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Damit alles im Fluss bleibt

Wirtschaftsinformatiker optimieren Einsatzpläne von Bussen, Bahnen und Flugzeugen

19.02.2011

Von Aliki Nassoufis

Ob meine S-Bahn heute wohl pünktlich kommt? Diese Frage mussten sich in diesem Winter viele Berliner stellen. Das „S-Bahn-Chaos“, wie die Medien es tauften, hatte mit seinen Zugausfällen und Dauerverspätungen sogar den Senat auf den Plan gerufen. Zwar müssen Fahrgäste nicht immer so viel Geduld beweisen wie mit der Berliner S-Bahn, aber glatt läuft auf Reisen selten alles. Häufig kommen Busse, Züge oder Flugzeuge später als angekündigt. Manchmal sind Naturgewalten schuld, aber immer wieder liegt es auch an der Planung der Verkehrs- und Flugunternehmen, die ihre Fahrzeuge und ihr Personal nicht so optimal einsetzen, dass der Fahrplan reibungslos funktioniert.

Genau hier kann Professorin Natalia Kliewer weiterhelfen : Die Wirtschaftsinformatikerin der Freien Universität entwickelt Strategien, um Pläne zu optimieren und das vorhandene Personal besonders effektiv einzusetzen. Auf diese Weise konnte die Wissenschaftlerin bereits Verkehrsunternehmen in verschiedenen Ländern unterstützen. Das Forscherteam an der neu eingerichteten Professur für Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität arbeitet dabei praxisbezogen und Hand in Hand mit Unternehmen wie der Deutschen Lufthansa in Frankfurt oder einem Karlsruher Anbieter für Planungssysteme im öffentlichen Verkehr, der Initplan.

Dabei geht es etwa um Einsatzpläne im öffentlichen Personennahverkehr. „Das sind hochgradig komplexe Problemstellungen“, sagt die 38-jährige Wirtschaftsinformatikerin. Ein Unternehmen wisse zwar, wie viele Mitarbeiter es habe – zum Beispiel Busfahrer – und wie viele Fahrzeuge zur Verfügung stünden. Doch aufgrund dieser Informationen einen Fahrplan zu erstellen, der reibungslos funktioniere und die Bedürfnisse der Kunden erfülle, sei gar nicht so einfach, sagt Natalia Kliewer: „Viele Unternehmen haben ihre Pläne jahrzehntelang immer wieder verändert und versucht, sie besser an die Realität und deren Anforderungen anzupassen. Doch diese Pläne sind weit davon entfernt, optimal zu sein.“ So gebe es oft Leerfahrten, weit entfernte Betriebshöfe oder Einsatzzeiten, bei denen mehr Fahrer unterwegs seien als eigentlich nötig – dafür fehlten diese dann möglicherweise an anderer Stelle. Besonders kompliziert werde es, wenn ein vollständig neuer Fahrplan erstellt werden müsse – egal, ob für Busse, Züge oder zum Beispiel für einen neuen Flughafen wie den Berlin Brandenburg International in Schönefeld, sagt die Wissenschaftlerin: „Ohne Unterstützung von Optimierungsmethoden ist es eine fast unlösbare Aufgabe, weil man nicht auf einen historisch gewachsenen Plan zurückgreifen kann, sondern bei Null anfängt.“

Professorin Kliewer und ihre Kollegen haben daher universelle Modelle entwickelt, die den Verkehr zum Fließen bringen. Ein solches Modell kann allerdings nur eine Grundlage sein, die für jedes Unternehmen angepasst werden muss. „Es ist sehr anspruchsvoll, die individuellen Anforderungen in ein Modell zu gießen und die optimale Lösung zu finden“, erklärt Kliewer, die vor ihrem Wechsel an die Freie Universität vor gut einem Jahr an der Universität Paderborn tätig war.

Ihr Team arbeitet mit mathematischen Algorithmen, die sich bei der Lösungssuche für zahlreiche komplexe Probleme bewährt haben. Die Wissenschaftler müssen außerdem klären, was ein Unternehmen und dessen Mitarbeiter genau wünschen. Erst dann können die Forscher mit den computergestützten Berechnungen starten. „Wir liefern keine Fahrpläne oder andere feste Lösungen“, sagt Kliewer, „sondern kooperieren mit Softwareunternehmen, wie in diesem Fall mit der Karlsruher Initplan.“ Die Forscher geben den Unternehmen entsprechende Methoden und Modelle an die Hand, mit denen dann konkrete Ergebnisse erstellt werden können – beispielsweise Einsatzpläne.

Doch selbst eine solche Optimierung kann ihre Tücken haben. „Die Pläne sind oft so straff, dass sie Störungen gegenüber sehr anfällig sind.“ Sind die Straßen im Feierabendverkehr zum Beispiel stärker befahren als am späten Vormittag, brauchen auch die Busse länger. Und wenn sie dann noch an der Endhaltestelle keine großen Pausen und damit keinen zeitlichen Puffer hätten, könnten sich die Verspätungen noch stundenlang fortsetzen, sagt Natalia Kliewer: „Verspätungen sind im alltäglichen Betrieb zwar unvermeidbar, dennoch kann man so planen, dass eventuelle Störungen abgefangen werden und nicht gleich das gesamte System kollabiert.“ Auch diese sogenannte robuste Planung im Flug- und Personennahverkehr gehört zu Kliewers Forschungsbereich.

Wunder kann die Wissenschaftlerin trotzdem nicht vollbringen. „Ich kann zum Beispiel nicht behaupten, dass wir die derzeitigen Probleme im Berliner Nahverkehr vollständig lösen könnten.“ Sie könne aber helfen, die Fahr- und Einsatzpläne robuster zu planen und so die Störanfälligkeit zu reduzieren. „Nur: Wenn nicht genug Ressourcen wie Fahrzeuge da sind, dann können auch wir nichts tun.“

Berlin biete für die neue Forschergruppe mit den bereits bestehenden Schwerpunkten für Optimierungsanwendungen in Transport und Verkehr ein ausgesprochen attraktives Umfeld, sagt Kliewer. Dazu zählten sowohl die akademische Forschung an der Technischen Universität und am Zuse-Institut Berlin sowie die industrielle Forschung bei Lufthansa Systems Berlin oder bei Moveo in Potsdam. „Mit der Wirtschaftsinformatik-Professur an der Freien Universität ist ein neues Puzzlestück zu dieser Forschungslandschaft hinzugekommen.“

Ein weiteres, relativ junges Forschungsfeld von Natalia Kliewer ist das sogenannte Revenue Management, was übersetzt so viel bedeutet wie Ertragsmanagement. Auch hier kommen Modelle und Algorithmen zum Einsatz, doch anstelle von Fahrzeugen und Personal stehen Flugtickets oder Hotelzimmer im Mittelpunkt: Fluggesellschaften und Hotels wollen schließlich ihre Plätze und Betten möglichst gut verkaufen. In den unterschiedlichen Arbeitsbereichen sieht die Wirtschaftsinformatikerin ein äußerst spannendes Aufgabengebiet: „Wir beschäftigen uns nicht nur mit der Theorie, sondern sehen unmittelbar, was unsere Arbeit in der Praxis gebracht hat.“