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Mit Diamanten Erdbeben erforschen

Hauke Marquardt erhält den Deutschen Studienpreis 2010 im Bereich Natur- und Technikwissenschaften

31.05.2010

Hauke Marquart simulierte den tiefen Erdmantel im Labor, um Erdbeben weiter zu erforschen.

Hauke Marquart simulierte den tiefen Erdmantel im Labor, um Erdbeben weiter zu erforschen.
Bildquelle: Sabrina Wendling

Zittrige Hände kann sich Hauke Marquardt nicht leisten. Mit einer Pinzette legt er Rubine und einen Kristall auf eine Diamantspitze. Vorsichtig platziert er unter dem Mikroskop einen winzigen Metallring darum. Hauke Marquardt hat sich das Fingerspitzengefühl eines Juweliers antrainiert, eigentlich ist er aber Geowissenschaftler. Mit einigem Geschick simulierte der 30-Jährige für seine Promotionsarbeit an der Freien Universität den tiefen Erdmantel im Labor – die Schicht, die den Erdkern umgibt. Seine Forschungsergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Ausbreitung von Erdbebenwellen zu und auf die weitgehend unbekannte Temperaturbestimmung im tiefen Erdmantel. Von der Körber-Stiftung wird er dafür mit dem Deutschen Studienpreis 2010 im Bereich Natur- und Technikwissenschaften ausgezeichnet.

In seinem Labor am Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam arbeitete Marquardt buchstäblich unter Hochdruck: Der untere Erdmantel befindet sich zwischen 660 und 2900 Kilometern tief unter der Erdoberfläche, in der Mitte des Mantels herrscht ein Druck von etwa 800.000 bar. „Das entspricht dem Druck, den man verspüren würde, wenn man den Eiffelturm auf der Fingerspitze balancieren könnte“, sagt Marquardt. Bis in diese Tiefe hinein reichen auch die tektonischen Platten, deren Bewegungen Auslöser für viele Erdbeben sind.

Im tiefen Erdmantel herrscht eine Temperatur von bis zu 4000 Grad Celsius

Um den Erdmantel zu simulieren, wurde ein synthetisch hergestelltes Mineral eingesetzt: Ferroperiklas. Am Bayerischen Geoinstitut der Universität Bayreuth ist der Kristall aus Eisenoxid und Magnesiumoxid hergestellt worden. Das Mineral lässt sich nämlich nicht direkt aus dem Erdmantel ins Labor befördern – obwohl der tiefe Erdmantel zu 25 Prozent daraus besteht. Bis in diese Tiefen hinein hat kein Mensch je gebohrt: „Die tiefsten Bohrungen, die bisher durchgeführt wurden, liegen bei etwa zwölf Kilometern“, sagt Marquardt. Im tiefen Erdmantel herrschten Temperaturen von bis zu 4000 Grad Celsius, was den Zugang unmöglich mache.

Den Kristall unter Druck gesetzt hat Marquardt mit zwei spitz geschliffenen Diamanten. „Druck ist definiert als Kraft, die auf einer Fläche wirkt: Hohen Druck kann man also entweder durch große Kraft oder durch kleine Flächen erzeugen.“ Die Spitzen der beiden Diamanten wurden deshalb feingeschliffen, sodass sie nur noch einen Durchmesser von 0,3 Millimetern hatten. Und auch der Ferroperiklas-Kristall, den der Wissenschaftler mithilfe einer Nadel zwischen die beiden Diamantspitzen positionierte, war mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Damit die scharfen Spitzen, die den Ferroperiklas-Kristall unter Druck setzen, diesen nicht einfach zerdrücken, hatte er den Kristall mit einem Metallring eingefasst. Als Drucksensoren dienten Rubine, die mit in den Ring eingesetzt und mit einem blauen Laser angestrahlt wurden. Das Laserlicht wird von den Rubinen absorbiert, und Licht anderer Wellenlänge wurde wieder ausgestrahlt. Je nach Druckstärke variiert der Farbton des emittierten Lichtes.

Mit dem Druck ändern Schallwellen ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit. Wie in jedem Festkörper gibt es auch in Kristallen Schallwellen, denn sie bestehen aus Atomen. Die Atome sind ständig in Bewegung und lösen damit die Wellen aus. „Schallwellengeschwindigkeiten von Mineralen sind für Geowissenschaftler von besonderem Interesse, weil sie sich mit der Geschwindigkeit von Erdbebenwellen vergleichen lassen“, sagt Marquardt.

Der Wissenschaftler untersuchte auch die atomare Struktur des Kristalls. Er fand heraus, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen sich ändert, je nachdem wie die Atome zueinander angeordnet sind. Außerdem erkannte er, dass es eine bevorzugte räumliche Ausrichtung der Kristalle im unteren Erdmantel gibt. „Die natürliche Bewegung der Erdplatten kann dazu führen, dass sich die Minerale in den Gesteinen in eine Richtung orientieren“, sagt Marquardt, „sie suchen sich die Position des geringsten Widerstands, so wie etwa ein Stein längs auf der Erde liegt und nicht auf der Spitze steht.“ Diese Ausrichtung der Minerale wiederum beeinflusst den Verlauf von Erdbebenwellen.

Marquardts Daten bilden eine Grundlage, die Bewegungen der Erdbeben-Schallwellen besser zu verstehen und damit eines Tages vielleicht auch Erdbeben genauer vorhersagen zu können. Außerdem zeigen die Ergebnisse einen unerwarteten Zusammenhang zwischen der Temperatur, die im tiefen Erdmantel herrscht, und der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen. Daraus könne konzeptionell eine Art Thermometer für den unteren Erdmantel werden, sagt Marquardt: „Dazu bedarf es aber noch umfangreicher Labordaten und genauer Erdbebenaufzeichnungen.“