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Bibelfest und sehtüchtig

Das Weiterbildungszentrum der Freien Universität bietet Bildungsreisen mit Kunsthistorikern an – hier Eindrücke einer Reise nach Paris im Oktober

Von Felicitas Wlodyga

Neun Uhr, in der Basilika in St. Denis nahe Paris. Die Sonne strahlt durch die großflächigen Glasfenster der Ostfassade und veranstaltet ein morgendliches Farbenspiel mit den mächtigen Säulen und Kreuzrippengewölben im Kircheninnern. Das Lichtspektaktel in allen Regenbogenfarben empfängt die Reisegruppe aus Berlin, die sich schon früh am Morgen aus dem Herzen der Stadt in die etwas schäbige nördliche Vorstadt aufgemacht hat.

Ein dunkelhaariger Mann löst sich aus der Gruppe und beginnt, über das Leben und Wirken des Abts Suger zu sprechen, unter dessen Leitung um 1130 dieser Kathedralbau entstand. 25 Augenpaare sind auf den Kunsthistoriker Eberhard König gerichtet, der das Sinnliche und Schöne des Moments aufgreift. Er nutzt das Licht, das alle zu Beteiligten zu machen scheint.

In diesem Augenblick kommt so vieles zusammen, das die Faszination an der Kunstgeschichte erklären kann, die diese Menschen – allesamt Gasthörer der Freien Universität Berlin – teilen: die vielfältigen Verbindungen zu Religion und Theologie, die Verschmelzung von Geschichte und Kunstgeschichte, die Faszination des Mittelalters – und der oft über mehrere Jahrzehnte gewachsene Wunsch, mehr von diesen Themen zu wissen. „Ich bin an einem Lebensabschnitt angelangt, an dem ich das Berufliche hinter mir lasse und eine Welt entdecken kann, die ich noch nicht gekannt habe“, sagt Werner Jäkel, in seinem „früheren“ Leben Naturwissenschaftler. Ihn fasziniert es, in dem Kathedralbau von St. Denis zu stehen, von dem die Gotik einst ihren Ausgang nahm.

Die fünftägige konzentrierte Studienreise „Romanik und Gotik – von Paris aus“ verspricht Begegnungen mit Spitzenwerken dieser Epochen. Doch das größte Plus für alle Beteiligten ist, dass sie „ihren“ Professor bereits aus dem Hörsaal und aus Kursen des GasthörerCard-Programms kennen. Oder auch von anderen Reisen, nach Flandern oder in die Normandie.

„Wir können aus dem Vollen schöpfen mit Professor König“, meint Renate Döbler. Für Rudolf Schmidt ist dieser ein „Sturzbach an Wissen“. Ein Museumsbesuch kann auf dieser Fahrt schon einmal sechs, sieben Stunden dauern – damit sind die Teilnehmer zufrieden. Denn wie soll es anders gelingen, was der Kunsthistoriker gerne will: ihnen „einen schönen Überblick über die Künste vom Jahr 1000 bis ins Spätmittelalter geben“?

Wie die gotische Architektur ist auch die gotische Skulptur um 1140 im Herzen Frankreichs in der Ile de France entstanden. Um diese nachzuzeichnen, gibt es keinen besseren Ort auf der Welt als die Pariser „Cité de l''architecture et du patrimoine“. Die „Galerie des Moulages“ – im weltweit größten Architekturmuseum – birgt Schätze des Gipsabgusses. Was in der Kunstgeschichte Frankreichs Rang und Namen hat, wurde in den 1860er bis 1920er Jahren abgeformt und in die Stadt an der Seine geschafft: Sarkophage, Schmucksäulen, kunstvoll verzierte Wendeltreppen, ganze Portale mit Gewänden und Tympanon. Begriffe wie Tympanon braucht der Professor seiner Reiseschar nicht zu erklären, sie beherrschen die architektonischen Grundbegriffe von ihren Kursen an der Freien Universität.

