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Mikroskope, Monitore und Mannschaftssport

Vom Labor bis zur Leitwarte: Auch Sonnabend und Sonntag sind an der Freien Universität keine Ruhetage

19.02.2011

Von Julia Kimmerle

Zellkulturen kennen kein Wochenende. Tanja Maritzen auch nicht immer. Es ist Samstagabend, und im Gegensatz zu anderen Berlinern verbringt die Nachwuchsforscherin diese Zeit nicht in einem Club oder einer Kneipe, sondern auf dem Campus der Freien Universität. Im Labor für Membran-Biochemie und Molekulare Zellbiologie im Hahn-Meitner-Bau an der Dahlemer Thielallee splittet sie Zellen: Sie verteilt die Zellkulturen, die sie für ihre Forschungsarbeit braucht, in neue Petrischalen mit hellroter Nährlösung und lässt sie dann im Inkubator weiterwachsen. Eine Arbeit, die auch am Sonnabend gemacht werden muss, denn die Zellen wachsen schnell.

„Wochenendarbeit im Labor gehört eben dazu“, sagt Maritzen, die im Forscherteam von Professor Volker Haucke die Rolle bestimmter Proteine beim Membrantransport in Nervenzellen untersucht. Sie ist nicht die Einzige, die ihre Freizeit der Forschung widmet – auch ihre Kollegen Marnix Wieffer und Seong Joo Koo verbringen am Wochenende viele Stunden hier zwischen Mikroskop und Computer. „Wenn ein Experiment sechs Tage dauert, kann ich mir überlegen, ob ich es am Wochenende beginne oder beende. Aber einen freien Tag muss man opfern“, sagt Wieffer. Die Arbeit am Wochenende hat aber auch Vorteile. „Man muss sich die Mikroskope nicht mit einem Dutzend anderer Forscher teilen“, sagt Tanja Maritzen. Sie wird an diesem Sonnabend noch bis um elf Uhr nachts im Labor sitzen. Und sieht es positiv: „Das spart mir nächste Woche viel Stress und Zeit.“

Wenn Harald Goral am Sonntag seinen Dienst beginnt, hat er nur eine kurze Nacht: Um vier Uhr morgens muss der Mitarbeiter der Zentralen Leitwarte aufstehen, damit er pünktlich um sechs Uhr an seinem Arbeitsplatz ist. Ein bisschen sieht es aus wie in einem alten JamesBond-Film: Die Wände sind mit Edelholz verkleidet, an der Stirnseite geben kleine rote Lichter Auskunft über die Stromversorgung auf dem Campus, davor – an einem langen Pult – sitzen Goral und seine Kollegen vor Bildschirmen und Computern. „Wenn irgendwo auf dem Campus ein Fahrstuhl klemmt oder ein Feuermelder Alarm schlägt, dann läuft das alles hier zusammen“, erklärt Goral und zeigt auf die verschiedenen Telefone, die an der Wand hängen. Vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche ist hier Betrieb, auch um sechs Uhr morgens. Einer der Kontrollmonitore meldet eine ausgefallene Lüftung in der Kleintierklinik Düppel. Harald Goral verständigt sofort einen Techniker. „Wir kümmern uns drum“, sagt Goral. Sonntag ist hier kein Ruhetag.

Der Schirokko ist eigentlich ein warmer Südwind, der von der Sahara in Richtung Mittelmeer weht. Im Laptop-Arbeitsraum „Schirokko“ ist es auch warm, doch das ist nicht der Grund, warum der Informatik-Student Martin Grabitz seinen Sonntag hier verbringt. „Hier habe ich alles was ich brauche: W-Lan, meine Bücher und meine Ruhe“, sagt er. 25 Arbeitsplätze zählt der Raum. Dass er heute hier ganz alleine sitzt und lernt, stört den Master-Studenten nicht. Im Gegenteil: „Zuhause wäre ich ständig abgelenkt, hier stört mich niemand.“ Ideale Bedingungen, um für die nächste Klausur zu lernen, findet Grabitz: „Heute bin ich zum ersten Mal am Sonntag auf dem Campus. Aber ich habe mir schon vorgenommen, nächste Woche wiederzukommen.“

