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Das Erhabene und Heimatlose

Hölderlin-Inszenierungen auf Berliner Theaterbühnen

19.04.2010

Es sind Bilder, die man nicht vergisst: das „Eismeer“ von Caspar David Friedrich als Hintergrund für Hölderlins Trauerspiel. Oder die Ruine des Anhalter Bahnhofs als Kulisse im Berliner Olympiastadion, der Bühne für die theatrale Umsetzung des Romans „Hyperion“, aus dem zentrale Sätze auf die Toranzeige projiziert werden. Der Regisseur Klaus Michael Grüber hat in seinen Hölderlin-Inszenierungen für die Berliner Schaubühne in den späten 1970er Jahren starke Bilder gefunden. Deren Beschwörung freilich durchbricht er zugleich, indem er etwa neben den Anhalter Bahnhof eine Pommesbude mit Obdachlosen stellt. Empedokles und Hyperion, Hölderlins Protagonisten, haben eben Anteil an beiden Welten: am Erhabenen wie an der Welt der Außenseiter und Heimatlosen.

Auch wenn Hölderlin Berlin nie besucht hat – von hier gehen und gingen entscheidende Impulse für seine Rezeption auf dem Theater aus. Als grundlegend für die Entdeckung Hölderlins für die Theaterbühnen erwies sich Bertolt Brechts Antigone des Sophokles im Jahr 1948. Gerade aus dem Exil zurückgekehrt, erkannte Brecht die Bedeutung von Hölderlins tragischer Sprache – und ließ sich durch sie in seiner eigenen Diktion nachhaltig beeinflussen. Zugleich verstärkte er die von Hölderlin hervorgehobene politische Dimension, indem er den Mythos seinerseits bearbeitete und aktualisierte. Brecht entwarf ein „Modellbuch“, in dem Bühnenphotos mit didaktischen Instruktionen verbunden wurden, um eine neue „Spielweise“ zu begründen, die er im Berliner Ensemble von 1949 an etablierte.

Ein weiterer richtungsweisender Impuls kam von Komponist Wolfgang Rihm und seiner 1987 uraufgeführten Oper „Oedipus“ an der Deutschen Oper Berlin. Rihm verband Hölderlins Sophokles-Übersetzung mit Passagen aus den Werken Friedrich Nietzsches und Heiner Müllers. Auch der Komponist und Intendant Peter Ruzicka arbeitete in seinem 2008 an der Staatsoper uraufgeführten „Hölderlin“ mit Techniken der Montage und Überblendung. Ruzickas „Musiktheater“ verband Passagen aus Hölderlins Werk mit alltags- und umgangssprachlichen Texten zu großen Zeitbildern. Die Oper beschwor eine Weltuntergangs- und -aufgangsvision, für die Hölderlins Texte offenbar als Wegweiser dienten.

Drei Arbeiten hat Friedrich Hölderlin für das Theater verfasst: das unvollendete Trauerspiel „Der Tod des Empedokles“ und die beiden Sophokles-Übersetzungen „Oedipus der Tyrann“ und „Antigonae“. Hölderlin hebt im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen im 18. Jahrhundert die politische Dimension der Tragödie hervor, betont wird jeweils der tragische Konflikt in der Polis. Er verfremdet die Sprache, die eigene ebenso wie die der Griechen. Mit beidem, seiner harten, tragischen Sprache und seinem entidealisierten Bild der Griechen, stößt er bei den Zeitgenossen auf Unverständnis und Abwehr.

Erst im 20. Jahrhundert finden seine Übersetzungen ihr Publikum. Die Ursachen für deren Faszination zu erkunden wie auch ihre Bedeutung für das gegenwärtige Theater zu bestimmen, gehört zu den Zielen der diesjährigen Hölderlin-Jahrestagung. Die Wahl des Themas wurde angeregt von Theresia Birkenhauer, der 2006 verstorbenen Berliner Theaterwissenschaftlerin, die als Dozentin und Dramaturgin zu Hölderlin gearbeitet hat und deren an der Freien Universität entstandenes Buch zu Empedokles der Forschung neue Perspektiven eröffnete.

Martin Vöhler