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Blick zurück und nach vorn

Im Gespräch über die Vergangenheit und Zukunft der Freien Universität: die Professoren Paul Nolte, Arnulf Baring und Jochen Staadt (von links nach rechts).

Im Gespräch über die Vergangenheit und Zukunft der Freien Universität: die Professoren Paul Nolte, Arnulf Baring und Jochen Staadt (von links nach rechts).
Bildquelle: Stephan Töpper

Ein Gespräch zwischen dem Historiker Arnulf Baring und dem Nachfolger auf dessen Professur Paul Nolte

Herr Baring, was war die Freie Universität, als Sie hierher kamen und was war sie, als Sie gegangen sind?

Baring: Ich habe 1952 mit meinem Jurastudium angefangen, also nur vier Jahre nach der Gründung der Freien Universität. Das war eine erstaunliche Zeit, weil damals möglich war, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: dass nämlich frühere Nationalsozialisten und zurückgekehrte Emigranten Seite an Seite harmonisch arbeiteten. Dass das möglich war, ist für mich – und übrigens auch für andere Studenten – die größte Überraschung gewesen. Meine deutlichste Erinnerung ist die ungeheuer optimistische Grundstimmung damals: Die Universität war glücklich, dass es sie gab, alle waren von einem großen Aufbruchswillen erfüllt. Für spätere Jahrzehnte kann ich das nicht sagen.

Herr Nolte, Sie sind vor dreieinhalb Jahren an die Freie Universität gekommen.

Nolte: Und ich war schon drauf und dran, Herrn Baring zu fragen, wann der Optimismus verloren gegangen ist. Der 1968er Protest ist auf seine Weise ein Höhepunkt des euphorischen Optimismus gewesen und hat ihn zugleich ernüchtert und zerstört. Noch in den 1990er Jahren, als die Humboldt-Universität nach der Wiedervereinigung glorreich auferstanden war, dank massiver politischer Unterstützung und – das darf man nicht vergessen – mit der Abwerbung hervorragender Professoren der Freien Universität, wusste man nicht so recht, wohin mit der Freien Universität. Jetzt gibt es eine neue Aufbruchstimmung, das ist sehr deutlich spürbar. Allerdings zeigt sie sich noch nicht so richtig bei den Studenten. Da bleibt viel zu tun. Und wir Professoren stoßen immer wieder an die Grenzen der Belastbarkeit: Wenn eine Universität zugleich in der Forschung exzellent sein und die Studiengänge – mehr noch: das ganze Betreuungssystem neu erfinden will – ist das schon eine Herausforderung.

Ich habe Ende der 1960er Jahre studiert, damals hatte die Freie Universität rund 15 000 Studenten. Sie, Herr Baring, haben die Freie Universität erlebt, als sie auf 40 000 und mehr Studenten anwuchs. Was ist mit dieser Universität in den 1970er und 1980er Jahren passiert, die ja auch ihr Selbstverständnis seit 1967/68 sehr stark in Frage gestellt hat?

Baring: Ich kam 1969, nachdem ich ein Jahr in Harvard verbracht hatte, als junger, hoffnungsvoller, sozialliberaler Professor zurück – und erkannte die Uni nicht mehr wieder. Die äußere Verwahrlosung war offenkundig. Ungeheuer erschreckt hat mich auch die Brutalisierung der Sprache.

Nolte: Die Freie Universität hat, wenn man es etwas pathetisch sagen will, zwischen 1967 und 1989 die Last bestimmter sozialer und kultureller Entwicklungen in ganz Deutschland auf sich genommen. Ich selbst habe hier nicht studiert, aber zwei meiner Brüder sind als typische Wehrdienstflüchtlinge in den 1980er Jahren nach Berlin gekommen und haben hier studiert. Damals gab es großartige intellektuelle Freiräume – aber auch unproduktive Rückzugsnischen.

Was raten Sie der Freien Universität zum 60., was wünschen Sie ihr?

Baring: Dass jemand wie Herr Nolte, den ich für einen sehr produktiven Geist halte, nicht untergeht, nicht ertrinkt in der Masse der Studenten. Und was ich mir auch wünsche – das ist wahrscheinlich eine Gemeinsamkeit zwischen Herrn Nolte und mir: mehr Öffentlichkeit für die Freie Universität. Früher strahlten große Namen aus: zum Beispiel Otto von Simson, Thomas Nipperdey, Peter Wapnewski, Eberhard Lämmert, Richard Löwenthal und Helmut Gollwitzer – das waren kontroverse und erstaunliche Figuren.

