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Man lernt nicht aus

Warum die Netzwerkgesellschaft reflektierende Praktiker braucht

12.10.2009

Wer im Beruf Erfolg haben will, muss über den eigenen Horizont hinausschauen und gemeinsam mit anderen an Problemlösungen arbeiten können.

Wer im Beruf Erfolg haben will, muss über den eigenen Horizont hinausschauen und gemeinsam mit anderen an Problemlösungen arbeiten können.
Bildquelle: DUW

Von Christine Schreiber

Schulabschluss, Hochschulabschluss und dann bis zum Rentenalter nur noch arbeiten – solche Bildungsbiografien werden in Zukunft immer seltener. Studierende, die heute mit einem Bachelor- oder Masterabschluss in der Tasche die Universität verlassen, um ins Berufsleben zu starten, sollten deshalb wissen, dass dieser Abschied vom Bildungswesen nicht endgültig ist. „Schon allein der Begriff eines abgeschlossenen Studiums beruht auf Abgeschlossenheitsfantasien, die nicht mehr in unsere heutige Welt passen“, sagt Ada Pellert, Präsidentin der neu gegründeten Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) in Berlin.

Die Idee, dass ein Studium für ein ganzes Berufsleben reiche, werde in unserer Gesellschaft immer unrealistischer: „Ein Studium hat in den Industriestaaten die paradoxe Zielsetzung, Menschen darauf vorzubereiten, ihre Aufgaben kompetent zu erfüllen und ihnen gleichzeitig zu vermitteln, dass sich ihre Jobs oft ändern werden.“ Gerade von Hochschulabsolventen und -absolventinnen werde erwartet, dem Wandel in Unternehmen positiv gegenüberzustehen und ihn voranzutreiben. Im Neudeutsch von Personalmanagern heißt das „change agents“ – aktive Agenten des Wandels. Doch wer im Job-Alltag den Wandel vorantreiben soll, brauche selbst immer wieder neue Impulse, neue Informationen und neues Wissen. „Deshalb wird die berufsbegleitende Weiterbildung, in der man Theorie und Praxis aufs Neue zusammenführt und aufeinander bezieht, immer wichtiger“, sagt Ada Pellert.

Während bis Anfang der Neunziger Jahre galt, „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmer mehr“, heißt es heute: „Was Hänschen nicht gelernt hat, sollte Hans eben später nachholen“. Dieser Gedanke des lebenslangen Lernens, des „lifelong learning“, ist eine Lektion, die in europäischen Unternehmen gerade erst mühsam gelernt wird. Vor allem der demografische Wandel zwingt zum Umdenken.

Nach Berechnung des Statistischen Bundesamtes wird in fünfzig Jahren über ein Drittel weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter leben als heute. Der Mangel an Arbeitskräften, vor allem an hochqualifizierten, wird jedoch schon früher zu einem politischen Problem werden. Das Konzept des lebenslangen Lernens wurde deshalb schon 2001 Bestandteil der Beschäftigungsstrategie der EU-Kommission. Schon bald werde es sich kein Unternehmen mehr leisten können, das Thema Weiterbildung zu vernachlässigen. Doch auch bei Bildungsexperten und -politikern müsse man zwischen Rhetorik und Praxis unterscheiden, sagt Pellert: „Über das Konzept wird schon seit mehr als 15 Jahren diskutiert. Umgesetzt und im Alltag gelebt wird ,lifelong learning‘ dagegen erst jetzt allmählich.“

Die Frage, wie man Privat- und Berufsleben in ein gutes Verhältnis bringt und die Debatte um die berühmte „Work-Life-Balance“ müssten in Zukunft um eine Dimension erweitert werden. Dann müsste auch Bildungsleben ein integraler Bestandteil sein, ist Ada Pellert überzeugt. „Die Frage, wie man Bildung in das eigene Leben einbaut, wird immer wichtiger. Einerseits wegen der eigenen Berufsaussichten: Wie schaffe ich es in einer Gesellschaft, in der Wissen und Informationen rasant anwachsen, hochqualifiziert zu bleiben?“. Andererseits gehe es auch um die Frage der Teilhabe an dieser Gesellschaft, um aktive Bürgerschaft. Denn in einer globalisierten „Netzwerkgesellschaft“ sei Bildung nicht nur Voraussetzung für beruflichen Erfolg, sondern auch für sozialen Zusammenhalt.

Der Begriff der Netzwerkgesellschaft wurde 1996 von dem Soziologen Manuel Castells geprägt. Damit bezeichnete er die komplexen und widersprüchlichen Trends in einer Gesellschaft, in der Information und Wissen zwar einerseits Rohstoffe sind, die die Produktivität gesteigert hätten. Gleichzeitig erfordere die Netzwerkgesellschaft aber auch aktives, zivilgesellschaftliches Engagement: „Wir müssen uns mehr als Teil einer integrativen Gesellschaft verstehen, die verhindert, dass die Kluft zwischen jenen – eher wenigen –, die immer mehr wissen und jenen – eher vielen – , die immer weniger wissen, fortwährend größer wird.“

Hochschulabsolventen müssten sich auf die geänderten Anforderungen einstellen, sagt Ada Pellert. Gefragt seien „reflektierende Praktiker“ – Fachkräfte, die nicht nur über erforderliches Wissen und Berufserfahrung verfügten, sondern auch den reflexiven Umgang damit beherrschten: „Heute ist es wichtiger denn je, sich nicht nur in einer Disziplin auszukennen. Stattdessen sollten Fachkräfte mehrere ,Codes‘ und Fachsprachen sprechen.“ Wer nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre beispielsweise im Controlling eines Unternehmens tätig ist, sollte auch über den eigenen Horizont hinausschauen können. Erfolgreich werden langfristig die sein, die auch eine Vorstellung davon haben, was den Vertrieb oder die Marketingabteilung antreibt, welche Schlagworte dort wichtig sind und welche Probleme es dort gibt. „Ein reflektierender Praktiker wäre beispielsweise ein Controller, der es schafft, seine Logik zu den anderen Abteilungen in Beziehung zu setzen und an einer gemeinsamen Problemlösung zu arbeiten“, erklärt Pellert.

Dass die Fähigkeit, über den eigenen Job zu reflektieren, auch dem beruflichen Erfolg hilft, davon ist Pellert überzeugt: „Gerade für berufsbegleitende Weiterbildung stellt der reflektierende Praktiker ein geeignetes Leitbild dar.“ Um von der gemeinsamen Denkleistung im Unternehmen zu profitieren, lernten berufstätige Fachkräfte etwa, gemeinsam mit anderen ihre Praxis kritisch zu durchleuchten. Denn auch im Job-Alltag bildeten sich individuelle „Theorien“ darüber aus, wie der berufliche Alltag zu gestalten sei. Und nicht immer seien diese Theorien richtig oder hilfreich. Diesen Annahmen auf die Spur zu kommen, sich von manchen Vorstellungen zu verabschieden und das eigene Arbeiten so zu verbessern, sei nicht einfach, sagt Ada Pellert. Denn niemand gestehe sich gern eigene Fehler ein oder liebe Kritik. Deshalb sei neben dem Nachdenken auch Toleranz gefragt – sich selbst und anderen gegenüber.