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Von Hakan zu Herrmann?

Was die Vornamen der Kinder von Migranten über deren Integration in die Gesellschaft verraten

„Sag mir, wie du heißt und ich sag dir, ob du integriert bist.“ Wird diese These bestätigt, wenn man die Vergabe der Vornamen bei Kindern von Migranten in Deutschland statistisch untersucht? Soziologen der Freien Universität sind der Frage nachgegangen.

Von Jürgen Gerhards und Silke Hans

In Deutschland leben mehr als zehn Millionen Menschen, die im Ausland geboren wurden und eingewandert sind. Wenn diese Personen hierzulande Kinder bekommen und einen Vornamen für ihre Sprösslinge wählen, müssen sie sich entscheiden, ob sie einen Namen vergeben, der in ihrem Herkunftsland geläufig oder einen, der in Deutschland populär ist. Mit ihrer Wahl signalisieren die Eltern möglicherweise auch die gewünschte ethnische Zugehörigkeit ihrer Kinder, denn vom Vornamen kann man nicht nur auf das Geschlecht schließen, sondern auch auf die Herkunft. Wer etwa den Namen Hakan hört, vermutet, dass er es mit einem Jungen türkischer Herkunft zu tun hat. Wer den Namen Douglas vernimmt, schließt auf ein englischsprachiges Elternhaus, und beim kleinen Herrmann wird man davon ausgehen, dass er deutsche Eltern hat. Auf der Basis einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung wurde analysiert, unter welchen Umständen sich Migranten für einen in Deutschland gebräuchlichen Namen entscheiden und wann sie auf einen für das Herkunftsland typischen Namen zurückgreifen.

Rund 64 Prozent der Migranten vergaben Namen, die so nur in ihrem Herkunftsland üblich sind, die übrigen 36 Prozent entschieden sich für eine kulturelle Anpassung an deutsche Gewohnheiten. Welche der Alternativen Eltern bei der Wahl des Vornamens für ihre Kinder bevorzugen, hängt entscheidend davon ab, in welchem Ausmaß sie selbst in die deutsche Gesellschaft integriert sind. So sind Eltern, die auch Deutsche zu ihren Freunden und Bekannten zählen und damit in multiethnische Netzwerke eingebunden sind, deutlich stärker geneigt, ihrem Kind einen deutschen Vornamen zu geben als Eltern, die ausschließlich mit Personen aus ihrem Herkunftsland zu tun haben. Und auch der soziale Aufstieg beeinflusst die Namensvergabe: Eltern, die ein hohes Bildungsniveau erreicht haben, bevorzugen für ihre Kinder eher einen in Deutschland typischen Namen als bildungsferne Eltern. Schließlich spielt auch die politische Integration eine Rolle. Es zeigt sich, dass Migranten, die die deutsche Staatsbürgerschaft übernommen haben, auch in der Namensvergabe deutsche Gewohnheiten stärker übernehmen als solche, die den Pass ihres Heimatlandes behalten.

Zugleich zeigen die Analysen, dass es zwischen den nach Deutschland eingewanderten Gruppen deutliche Unterschiede gibt. Zuwanderer aus der Türkei vergeben im Vergleich zu Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien und Südwesteuropa – Italien, Spanien und Portugal – weniger häufig in Deutschland gebräuchliche Vornamen. So entschieden sich 89 Prozent der Türken für Namen, die es nur in der Türkei gibt, die Vergleichsquote bei den beiden anderen Gruppen liegt bei 35 Prozent und 43 Prozent. Sind die türkischen Einwanderer also weniger an einer Integration an die deutsche Gesellschaft interessiert? Dieser Rückschluss griffe zu kurz: Einen deutschen Namen zu vergeben oder nicht, ist nicht immer eine klare Alternativentscheidung. So gibt es viele Vornamen, die in mehreren Ländern gebräuchlich sind. Maria und Miguel gibt es beispielsweise in Spanien, Italien und Portugal ebenso wie – in ähnlicher oder gleicher Form – in Deutschland. Der Name Emma gehörte in den letzten Jahren beispielsweise zu den zehn beliebtesten Namen in so verschiedenen Ländern wie Belgien, Dänemark, Frankreich, Norwegen, Schweden und den USA. Nun variiert die Menge der Namen, die in jeweils beiden Kulturkreisen gebräuchlich sind, sehr stark, wenn man die verschiedenen Herkunftsregionen betrachtet: Während es kaum Namen gibt, die sowohl in der Türkei als auch in Deutschland üblich sind, verhält es sich bei den anderen Gruppen der Einwanderer ganz anders. Fast ein Drittel der „jugoslawischen“ Namen können in gleicher oder ähnlicher Schreibweise auch in Deutschland vergeben werden. Bei den südwesteuropäischen Ländern überschneidet sich sogar etwa jeder zweite Name. Diese Gruppen haben also die Möglichkeit, ihren in Deutschland geborenen Kindern Namen zu geben, die weder für sie selbst noch für Deutsche „fremd“ erscheinen. Für türkische Zuwanderer stellt sich die Lage vollkommen anders dar: Wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen Sprachfamilie finden sich hier kaum Namen, die in gleicher oder ähnlicher Weise in beiden Kulturen existieren. Wenn sich türkischstämmige Eltern bei der Namensgebung ihres Kindes an deutsche Gewohnheiten anpassen wollen, haben sie eine relativ harte Schwelle zu ausschließlich deutschen Namen zu überwinden. In diesem Fall aber laufen sie Gefahr, dass ihnen der Name ihres eigenen Kindes phonetisch fremd erscheint. Stellt man diese kulturelle Restriktion in Rechnung, dann ist der Grad der Akkulturation auch der türkischen Einwanderer in der Vornamensvergabe doch beträchtlich. Schließlich würden vermutlich auch die wenigsten Deutschen, die in die USA auswandern, ihrer neugeborenen Tochter den Namen „Madison“ geben, der auf Platz 3 der Namenshitliste für Mädchen im Jahr 2006 in den USA kam, sondern sicher Namen wie „Emily“ oder „Emma“ – die Plätze auf Rang 1 und 2 – vorziehen, die auch im Deutschen vorkommen.

Dennoch – gerade auch für türkische Eltern kann ein deutscher Vorname erwägenswert sein, da Menschen mit ausländischem Namen manchmal Diskriminierungen ausgesetzt sind, wie beispielsweise Emsal Kilic in ihrer sozialwissenschaftlichen Diplomarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin für den Berliner Wohnungsmarkt gezeigt hat. Für Personen mit türkischen Namen ist es demnach deutlich schwerer, eine Wohnung in einem gehobenen Viertel zu mieten als für Personen mit deutschen Namen. Aber auch Deutsche sind vor einer negativen Bewertung durch die Gesellschaft nur aufgrund ihres Vornamens nicht gefeit: Chemnitzer Psychologen haben unlängst nachgewiesen, dass Menschen mit Namen, die als altmodisch wahrgenommen werden, wie die früher populären Namen Dirk oder Birgit, als unattraktiv und wenig intelligent eingeschätzt werden. Ein solches Vorurteil könnte in einigen Jahren gegenüber heutigen Modenamen wie Lukas und Leonie bestehen. Zumindest mit diesem Problem werden Elif und Emre hierzulande sicher nicht zu kämpfen haben.

Die Autoren, der Soziologie-Professor Jürgen Gerhards und die Wissenschaftlerin Silke Hans von der Freien Universität Berlin, haben zur Vergabe der Vornamen von Migranten eine Analyse vorgelegt, die kürzlich im „American Journal of Sociology“ veröffentlicht wurde.