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Charité: Wäre kleiner feiner?

27.07.2009

„In Berlins Kliniken versickert das meiste Geld“ – „Üppige Abfindung für früheren Stasi-Major ohne Konsequenzen“ – „Mordprozess mit Folgen: Charité feuert Stationsleiterin“ – „Charité gerät im Finanzskandal unter Druck“ – „Quersubventionierung des privaten Helios-Konzerns“ – „Wunschdirektor für Charité sagt ab“ – „Charité schlampt mit Rechnungen“ – „Charité wirbt illegal“ – „Betriebsräte: Patienten werden schlecht versorgt“ – „Gebäudereiniger-Gewerkschaft wirft Charité mangelnde Hygiene vor“ – „Charité-Bericht bleibt geheim“ – „Universitätsmedizin ist mit Millionen im Defizit“ – „Berlin School of Public Health: ein Trauerspiel“ – „Leiche auf Charité-Toilette begann zu verwesen“ – „Sanierung der Charité wird deutlich teurer als geplant“ – „Charité setzt Putzkräfte für Essensausgabe ein“ – „19,5 Millionen Euro Defizit an der Charité“.

Das sind nur einige der Schlagzeilen über das größte staatliche Krankenhausunternehmen Europas, wenn nicht der Welt. Alle haben eines gemeinsam: Sie teilen mit, dass die Charité nicht funktioniert. Böse Journalisten, 11 000 unfähige Mitarbeiter, ein krimineller Vorstand, ein versagender Aufsichtsrat? – Nichts von alledem: Es ist die schlichte Übergröße, die die Charité hat monströs werden lassen. Daran muss sich etwas ändern. Zur Erinnerung: Die Charité im jetzigen Zustand ist das Resultat eines Kompromisses. Er bestand darin, im Jahr 2003 – entgegen aller Vernunft – das Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität, das seinerzeit jährlich über fünf Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete, einer Einrichtung zuzuführen, die damals bereits zu groß war – der Charité, der nach der Wende bereits das frisch sanierte Rudolf-Virchow-Klinikum der Freien Universität zugeschlagen worden war. Eigentlich sollte kurzer Prozess gemacht werden: Skelettierung der Freien Universität durch Schließung der Humanmedizin. 450 000 Berliner protestierten mit ihren Unterschriften. Die größte Fusion auf dem Krankenhaussektor nahm ihren Lauf. Und wenn weiter gewartet wird, geschieht das, was bei 75 Prozent aller Fusionen passiert: Das gesamte Unternehmen geht in den Konkurs. Also hilft nur, was auch in der Wirtschaft hilft? Die Kernpotenziale der einzelnen Teile identifizieren, das Unternehmen auflösen, und jeder Teil konzentriert sich auf das, was er kann? In Steglitz wäre das insbesondere die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, psychischen Erkrankungen, Augenleiden – also in erster Linie solche, die in einem Bezirk mit alternder Bevölkerung häufiger sind. Das geht nur in Abstimmung mit den anderen Kliniken des Südwestens und in bleibender Kooperation mit den drei anderen Standorten als eine Art Verbund – „Charité  1 – 4“. Das hieße dezentrale Verantwortung der Klinikdirektoren mit dezentralen Budgets und der Erlaubnis, Investoren zu beteiligen, wobei in Steglitz bei seinem vergleichsweise geringen Sanierungsaufwand sogar staatliche Mittel genügen würden. Lehre und Forschung könnten in engster Kooperation mit der Freien Universität stattfinden. Jetzt ist Flexibilität gefragt, Unternehmungslust, Verantwortung und Kompromissbereitschaft – genau die Eigenschaften, durch die die Freie Universität seit ihrer Gründung gekennzeichnet ist.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.