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Wann ist ein Mann ein Mann?

Ethnologe Hanspeter Reihling untersucht Vorstellungen von Männlichkeit und den Umgang von Männern mit AIDS in Kapstadt

31.05.2010

Wann gilt in Südafrika ein Mann als Mann? Für einen Jugendlichen der Xhosa, einer der größten ethnischen Gruppen des Landes, beginnt der Weg zum Mann meist mit einem Initiationsritus, zu dem die Beschneidung gehört. Für Buren, weiße Südafrikaner, gehört dazu häufig die Aufnahme in die Bruderschaft einer Universität. Was als männlich betrachtet wird und was nicht, ist abhängig vom soziokulturellen Hintergrund und der jeweiligen Lebenswelt des Einzelnen. Hanspeter Reihling vom Institut für Ethnologie der Freien Universität untersucht in seiner Dissertation, welche Vorstellungen in der heterogenen Bevölkerung Kapstadts vorherrschen. Er geht der Frage nach, wie sich männliche Selbstbilder auf Partnerschaft, Sexualität und die Übertragung von HIV auswirken. Damit verfolgt Reihling innerhalb der im deutschsprachigen Raum betriebenen Afrikastudien einen bisher einzigartigen Ansatz.

Männer reden nicht gerne über Krankheiten und ihren Körper

Anders als in Nordamerika oder Europa wird das Virus in Afrika in erster Linie durch Geschlechtsverkehr zwischen heterosexuellen Partnern übertragen – mit tiefgreifenden Folgen für die Gesellschaft. Die in den westlichen Industrieländern entwickelte Präventionsarbeit erreicht Männer afrikanischer Gesellschaften kaum. Warum, wurde bisher kaum beleuchtet. „Forschung von Männern über Männer fand in den achtziger Jahren vor allem im Rahmen der Männer-Bewegung statt", sagt Professor Hansjörg Dilger, der das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Promotionsprojekt angeregt hat und im Rahmen der Arbeitsstelle Medizinethnologie betreut. „HIV/AIDS war zunächst als ‚schwules Thema' besetzt und beispielsweise selbst in der Medizin lange keines, mit dem man Karriere machen konnte.“ Entsprechend seien Studien über heterosexuelle Männer erst in den vergangenen Jahren entstanden – innerhalb der „Critical Men Studies“, der sogenannten kritischen Männerforschung. Diese habe sich im angloamerikanischen Raum als Antwort auf die Frauenforschung der siebziger Jahre entwickelt und sich auch in Südafrika als Forschungsschwerpunkt unter Kultur- und Geisteswissenschaftlern etabliert.

Das ist einer der Gründe, warum Reihling am Kap der guten Hoffnung forscht. Ein zweiter: Südafrika ist stärker globalisiert als die meisten anderen afrikanischen Staaten, gleichzeitig gehört es zu den Ländern mit der höchsten HIV-Rate weltweit. Der Ethnologe beschäftigt sich seit 2003 mit dem Thema HIV/AIDS – zunächst in Projekten in Nord- und Südamerika, jetzt in Afrika. Kapstadt wurde für das DFG-Projekt als Forschungsstandort ausgewählt, weil die Stadt im Hinblick auf Geschichte und Gesellschaft eine große Heterogenität bietet und hier seit den ersten demokratischen Wahlen 1994 vieles im Umbruch ist. In der Millionen-Metropole am Kap der guten Hoffnung leben unterschiedliche Identitätsgruppen, die man so nicht überall in Südafrika antrifft. Kapstadt ist sehr modern und trotzdem die noch immer am stärksten segregierte Stadt in Südafrika – die Rassenideologie der Apartheid-Ära hat ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen und ist im Denken der Menschen verankert. Gleichzeitig formiert sich die Gesellschaft neu.

