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Die Umwelt profitiert von der Finanzkrise

Volkswirt Hans-Joachim Ziesing fordert deutlich mehr Anstrengungen zum Klimaschutz

03.09.2009

Von Sabrina Wendling

Umwelt – was ist das? Gesunde Bäume? Saubere Luft? Umwelt als Kollektivgut ist nur schwer zu begreifen. Nicht so für Hans-Joachim Ziesing. Er fasst die Umwelt in Zahlen zusammen: Der Volkswirt schätzt jährlich die Entwicklung der aktuellen Treibhausgas-Emissionen. Aus seinen inzwischen langjährigen Beobachtungen zieht er den Schluss, dass Tempo und Tiefe der Anstrengungen zur Minderung der weltweiten Emissionen drastisch intensiviert werden müssen, um den Klimawandel aufzuhalten.

Die Finanzkrise produziert vor allem negative Schlagzeilen: Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze, Unternehmen beklagen Milliardenverluste, private Anleger sind enttäuscht vom Bankensystem. Nur die Umwelt profitiert. „Wirtschaft und Umwelt sind eng miteinander verknüpft“, sagt Hans-Joachim Ziesing, „wenn die Wirtschaft leidet und Unternehmen schließen, verringern sich die schädlichen Treibhausgasemissionen.“ So erfreulich die Auswirkungen für das Klima sein mögen – mit der Finanzkrise lassen sich keine Umweltprobleme lösen: „Wir können und sollten aber die Krise nutzen für eine umweltverträgliche Wirtschaftspolitik. Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen können auch einen wirksamen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten“, sagt Ziesing. Deshalb sollte auch die Bundesregierung bei all ihren Programmen darauf achten, besonders energiesparende und emissionsmindernde Maßnahmen zu fördern, rät der Forscher. Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz und Nutzung Erneuerbarer Energien und die damit verbundenen Investitionen könnten nicht nur dem Klima, sondern auch einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung helfen.

Hans-Joachim Ziesing ist Experte für Energie, Umwelt und Wirtschaft. Er studierte an der Universität Köln und an der Freien Universität Berlin Volkswirtschaftslehre, an der Technischen Universität promovierte er über die Ökonomie Erneuerbarer Energien. 37 Jahre lang war er am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) tätig und leitete dort fast ein Vierteljahrhundert die Energieabteilung. Der heute 66-Jährige ist der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität seit vielen Jahren verbunden. Zuletzt hat er mit der Forschungsstelle gemeinsam unter anderem das israelische und das tschechische Umweltministerium beraten. Hans-Joachim Ziesing war an unzähligen Projekten rund um Energie- und Klimaschutzpolitik beteiligt und saß in verschiedenen Enquête-Kommissionen auf Bundes- und Länderebene. Außerdem wirkte Ziesing an Studien zum Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz sowie zur Umsetzung des Emissionshandelssystems in Deutschland mit. Seiner Neigung zu empirischer Forschung entspricht, dass er seit vielen Jahren Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. ist, die die quasi-amtlichen Energiebilanzen für Deutschland erarbeitet. Für seine Leistungen im energie- und umweltpolitischen Bereich erhielt Ziesing 2005 das Bundesverdienstkreuz.

1997 begann der Volkswirt, regelmäßig Berichte mit Schätzungen der Emissions-Entwicklung für Deutschland und die Welt zu erstellen. Grundlage dafür waren die vorliegenden Angaben zum aktuellen Energieverbrauch eines Landes. Zusammen mit Annahmen über die durchschnittlichen Emissionswerte von Kohle, Öl und Gas konnte er so auf die zu den Vorjahren veränderten Emissionsmengen schließen. Nach den Ergebnissen des in Kürze erscheinenden Berichts waren die weltweiten CO2-Emissionen im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent höher als 2007. Dies war vor allem auf den kräftigen Anstieg in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit hohem wirtschaftlichen Nachholbedarf zurückzuführen, während die CO2-Emissionen in den Industrieländern vielfach gesunken sind. In Pro-Kopf-Emissionen gerechnet, rangieren diese aber nach wie vor weit vor den Entwicklungsländern.

Als besonders prägende Ereignisse in der Umweltgeschichte nennt Ziesing die Ölpreiskrisen der neunziger Jahre, die Sonntagsfahrverbote nach der Ölkrise 1973 und die damals vorübergehend eingeführten Geschwindigkeitsbegrenzungen, außerdem die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sowie die mehr und mehr wahrgenommenen Gefahren des Klimawandels ganz allgemein. Kurz nach der Wende erstellte Ziesing ein Gutachten für das deutsche Umweltministerium über die Emissionsentwicklung in den neuen Bundesländern. Das Ergebnis: „Weil die Wirtschaft in der ehemaligen DDR nach dem Mauerfall zusammenbrach, reduzierten sich zwangsläufig auch die Emissionen.“ Eine ähnliche Entwicklung habe es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion selbst gegeben.

Immer wieder werden auf nationaler und internationaler Ebene Ziele formuliert, die die Reduzierung des Ausstoßes für die kommenden Jahre festlegen sollen. „Die Bundesregierung hatte das Ziel, die CO2-Emissionen in Deutschland von 1990 bis 2005 um ein Viertel zu senken. Dieses Ziel hat sie allerdings bei weitem verfehlt“, sagt Ziesing. Das Vorhaben für den Zeitraum 2008 bis 2012, die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 21 Prozent zu reduzieren, wurde dagegen nach seinen Berechnungen bereits 2007 erreicht – und 2008 deutlich übertroffen.

Steckt sich die Bundesregierung also zu niedrige Ziele? „Das Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) – eine Einrichtung der Vereinten Nationen und des Weltmeteorologenverbandes – hat jedenfalls errechnet, dass bis zum Jahr 2050 die Emissionen weltweit mindestens halbiert werden müssen, um eine globale Erwärmung um höchstens zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Da den Entwicklungs- und Schwellenländern noch ein weiterer Anstieg zugebilligt werden muss, bedeutet das für die Industrieländer eine Reduktion von 80 bis 95 Prozent“, betont Ziesing. Das Tempo der Emissionsminderung müsse deshalb erheblich beschleunigt und politische Maßnahmen zum Klimaschutz beträchtlich verschärft werden.