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Der kleine Unterschied macht’s

Neurowissenschaftlerin untersucht, wie wir im Alter geistig fit bleiben

31.05.2010

Irene Nagel kann Gedanken sehen. Aufmerksam schaut sich die Neurowissenschaftlerin verschiedene Bilder eines Gehirns an und vergleicht die orange-roten Flecken, die darauf zu sehen sind. Die Bilder wurden mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgenommen. „Wenn man über etwas Bestimmtes nachdenkt, dann ist mindestens eine Region im Gehirn aktiver als andere“, erklärt die junge Forscherin. „Diese im Tomografen gemessenen Aktivitätsunterschiede sind später im Bild zu sehen, in dem die relativ stärkere Hirnaktivität durch die orange-roten Flecken dargestellt ist.“

Irene Nagel ist Post-Doktorandin an der Freien Universität im Arbeitsbereich Emotionspsychologie und affektive Neurowissenschaften. Für ihre Promotionsarbeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersuchte sie unter anderem die Hirnaktivität von 30 jüngeren und 30 älteren Menschen. In einer Gruppe waren die Studienteilnehmer zwischen 20 und 30 Jahren alt, in einer anderen zwischen 60 und 70 Jahren. Ihre Forschungsergebnisse bestätigen, was mancher Senior vorlebt: Auch im hohen Alter ist es möglich, sehr gute geistige Leistungen zu erzielen. Dies zeigen Hirnaktivierungsmuster, die denen jüngerer Erwachsener ähneln. Die Arbeiten der Nachwuchsforscherin ermöglichen es auch, mehr über die Faktoren herauszufinden, die uns bis ins hohe Alter geistig fit halten. Von der Körber-Stiftung wurde sie jetzt für ihre Untersuchungen zur Alternsforschung für den Deutschen Studienpreis 2010 nominiert. Sie erreichte die Endrunde mit 25 weiteren Nominierten – von ursprünglich 391 Bewerbern.

Mit dem Alter gehen viele Veränderungen einher – auch im Gehirn. Stärker als andere geistige Funktionen lässt das Arbeitsgedächtnis nach. Es ist für das vorrübergehende Speichern von Informationen notwendig – ähnlich dem sogenannten Kurzzeitgedächtnis – sowie für das Bearbeiten dieser Informationen, um komplexe Aufgaben zu lösen. Sollen zum Beispiel im Kopf Wörter rückwärts buchstabiert oder eine Zahlenfolge zusammen gerechnet werden, müssen die Informationen im Geiste „bewegt“ werden.

Auch im Alter lassen sich hohe geistige Leistungen erzielen

Die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses unterscheidet sich von Mensch zu Mensch – auch in jungen Jahren. Im Laufe des Erwachsenenalters werden diese Unterschiede größer, weil bei manchen Personen die Leistungen stärker nachlassen als bei anderen. Bisherige Studien in der Alternsforschung, besonders in den kognitiven Neurowissenschaften, haben diese individuellen Abweichungen innerhalb einer Altersgruppe eher außer Acht gelassen. Irene Nagel ging es aber um genau diese bislang vernachlässigten Unterschiede: „Hierin liegt meines Erachtens ein Schlüssel, um wichtige Erkenntnisse über den Erhalt geistiger Leistungsfähigkeit im Alter zu gewinnen.“

Zusammen mit einem internationalen Forscherteam führte die 31-Jährige die Studie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durch, bei der sich die Teilnehmer verschieden schwierige, räumliche Muster einprägen und über einen kurzen Zeitraum merken sollten – eine Aufgabe, die das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis beansprucht. Anhand der fMRT-Bilder haben die Forscher nicht nur festgestellt, welche Gehirnareale beim Lösen der Aufgaben aktiviert wurden, sondern auch, wie sich die Hirnaktivität mit der Aufgabenschwierigkeit verändert, also wie gut sich das Arbeitsgedächtnis an die Herausforderungen anpasst. Dabei zeigte sich, dass bei Probanden mit hohen Leistungen die Aktivierung des Gehirns mit steigender Aufgabenschwierigkeit zunahm, also gut angepasst war – und zwar unabhängig vom Alter. Besonders bei älteren Probanden mit niedrigerer Leistung war die Anpassung dagegen weniger gut.

Leistungsunterschiede von einer Person zur anderen hängen also mit Unterschieden in der Anpassung der Hirnaktivierung an die Aufgabenschwierigkeit zusammen. „Das wichtigste Ergebnis für uns war, dass die Unterschiede gerade bei älteren Erwachsenen besonders groß waren, dass also nicht wenige von ihnen gute Leistungen erzielt haben. Die zukünftige Forschung wird versuchen, die Ursachen dieser Differenz zu ermitteln“, sagt Nagel. Dabei werde beleuchtet, welche genetischen Faktoren, aber auch Verschiedenheiten im Lebensstil zu Unterschieden im Alterungsverlauf führen können.

Sie selbst geht diesen Fragen gemeinsam mit mehreren Kollegen in einem Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung unter Leitung von Professor Ulman Lindenberger und Professor Hauke Heekeren weiter nach. Dabei wird der Zusammenhang von kognitiver Leistung, Hirnaktivierung, Alter und dem Botenstoff Dopamin unter Berücksichtigung genetischer Voraussetzungen untersucht. An der Freien Universität Berlin geht Irene Nagel in einem weiteren Projekt unter der Leitung von Professor Heekeren der Frage nach, wie sich die Fähigkeit, risikoreiche Entscheidungen zu treffen, im Alter verändert und wie diese Veränderung mit Unterschieden in der Hirnaktivierung zusammenhängt.

„Wie in einem Puzzle bringen wir langsam durch verschiedene Studien Informationen zusammen, um herauszufinden, wie sich der Alterungsprozess beim Menschen gestaltet und welche Faktoren ihn beeinflussen könnten“, sagt Nagel.