Reihling lebte dort 13 Monate lang bei Familien in den Townships Kayelitsha und Mitchell's Plane. Der gemeinsame Alltag hat erst die Basis für Gespräche zu seinem schwierigen Forschungsthema ermöglicht: „Männer reden nicht gerne über Krankheit und ihren Körper – auch nicht unbedingt über sich selbst und schon gar nicht mit anderen Männern“, sagt der Ethnologe. 120 junge Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren hat er schließlich befragt, Lebensläufe aufgezeichnet und Gruppengespräche organisiert, um herauszufinden, wie sich junge Männer im urbanen Afrika selbst sehen. Ergebnis: In allen Bevölkerungsgruppen, bei Schwarzen ebenso wie bei Weißen, bei Muslimen wie bei Christen, dominiert die traditionell-konservative Vorstellung, dass ein „richtiger Mann“ heiratet und eine Familie gründet, die er versorgt. Ein Bild, das die junge Generation von den Eltern übernommen hat. Nur sind diese meist im ländlichen Raum und unter anderen Rahmenbedingungen aufgewachsen. Junge Männer, die nach dem Ende der Apartheid in der Stadt groß geworden sind, fühlen sich hin- und hergerissen zwischen tradierten Wertevorstellungen und moderner Konsumgesellschaft. Das wirkt sich auch auf ihre Inszenierung als Mann und ihr Sexualverhalten aus.

Reihling hat festgestellt, dass in Kapstadt an verschiedenen Orten unterschiedliche Vorstellungen von Männlichkeit dominieren – in Townships ist es zum Beispiel die Figur des „Tsotsi“, eine Art illegaler Unternehmer. Die kriminelle Beschäftigung wird als Beruf betrachtet und von vielen jungen Männern betrieben, die an der modernen Welt teilhaben wollen. Markenartikel und Elektrogeräte gelten als wichtige Wohlstandssymbole, bleiben bei der hohen Arbeitslosigkeit für die meisten jedoch unerschwinglich. Jobs gibt es, wenn überhaupt, im Dienstleistungsbereich. Viele junge Männer wollen aber nicht als Kellner wohlhabendere Leute bedienen – das passt nicht in ihre Vorstellung von Männlichkeit. Daher werden sie zu „Tsotsis“: Mit der Pistole als Werkzeug führen sie Raubüberfälle durch. Junge Männer erzwingen Konsumgüter, um ihren Status zu verbessern und damit auch für Frauen attraktiv zu sein.

Wer über bestimmte Statussymbole verfügt und Geschenke machen kann, wird eher mit Gesundheit assoziiert, und diese Vorstellung wird wiederum übertragen auf die Stadtteile: Wer in entsprechend gut situierten Vierteln wohnt oder es sich zumindest leisten kann, mit einem Auto an den angesagten Strand von Camps Bay zu fahren, schafft Vertrauen, wird als potenziell gesund und HIV-negativ betrachtet. „In vielen afrikanischen Gesellschaften sind Geschenke des Mannes ein erwarteter Bestandteil sexueller Beziehungen“, sagt Professor Dilger. Männer seien sich der Ansteckungsgefahr bei Sex mit Prostituierten oder flüchtigen Bekanntschaften durchaus bewusst und benutzten Kondome. Sie hätten Angst, sich bei „leicht zu habenden“ Frauen anzustecken. In längerfristigen Beziehungen dagegen sei es ein wichtiges Zeichen der Liebe und des Vertrauens, kein Kondom zu benutzen.

„Die Menschen wissen von der Krankheit und den Übertragungsmöglichkeiten, trotzdem greifen viele Präventionsmaßnahmen nicht“, sagt Reihling. Sie seien eben im und für den westlichen Kulturkreis konzipiert worden und nicht direkt auf Afrika übertragbar. Hier setzt der Ethnologe mit seinem anwendungsbezogenen Forschungsprojekt an: Seine Ergebnisse sollen auch als Empfehlungen für Nichtregierungsorganisationen und politische Entscheidungsträger dienen. „Kulturelle Wertvorstellungen müssen ebenso berücksichtigt werden wie traditionelles Gewohnheitsrecht – beides schlägt sich in den Kampagnen aber kaum nieder“, sagt Reihling. Junge Männer fühlten sich nicht angesprochen und ältere, die unter der Apartheid gelitten haben, hegten grundsätzlich Misstrauen gegenüber organisierten Kampagnen. „Wenn die Maßnahmen von den Menschen angenommen werden sollen, müssen auch Lebensbedingungen, Alltagsthemen und ökonomische Zusammenhänge ernst genommen werden.“

Im Mai ist Reihling für weitere sechs Monate nach Südafrika gefahren. Nach seinem Aufenthalt in Townships lebt er diesmal in den besseren Vierteln Kapstadts und erforscht, was weiße Männer männlich finden und wie sie mit HIV/AIDS umgehen.