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„Tiefseetauchen im stürmischen Meer der Sprache“

Die Übersetzerin Susanne Lange ist August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität

19.11.2010

„Der Stil macht die Literatur aus“, sagt Susanne Lange, August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität. Wie etwas erzählt wird, sei entscheidend – nicht so sehr, was. Ginge es nur um das Was, wäre schließlich selbst Homers Odyssee nicht viel mehr als „die Geschichte eines Mannes auf dem Heimweg“.

Im Hungaricum an der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte hielt die Übersetzerin ihre Antrittsvorlesung. Das Thema: „Wie man ein Eiland guberniert. Stilfragen an einen Ritter“. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als Susanne Lange ihren „Stilberater“ und „Kollegen“ vorstellte: „Don Quijote“, die Hauptfigur aus Miguel de Cervantes' Roman. Zwischen 2002 und 2008 hatte Lange den Klassiker der spanischen Literatur aus dem 17. Jahrhundert neu ins Deutsche übertragen und hierfür von der Literaturkritik höchstes Lob erhalten.

Don Quijote und sie seien gewissermaßen verwandte Figuren, denn übersetzen bedeute „den Dingen einen Namen geben“, sagte Lange. Und Don Quijote – alias der kleine Landadelige Alonso Quijano – übersetzt sich selbst, indem er sich Don Quijote nennt. Auch seine Umgebung übersetzt er: Aus einem Bauern erschafft er seinen Knappen Sancho Panza, aus dem alten – namenlosen – Pferd wird Rocinante – eine Verbindung aus spanisch „rocin“, der Gaul, und „ante“, vorher.

Beim Übersetzen gehe es darum, „den richtigen Punkt zu finden zwischen dem eigenen und dem fremden Temperament“, sagte Susanne Lange. Darum, nie mehr sein zu wollen als das Original erlaubt. Die 1964 in Berlin geborene Komparatistin, Germanistin und Theaterwissenschaftlerin beschreibt ihre Arbeit als Mischung aus „Tiefseetauchen“ und „Sprachsurfen“. Es gehe darum, „auch das kleinste Kräuseln eines Satzes nachzufassen“ und in die andere Sprache zu übertragen.

Ihre allererste Arbeit – die Übersetzung von Fernando del Pasos „Palinurus von Mexiko“ – war eine Eigeninitiative. Ohne Auftrag und ohne Verlag. So etwas mache man eigentlich nicht. Aber das Mammutwerk habe sie gereizt, weil „jedes Kapitel in einem anderen Stil geschrieben war“. Die Übersetzung, die 1992 zum Buchmessenschwerpunkt Mexiko erschien, war der Beginn ihrer Laufbahn als literarische Übersetzerin.

An der Übertragung des Don Quijote hat Lange sechs Jahre gesessen, mehr nachts als tags. Oder wie sie es ausdrückt: „Sechs Jahre bin ich an der Seite des Knappen geritten.“ Sie gesteht, dass die Stimmen der Romanfiguren, die sie so lange begleitet hat, noch immer nicht verstummt seien. Glücklicherweise. Denn so gelang ihr der Kunstgriff, die Ratschläge, die Don Quijote seinem Knappen Sancho Panza im Roman über das „Gubernieren eines Eilands“ mitgibt – das Regieren einer Insel – in eine feinsinnige Anleitung zum Übersetzen zu übertragen. „Milde sein“ – auch, wenn man den Autor an den Ohren ziehen möchte, heißt es dann etwa. „Gott fürchten“, also: die Sprache fürchten und achten. Oder: „sich selbst erkennen“ – nicht die Federn zu spreizen, wo es der Autor nicht tut.

Als Gastprofessorin hält Susanne Lange das Seminar „Anatomie des Satzes und Alchemie der Wörter: die Kunst des Stils in der Übersetzung“ – und lehrt ihre Studierenden das Übersetzen? „Ich weiß gar nicht, ob man Übersetzen lehren kann“, sagt Lange. „Was ich versuche, ist eine neue Perspektive auf die Literatur und die eigene Sprache zu eröffnen.“