht „gut“ oder „sehr gut“ qualifiziert fühlen. Die Folge: „Viele Lehrer geben Themen aus der Physik, Chemie oder Biologie falsch weiter oder vermeiden sie häufig ganz.“ In den Köpfen der Kinder kann sich so falsches Wissen festsetzen, oder sie übernehmen die eher negative Einstellung ihrer Lehrer und finden keinen Zugang zu den Fächern. „Die Lust der Kinder am Forschen wird von der Grundschule nicht mit hinreichend anspruchsvollen Lernangeboten gefördert“, sagt Ramseger.

Dabei wäre es wichtig, Jungen und Mädchen schon früh für die naturwissenschaftlichen Fächer zu interessieren. Denn wenn das nicht gelingt, reizen diese sie auch später meist nicht – über Fachkräftemangel in den Naturwissenschaften beklagen sich Hochschulen und Unternehmen schon seit Langem. Das sogenannte Nawi-Projekt der Freien Universität ist nun eines der ersten, das das Problem rund um die naturwissenschaftliche Ausbildung der Grundschullehrer angeht. Finanziell unterstützt werden Ramseger und seine Kollegen dabei von der Deutsche Telekom Stiftung. Schon seit Ende 2009 fördert sie an der Freien Universität die Lehrerausbildung in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – unter dem Motto „MINT-Lehrerbildung neu denken!“. Der neue Studiengang „Integrierte Naturwissenschaften“ ist eines der geförderten Projekte.

Darin sollen angehende Lehrerinnen und Lehrer selbst experimentieren und einen fächerübergreifenden Überblick über verschiedene Themen bekommen – sich also den biologischen, chemischen und physikalischen Aspekten eines Themas nähern. Zum Beispiel den alternativen Energien: „Was Energie ist, wird in der Biologie anders definiert als in der Chemie oder Physik“, sagt Jörg Ramseger, Sprecher des Nawi-Projekts. Davon könnten Lehrer und ihre Schüler in einem Projekt zur Energieeinsparung profitieren. „Die Kinder lernen, welche Vor- und Nachteile die unterschiedlichen Formen zur Energiegewinnung haben.“ Ein anderes Thema ist das Hebelgesetz – worüber selbst viele Erwachsene erst einmal nachdenken müssen, obwohl es im Alltag eine wichtige Rolle spielt. „Kinder lernen das Gesetz früh kennen“, erläutert Ramseger, „beispielsweise, wenn sie mit Freunden wippen und merken, dass ein leichtes Kind durchaus ein schwereres Kind anheben kann, wenn dieses auf der Wippe mehr zum Drehpunkt rutscht.“ In den Unterricht könnte man daher Experimente an der Wippe integrieren und sich so dem physikalischen Gesetz nähern. „Das muss man als Lehrer aber erst einmal durchschauen, um es den Kindern näherbringen zu können.“

Für manchen mag sich das so selbstverständlich anhören, dass er sich fragt, warum die Ausbildung der Lehrer nicht längst diesen Ideen gefolgt ist. Dass es dennoch einige Widerstände gegen die Einrichtung des neuen Nawi-Studiengangs gab, weiß Professor Volkhard Nordmeier, Physikdidaktiker und Leiter des MINT-Projekts an der Freien Universität: „Immerhin gibt es die Lehrpläne für die Ausbildung von Lehrern schon lange. Sie umzustellen, bedeutet eine Menge Aufwand.“ Die Naturwissenschaftler um die Professoren Nordmeier und Ramseger scheuten sich allerdings nicht davor und erarbeiteten einen neuen Studienplan. Ab Mitte Oktober wird an der Freien Universität erstmals der neue Studiengang „Integrierte Naturwissenschaften“ angeboten, der innerhalb von sechs Semestern zum Bachelor führt.

Auf dem Lehrplan stehen beispielsweise Themen wie die Jahreszeiten, der menschliche Körper, Papierherstellung oder die Frage, wie das Bild auf den Fernseher kommt. Dafür haben sich verschiedene Fachbereiche und Institute der Hochschule zusammengeschlossen, wie Volkhard Nordmeier berichtet: Biologie, Chemie und Physik, aber auch die Geowissenschaften, die Erziehungswissenschaft, Grundschulpädagogik sowie der Sachunterricht. Je nach Schwerpunkt werden die Studenten von unterschiedlichen Dozenten unterrichtet und erhalten zunächst einen Überblick über die verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Danach haben sie die Möglichkeit, ihr Wissen in einem oder mehreren Fächern zu vertiefen. Hinzu kommen mehrwöchige Praktika, in denen die angehenden Lehrer wissenschaftliche Arbeit in der Praxis erleben sollen, beispielsweise im Zoo, in einer Krankenhausapotheke oder beim meteorologischen Dienst.

„Ich glaube fest daran, dass Naturwissenschaften ähnlich wie Literatur, Musik oder Kunst ein zentraler Bestandteil unserer Kultur sind“, sagt Volkhard Nordmeier. „Und wenn wir es schaffen, dass wir die Neugierde unserer Kinder auf die Naturwissenschaften lenken, dann können wir so nicht nur den dringend benötigten Nachwuchs für naturwissenschaftlich-technische Berufe heranbilden, sondern auch in der Gesellschaft ein größeres Interesse und tieferes Verständnis für Natur- und Alltagsphänomene anregen. Die Unterstützung der Telekom Stiftung bringt uns dabei einen großen Schritt voran.“

Weitere Informationen

Der neue, sechssemestrige Studiengang „Integrierte Naturwissenschaften“ soll an der Freien Universität Berlin mit Beginn des Wintersemesters 2011/12 angeboten werden. Er kann als Nebenfach zum Hauptfach Grundschulpädagogik belegt werden und qualifiziert künftige Lehrerinnen und Lehrer fachspezifisch für das in Berlin und einigen anderen Bundesländern in den Klassenstufen 5 und 6 integrierte Schulfach „Naturwissenschaften“.

Der neue Nawi-Studiengang ersetzt die Fächer Biologie, Chemie und Physik als mögliche Zweitfächer für die angehenden Grundschullehrer und soll eine Option neben anderen wählbaren Zweitfächern wie Germanistik oder Mathematik sein.

Noch ist der neue Studiengang ein Modellversuch. Wenn er sich wie erwartet bewährt, wird er ins reguläre Studienangebot der Freien Universität aufgenommen.

Interessierte können sich im Frühsommer für den Studiengang anmelden, wenn das Anmeldeverfahren für alle Studienfächer des Wintersemesters eröffnet wird. ana

Weitere Informationen dann im Internet unter: www.fu-berlin.de/mint-lehrerbildung