Nolte: Ich würde der Freien Universität zu etwas mehr Gelassenheit raten nach der Phase der extremen Betriebsamkeit. Das war richtig und notwendig und wesentlich für den Erfolg, der auch ein Erfolg des Präsidenten Lenzen und seines Teams ist. Wir sind hier aber nicht in einer Firma, die nach Tageserfolgen oder den berühmten Quartalsdaten gemessen wird. Wissenschaftliche Produktivität braucht Ruhe und Rückzug. Wir sind ziemlich gut – auch in diesem Bewusstsein kann sich die Freie Universität Gelassenheit leisten.

Könnte heute ein Streit wie der Historikerstreit 1986/87 eine ähnliche Rolle spielen wie damals?

Baring: Ja, denn die Universität profitiert davon, öffentlich wahrgenommen zu werden. Wissenschaftlich habe ich den Historikerstreit allerdings als außerordentlich unproduktiv empfunden und anhaltend den Kopf geschüttelt – dass man den braunen und den roten Terror nicht vergleichen durfte. Warum soll man nicht vergleichen dürfen? Alles auf dieser Welt kann verglichen werden, muss auch verglichen werden, weil das Spezifische einer Bewegung überhaupt erst herauskommt, wenn man es vergleicht.

Nolte: Es war in erster Linie ein Streit um öffentliche Deutungshoheiten in der Schlussphase der alten Bundesrepublik – was man natürlich nur ex post sagen kann. Gleichzeitig ist durch die öffentliche Debatte ein Anker eingeschlagen worden: der Holocaust als kultureller Ankerpunkt unseres deutschen Identitätsbewusstseins.

Geschichte wird heute in starkem Maße in den Medien vermarktet.

Nolte: Darauf reagieren wir an der Freien Universität mit dem neuen Master-Studiengang „Public History“. Geschichte in der Öffentlichkeit ist eine wunderbare Chance, verbündet sich aber mit Medialisierung und Kommerzialisierung. Darauf muss man Studenten vorbereiten und sie gezielt ausbilden.

Im Jahr 2010 werden wir in Berlin ein großes Wissenschaftsjahr feiern, Anlass sind verschiedene Jubiläen, unter anderem das der im Jahre 1810 gegründeten Berliner Universität. Kann man davon sprechen, dass die Humboldt-Universität die Erbin der alten Hochschule ist? Welchen Teil des Erbes hat die Freie Universität über die Zeit der DDR hinweg getragen und bewahrt?

Baring: Es ist kühn, dass die Humboldt-Universität meint, sie sei allein die Nachfolgerin der Friedrich-Wilhelms Universität, denn nach 1933 und nach 1945 gab es Jahrzehnte, die nicht in der Kontinuität der Humboldt''schen Absichten stehen.

Was sollte die Freie Universität in diese Feier einbringen, Herr Nolte?

Nolte: Ein ganzes Stück Selbstbewusstsein. Wir sollten mit unseren Stärken wuchern, auch mit dem Setting, hier vermeintlich am Rande zu sein, in produktiver Abgeschiedenheit, damit jeder weiß: Hier ist der Rückzugsraum für Forschung, die auch international attraktiv ist, nicht in Mitte unter all den Touristen.

Was war für Sie der persönlich erfreulichste Moment an der Freien Universität?

Baring: Die Gestaltungskraft und Ausstrahlung der Anfangsjahre. Die Gründung der Freien Universität war eine Gründung der Studenten und einiger amerikanischer Freunde, die spontan zugesagt haben, uns zu helfen. Das ist leider gerade unter Studenten in Vergessenheit geraten und sollte eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit für die Zukunft sein. Damit die Studenten wieder das optimistische Gefühl bekommen, dass sie wissenschaftlich für etwas arbeiten, was für sie selbst, ja für das Land wichtig ist.

Nolte: Ich erlebe die Freie Universität als einen Ort, an dem viel kommuniziert wird. Ich habe einen großen Lehrstuhl mit tollen Leuten, wenn wir da ein Projekt auf die Beine stellen, wenn ich merke, alle ziehen mit, dann ist das großartig.

Das Gespräch führte Jochen Staadt.


PERSONALIA

Arnulf Baring (*1932) hat an der Freien Universität Jura studiert. Von 1969 bis 1976 war er Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut. 1976 wechselte er ins Friedrich-Meinecke-Institut auf eine Professur für Zeitgeschichte und internationale Beziehungen. Seit 1998 ist er emeritiert.

Paul Nolte (*1963) war von 2001 bis 2005 Professor für Geschichte an der International University Bremen. Seit 2005 lehrt er Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte in ihren internationalen Verflechtungen am Friedrich Meinecke-Institut der Freien Universität.

Jochen Staadt (*1950) hat von 1968 bis 1977 an der Freien Universität studiert und promoviert. Seit 1992 Mitarbeiter im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität. FU