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Verführerische Bilder

Die Kunsthistorikerin Vera Beyer vergleicht islamische und christliche Kunst

31.05.2010

Die Kunsthistorikerin Vera Beyer leitet die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Kosmos/Ornatus. Ornamente in Persien und Frankreich um 1400 im Vergleich“.

Die Kunsthistorikerin Vera Beyer leitet die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Kosmos/Ornatus. Ornamente in Persien und Frankreich um 1400 im Vergleich“.
Bildquelle: Steffen Jänicke

„Du sollst dir kein Gottesbild machen“, heißt es im zweiten Gebot der hebräischen Bibel. Dahinter steckt die Sorge, dass die Verehrung, die die Menschen allein für Gott empfinden sollen, auf sein sicht- und greifbares Abbild überspringen könnte. Auch die Darstellung des Propheten Mohammed war in der islamischen Rechtsprechung umstritten. Die bebilderte Realität sah aber oft anders aus.

Bilder haben den Menschen seit ältester Zeit in seiner kulturellen Entwicklung begleitet und ihm die Möglichkeit gegeben, flüchtig existente Ereignisse festzuhalten oder individuell Wahrgenommenes zu interpretieren. Schon früh wurden biblische Erzählungen illustriert: auf römischen Sarkophagen, in Synagogen, Kirchen und Büchern, als Skulpturen, Fresken und Malerei. In der sakralen Kunst des Islam war zwar die Abbildung von Mensch und Tier eher selten, in Palästen und anderen repräsentativen Bauten konnte von einer Bilderabstinenz aber oft keine Rede sein.

Bilder haben den Menschen stets in seiner kulturellen Entwicklung begleitet

„Auch die strengsten Monotheismen, also Religionen, die nur einen Gott anerkennen, konnten an der Attraktivität von Bildern offensichtlich nichts ändern, weder der jüdische Glaube, noch der christliche oder der islamische“, sagt Vera Beyer. Die 34-Jährige, die mit dem wissenschaftlichen Nachwuchspreis des Regierenden Bürgermeisters von Berlin 2009 ausgezeichnet wurde, leitet am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte EmmyNoether-Nachwuchsgruppe. Seit zwei Jahren untersuchen die Wissenschaftler christliche und islamische Kunst des späten Mittelalters.

Christentum und Islam bezogen sich nicht nur gemeinsam auf das Alte Testament – Muslime und Christen pflegten vom mittleren Osten bis nach Spanien auch enge nachbarschaftliche, politische und kommerzielle Kontakte. Diese Beziehungen spiegeln sich auch in den christlichen und islamischen Bildkulturen wider, die sich im Kontakt und in der Auseinandersetzung miteinander entwickelten.

„Es wird immer wieder der Unterschied angeführt, dass die christlich-europäische Malerei bilderfreundlich und figurativ und die islamische Kunst bilderfeindlich und deshalb ornamental sei. Dieser Gegensatz stimmt so nicht“, sagt Vera Beyer, die zugleich die Gemeinsamkeiten beider Kulturen im wissenschaftlichen Visier hat.

Es gab in der christlichen und islamischen Kunst eine Menge Illustrationen von höfischer Literatur, Heldengeschichten und mystischen Gedichten, die sowohl Ornamente als auch Figuren zeigen. Man könne hier auch nicht klar zwischen religiöser und weltlicher Sphäre, zwischen sakraler und säkularer Kunst unterscheiden. „Diese Trennung ist eine Idee der Moderne“, sagt die Kunsthistorikerin.

So wurden Bilder – mit und ohne göttlichen Bezug – in beiden Kulturen zum Geschichtenerzählen verwendet. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Josef und der Frau des Potifar, im islamischen Kontext Suleika genannt. Sie wurde sowohl in der christlichen als auch in der islamischen Kultur schriftlich wie bildlich aufgegriffen und weitererzählt.

In der auf alttestamentliche Motive zurückgehenden Erzählung wird Josef von seinen Brüdern an Potifar verkauft, einen hohen ägyptischen Beamten. Daraus entwickelt sich ein Familiendrama, das von Eifersucht, Verbrechen, Rettung, Verführung und Vergebung handelt, in dem tiefste Niederlage und höchster Aufstieg nah beieinander liegen.

Lange herrschte ein eurozentristischer Blick auf die Kunst vor

Potifars Frau Suleika versucht Josef zu verführen. Der aber widersteht ihrem Angebot und landet im Gefängnis. Die versuchte Verführung wird auch im Bild thematisiert – mal mehr, mal weniger körperbetont. Vergleicht man die deutschen und die persischen Bebilderungen des 15. und 16. Jahrhunderts, fällt auf, dass die Figuren im deutschen Kontext dem damaligen humanistischen Ideal entsprechen und anatomisch sehr genau und plastisch dargestellt sind. „Die persische Bildversion dagegen ist architektonischer, farbiger und flächiger“, erklärt Vera Beyer.

Bei der Bildanalyse fragt die Forschergruppe danach, ob die persische Figurendarstellung, die insgesamt weniger plastisch gewesen ist, fehlendem handwerklichem Können geschuldet ist oder ob stattdessen eine spirituelle Qualität von Schönheit vermittelt werden sollte. „Unserer Ansicht nach ist ein Bild nicht defizitär, nur weil es keine räumliche Perspektive hat – ein Qualitätskriterium, das seit 500 Jahren in der christlich-europäischen Kunsttradition favorisiert wird. Es wird eben mehr Wert auf geistige Dimensionen von Schönheit gelegt“, sagt Vera Beyer. Und es gehe auch darum, welche Art von Verführung – eine körperliche oder eine geistige – vermittelt werden soll. Sigmund Freud bezeichnete so etwas als „Zurücksetzung der sinnlichen Wahrnehmung gegen eine abstrakt zu nennende Vorstellung“. Die Geschichte von Josef und Suleika wurde bis in die Moderne vielfach in der Malerei und der Literatur aufgegriffen. So stand die 383 Verse umfassende biblische Geschichte Pate für Thomas Manns umfangreichstes Romanwerk „Joseph und seine Brüder“.

Bildliche Darstellungen belegen die Interaktion der beiden Kulturen

Wie die Josephserzählung sind viele Kunstobjekte durch verschiedene Regionen und Religionen gewandert und im Laufe der Zeit verändert worden. Spannender als die Frage nach dem Ursprung findet die Kunsthistorikerin die Rekonstruktion von Veränderungsprozessen, die wechselseitige Interaktion von Kulturen. Bilder seien dafür ideale Untersuchungsobjekte. Schließlich kann man die Verführung von Menschen durch Bilder – ungehindert des zweiten Gebots – bis in die heutige digitale Welt beobachten.

In der Ausstellung „WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin“, die vom 24. September 2010 bis zum 9. Januar 2011 im Martin-Gropius-Bau zu sehen sein wird, hält Vera Beyer am 30. September um 10.00 Uhr eine Vorlesung für die Schulklassen 10 bis 13. Das Thema ist „Körperliche Reize oder wahre Schönheit? Joseph und die Frau des Potifar“. Mehr zu der Ausstellung lesen Sie auf Seite 5 dieser Beilage.

Im Wintersemester findet an der Freien Universität die Vortragsreihe „Ein Gott – Kein Bild? Konstitutionen von Bildpraxis und Bilderverbot zwischen Judentum, Christentum und Islam“ statt, die Vera Beyer mit Professorin Barbara Schellewald von der Universität Basel konzipiert hat.