„Um so eine hohe Dichte der Romanik in Deutschland zu sehen, müssten wir von Hildesheim bis Gernrode reisen“, sagt König. Der Kunsthistoriker geht auf zwei Skulpturenpaare aus Chartres ein, an denen man „eigentlich eine unendliche Breite dessen anknüpfen könnte, was Kunst sein könnte“, zieht Vergleiche mit der Engelssäule vom Straßburger Münster. Hier die Fülle, dort die Konzentration auf das Wesentliche, ein ständiges Wechselspiel. König öffnet und lenkt den Blick: „Warum stehen Figuren so da?“ Erklärt, dass über eine bestimmte Zuneigung ihrer Körper „mit einem Mal etwas vollkommen Neues passiert“.

Kunstgeschichte für Kenner? Eine gewisse Vorbildung haben alle, sind sie doch in erster Linie wegen der Kunst hier, den Rest der Stadt kann man immer noch einmal besichtigen. Über die Auseinandersetzung mit der Bibel, teils seit ihrer Jugend, nicht selten erst während ihrer Studien als Gasthörer, entschlüsseln viele Teilnehmer immer mehr Details. Sie erkennen, wie die Gotik den kirchlichen Bilderkreis in neue Formen gefasst hat.

Immer wieder führt König ihnen die Kür seiner Disziplin vor, „das für die Kunstgeschichte Grundlegende“: Die Beschreibung des Kunstgegenstands markiert den Unterschied zwischen optischem und begrifflichem Wahrnehmen. Seine Zuhörer schätzen die Momente der Konzentration, die er immer wieder schafft – in der Kathedrale Notre Dame, in der Kirche Sainte-Chapelle, im Louvre, im Musée de Cluny –, ebenso wie seine gelegentlichen flapsigen Bemerkungen, wenn er etwa von „Weichspülermadonnen“ spricht oder sie eilig an den „schrecklichen Sebastiens“ vorbeischleust. Auf ihr enormes Durchhaltevermögen bei täglich rund zehn Stunden Intensivprogramm angesprochen, winken die Kunstliebhaber ab. Die Gasthörerin Ingrid Stöbener hat ihren noch berufstätigen Ehemann Hans-Jürgen und ihre Tochter Kristina mit auf die Reise genommen – unisono ist die ganze Familie begeistert von der Tour.

Als das Flugzeug der Air France mit der Gruppe wieder in Tegel landet, verabschieden sich alle herzlich voneinander – müde, aber glücklich. Manche von ihnen waren schon zusammen auf anderen kunsthistorischen Via-Artium-Studienreisen der Freien Universität Berlin, auch mit anderen Dozenten. Als Ingrid Stöbener sich verabschiedet, sagt sie: „Morgen geht es weiter mit einer Vorlesung über nordalpine Malerei bei Professor König.“


Kunstgeschichte erleben

Die kunsthistorischen Studienreisen Via Artium finden im Rahmen des GasthörerCard-Programms der Freien Universität Berlin statt. Dieses bietet neben der Möglichkeit, reguläre Vorlesungen der Freien Universität Berlin zu besuchen, das exklusiv für Gasthörer organisierte Angebot „Kunstgeschichte vor Ort“ mit rund 130 Kursen pro Semester.

Das neue Angebot beginnt Ende April 2009. Über den Besuch dieser Kurse eröffnet sich ein hervorragender Zugang zu den Reisen. Diese können aber auch ohne GasthörerCard gebucht werden.

Hier eine Auswahl der Studienreisen im kommenden Jahr:

Braunschweig – Glanzlichter der fürstlichen Sammlungen (14. Februar 2009); Mittelalterliches Halle im Händel-Jahr (5. Juni 2009); Das literarische Straßburg (28. September bis 3. Oktober 2009); Jugendstil in Brüssel (24. bis 27. September 2009): London im Advent (26. bis 29. November 2009).

Weitere Informationen und das vollständige Programm: Weiterbildungszentrum der Freien Universität, Telefon: 030 / 838-51477 und -51470.

Am 14. Januar 2009 sprechen der Kunsthistoriker Eberhard König und der Theologe Rainer Kampling in der Reihe „Theologie und Kunstgeschichte vor Ort“ zum Thema „Caravaggio – Bilder vom Heiligen“ in der Dahlemer St. Annen Kirche (16.30 bis 18 Uhr). Der Eintritt ist frei. FU