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Windkraft im Aufwind

Forscher vergleichen deutsche und britische Energiepolitik

12.10.2009

Von Sabrina Wendling

Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen, sagt ein chinesisches Sprichwort. In Großbritannien und Deutschland hat man sich diese Weisheit besonders zu Herzen genommen: Dem Wind der Veränderung in der europäischen Energiepolitik begegnet man in beiden Ländern mit dem Bau zahlreicher Windmühlen an Land und auf dem Meer. Deutschland und Großbritannien gehören zu den Spitzenreitern in der Europäischen Union, was den Einsatz erneuerbarer Energien und den Abbau von CO2-Emissionen betrifft. In einem vergleichenden Projekt der Forschungsstelle Umweltpolitik am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität ergründen Wissenschaftler die erfolgreiche Energiepolitik beider Länder.

Als Insel verfügt Großbritannien vor allem über zwei Ressourcen: Wind und Wasser. Wind auf dem Wasser zu nutzen, ist keine ganz neue Idee, aber eine ziemlich gute, findet Lutz Mez, Privatdozent in der Forschungsstelle für Umweltpolitik: „Auf dem Wasser ist der Wind noch viel stärker als an Land, deshalb haben die sogenannten Offshore-Windmühlen bis zu fünf Megawatt Leistung – eine einzelne Windturbine an Land hingegen nur zwei bis drei Megawatt.“

Als „offshore“ bezeichnet man Windkraftwerke, die in Küstennähe auf dem Wasser installiert und am Meeresgrund verankert werden. Der Vorteil besteht nicht nur darin, dass sie mehr Leistung erbringen. Einen Standort auf dem Meer zu finden ist auch bedeutend einfacher, als eine entsprechend große Fläche an der Küste auszuweisen – denn der Anblick eines Windmühlenparks zwischen grünen Hügeln und malerischen Felsstränden dürfte wohl niemanden richtig erfreuen.

Die Windkraft belegt auch in Deutschland den Spitzenplatz unter den erneuerbaren Energien: Erst mit deutlichem Abstand folgen Biomasse, Geothermie und Wasserkraft. An fünfter Stelle steht Solarenergie – doch selbst dieser vergleichsweise geringe Anteil genügt, Deutschland zum Photovoltaik-Weltmeister zu machen. „Es gibt wesentlich mehr Photovoltaikanlagen in Deutschland als durch die Statistik erfasst werden – bislang werden nämlich nur solche Anlagen gezählt, die Strom in ein öffentliches Netz einspeisen“, erklärt Mez.

In der Vergleichsstudie spielen aber nicht nur die natürlichen Gegebenheiten Deutschlands und Großbritanniens eine Rolle. Betrachtet werden außerdem konkurrierende Energieträger in einem Land, und es wird überprüft, wie lange es dauert, bis regenerative Energien sich durchsetzen können. Darüber hinaus interessieren sich die Umweltforscher für die Pfadabhängigkeiten der jeweiligen Energiesysteme, also unter welchen Umständen die Systeme entstanden sind und wie diese ihre weitere Entwicklung beeinflusst haben. Dabei sind einschneidende Ereignisse von Bedeutung, etwa die Ölpreiskrise. Ebenso wird das Umweltbewusstsein der Briten und der Deutschen ausgewertet.

Neben ihrer Vorliebe für Windenergie ähneln sich die beiden Länder in ihren Pro-Kopf-Emissionen an Kohlendioxid: In Deutschland sind dies zehn Tonnen CO2, in Großbritannien 8,8. In ihrem Gesamtausstoß an Kohlendioxid gehören beide Länder weltweit zu den zehn Ländern mit den höchsten Emissionen. „Es ist jedoch bemerkenswert, dass sowohl Deutschland als auch Großbritannien es geschafft haben, ihre Emissionen erheblich zu senken: Deutschland hat zwischen 1990 und 2008 die Treibhausgas-Emissionen von 1215 auf 845 Gigatonnen reduziert, Großbritannien im selben Zeitraum von 774 auf 630 Gigatonnen“, sagt Mez.

Atomstrom wird in vielen Staaten der Europäischen Union produziert. In Deutschland sind derzeit 17 Atommeiler in Betrieb, in Großbritannien sind es 19. Dennoch sind die Anteile der Atomenergie am Gesamtstromverbrauch sehr verschieden: In Deutschland ist es ein knappes Viertel des Stroms, in Großbritannien weniger als ein Sechstel. „Unter der Regierung von Margaret Thatcher wurde der britische Energiesektor komplett umstrukturiert: Die Stromversorgung wurde privatisiert, Kohlekraftwerke weitgehend stillgelegt“, sagt Mez, „seitdem gibt es dort vor allem Gaskraftwerke.“ Diese seien ökonomisch und ökologisch viel sinnvoller.

Die britischen Atomkraftwerke sind inzwischen im Besitz deutscher und französischer Konzerne. In Deutschland hätten die vier größten Energieversorgungsunternehmen – RWE, E.ON, Vattenfall und ENBW – quasi ein Monopol, sagt Mez: „Auch deshalb ist eine Verlängerung der Laufzeiten von Kraftwerken kritisch, da sich bis zu dahin keine neuen Anbieter auf dem Markt etablieren können.“

An dem Vergleich arbeiten die Wissenschaftler der Forschungsstelle für Umweltpolitik noch ein knappes Jahr weiter. Bis dahin beobachten sie zudem, in welchem Maß Deutschland und Großbritannien ihre Ziele zur Reduktion von Emissionen verwirklichen – und versuchen zu beurteilen, inwieweit die Erfolge in der britischen und deutschen Energiepolitik übertragbar auf andere Staaten sind.