Die Philologische Bibliothek öffnet sonntags um zehn Uhr. Doch schon lange vorher bildet sich vor den Glastüren eine Schlange. Ana Yakimova, seit 2009 studentische Hilfskraft in der Bibliothek, kennt das schon. „Sonntags kommen die Fleißigen“, sagt sie und nimmt am Einlass Platz hinter der geschwungenen Theke. Sie kennt auch das restliche Sonntagspublikum genau – neben den Studierenden kommen am Wochenende Familien und Besucher, die sich vor allem für die Architektur des „Berlin Brain“ interessieren. Der Bau des britischen Architekten und Designers Lord Norman Foster, der auch die Reichstagskuppel entworfen hat, ist eine Touristenattraktion. Außerdem kommen „Bildungs-Touristen“, erzählt Yakimova: Externe Studenten, etwa aus Potsdam, die hier auf den Bestand von etwa 750 000 Bänden zugreifen können. Weil gegen Ende des Semesters oft alle der 633 Leseplätze belegt sind, ist das Wochenende besonders attraktiv. „Da kriegen die Studierenden eigentlich immer noch einen Platz – unter der Woche ist das anders“, weiß Ana Yakimova. Im Februar – zum Semesterende – werden freie Plätze dann nur eingeschränkt vergeben.

Koffein ist gut für die Konzentration. Deshalb treffen sich Esra und Anke am Sonntag auch zum Lernen in der Silberlaube. Allerdings nicht in einem Lesesaal oder Seminarraum, sondern in der „Coffeebar“ im Foyer der Mensa: Die beiden Studentinnen haben ihre Heißgetränke zwischen Statistik-Skripten und Taschenrechnern auf dem kleinen Holztisch zwischen sich platziert und diskutieren über Standardabweichungen und KonfidenzIntervalle. „Viel besser als in der Bibliothek“, findet das Esra, die Psychologie studiert: „Hier kann man sich in normaler Lautstärke unterhalten und nebenher auch noch etwas trinken, ohne Ärger mit der Bibliotheksaufsicht zu bekommen.“ Dass sie hier ihren Sonntag verbringen, findet ihre Kommilitonin Anke ganz normal. „Wir haben noch eine Woche bis zur Klausur. Da zählt jeder einzelne Tag.“ In dem Unicafé könne man sich die Arbeit wenigstens ein bisschen versüßen – mit einem Bio-Napfkuchen zum Beispiel. Dann sind auch Standardabweichungen kein unlösbares Problem mehr.

Faulenzen gibt es in der Turnhalle in Dahlem Dorf nicht. Bis nachts um zehn Uhr brennt auch am Wochenende hier das Licht, weil der Sonntag eben auch dem Sport gehört. Von Badminton bis Turniertanz, von Inline-Hockey bis Bogenschießen: Alle Kurse des Hochschulsports sind gut besucht, wie Hallenwartin Christiane Hein weiß. „Wer am Wochenende kommt, ist entspannt, da fehlen kaum mal Teilnehmer.“ Inline-Hockey Trainer Jörg Ogilvie, der vom Spielfeldrand die Kursteilnehmer beobachtet, sieht das ähnlich. „Am Sonntag ist die Disziplin kein Problem.“ Er leitet das offene Training an, korrigiert Haltung, Technik, Taktik und greift dazwischen auch selbst mal zum Schläger.

Statt aufs Sofa in die Skates – immerhin sechzehn Teilnehmer kommen deshalb Sonntag für Sonntag nach Dahlem. Jörg Ogilvie könnte sich nichts Besseres vorstellen. „Das ist einfach ein guter Ausgleich zur Woche.“