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Offener Hörsaal

Das Dach anheben und den Horizont erweitern: Der Offene Hörsaal bietet Vorlesungen für die interessierte Öffentlichkeit.

Das Dach anheben und den Horizont erweitern: Der Offene Hörsaal bietet Vorlesungen für die interessierte Öffentlichkeit.
Bildquelle: Görner

Seit 25 Jahren gibt es an der Freien Universität fachübergreifende und öffentliche Vorlesungsreihen

Von Carsten Wette

Die Diagnose war alarmierend: Neben der weit überwiegenden Zahl kritischer und anregender Studenten gebe es viele unselbstständige und demotivierte Studenten, schrieb 1982 der Präsident der Freien Universität, Professor Eberhard Lämmert, in einem Memorandum: Zu viele Studenten orientierten sich „buchstabengetreu an Stoffkatalogen und Prüfungsvorschriften“ – mit der Folge, dass ihre Neugier auf Wissenschaft schwinde und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sänken. Auch für Wissenschaftler sei die Freie Universität unübersichtlich geworden – in Folge hoher Spezialisierung drohte die Kommunikation zwischen ihnen zu enden, warnte Lämmert.

In diese Lage war die Freie Universität ohne eigenes Verschulden geraten – sie war eine Folge der Bildungsexpansion der sechziger Jahre, die alle Universitäten der Bundesrepublik traf: Der Anteil der Studienanfänger pro Jahrgang hatte sich vervierfacht, und es drängten die geburtenstarken Jahrgänge an die Universitäten. Als Konsequenz stieg auch an der Freien Universität die Zahl der Studenten und Wissenschaftler um ein Vielfaches. Doch da das Haushaltsvolumen nicht im selben Maße wuchs, verschlechterten sich die Studienbedingungen.

Mit diesem Zustand wollte Lämmert sich nicht abfinden: Die Freie Universität sei ungeachtet von Bildungsexpansion und Forschungszersplitterung verpflichtet, ihre Studenten auf hohem Niveau zu qualifizieren, stellte der Universitätspräsident klar. Nach Beratungen mit Hochschullehrern verschiedener Disziplinen entwarf er eine Lösung: Künftig sollten als Ergänzung zum Angebot des Studienfaches disziplinübergreifende Ringvorlesungen organisiert werden – an der Freien Universität „Universitätsvorlesungen“ genannt –, um den Horizont der Studenten zu erweitern. Was eigentlich nur für zwei Semester zur Probe geplant war, ist mittlerweile zum Erfolgsschlager geworden – seit nunmehr 25 Jahren.

Einer der Professoren, mit dem der Germanist Lämmert über das Vorhaben damals beriet, war der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen, heute Präsident der Freien Universität. „Die Studenten mussten durch die Möglichkeit eines Studium generale vor der drohenden Verflachung der Inhalte bewahrt werden“, erinnert sich Lenzen. Anspruch der Initiatoren der „Universitätsvorlesungen“ sei es gewesen, solch spannende Themen anzubieten, dass quasi niemand an ihnen vorbeikomme – egal, welches Fach er studiere. „Zu manchen Vorlesungen kamen bis zu tausend Zuhörer“, sagt Lenzen, der selbst Ringvorlesungen konzipierte, etwa zur „Mythologie der Kindheit“.

Lässt man die Themen der mal in schrillem Pink, mal im nüchternen Blau gehaltenen Programmhefte der vergangenen 25 Jahre Revue passieren, ist der Grund für den Erfolg der Veranstaltungsreihe mit Händen zu greifen: In den mittlerweile 159, vielfach interdisziplinären Vorlesungsreihen finden sich Themen des humanistischen Bildungskanons – etwa zur Antike – ebenso wie zeitgeistige, beispielsweise zur „Theorie der Phantasie“ oder zur Körperinszenierung.

Herausforderungen der Zukunft wurden in den Ringvorlesungen häufig aufgegriffen, bevor diese überhaupt als solche in der Gesellschaft wahrgenommen wurden: So ging es 1997/1998 in einer Reihe um die Annäherung an die Weltkultur des Islams, lange vor den Anschlägen vom 11. September in den USA und deren Folgen. Gelegentlich wählen die Wissenschaftler Themen mit Augenzwinkern, etwa in der Reihe „Der Teufel – Stationen einer kulturgeschichtlichen Karriere“. Veranstaltungen zu Bioethik, Gentechnik oder wie im kommenden Wintersemester zu erneuerbaren Energien (Infokasten) sind Beispiele dafür, wie die Wissenschaft komplexen Fragen der Zeit begegnen kann.

Vor vier Jahren wurde das Programm in „Offener Hörsaal“ umbenannt. Zwar war zu den Veranstaltungen schon immer auch die interessierte Öffentlichkeit eingeladen, doch sollte dies nun im Namen der Reihe deutlich werden, sagt Dieter Lenzen: „Diese Öffnung der Universität stieß in der Stadt auf ein großes Interesse.“ Auch die Kunsthistorikerin Karin Gludovatz berichtet, dass eine Vielzahl von interessierten Bürgern die unter anderem von ihr organisierte Vorlesung zu afrikanischer Kunst besuchten.

Das Engagement der Wissenschaftler, die an den Veranstaltungen beteiligt sind, sei enorm, sagt die Koordinatorin des „Offenen Hörsaals“, Brigitte Werner. Mittlerweile sind mehr als 70 Bücher mit den Vorlesungen erschienen, zuletzt das Werk „Lebenswissen – eine Einführung in die Geschichte der Biologie“.

Passend für eine Universität, die 2007 in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder mit dem Zukunftskonzept „Internationale Netzwerkuniversität“ erfolgreich war, stammen einige der Referenten der öffentlichen Vorlesungen an der Freien Universität aus aller Herren Länder: „Zu den Gästen zählen Nobelpreisträger und andere Persönlichkeiten der Wissenschaft und Praxis aus aller Welt“, sagt Koordinatorin Werner. Angereist seien Vortragende aus den USA und Kanada, aus vielen Ländern Europas, aus Peru, Ägypten, Benin, Israel, dem Libanon, Pakistan, Japan und Korea.

Es seien gerade diese Kontakte zu Wissenschaftlern aus anderen Ländern und anderer Disziplinen, die das Besondere der Vorlesungen ausmachten, sagt Postdoktorand Markus Rautzenberg vom Graduiertenkolleg „Interart/Interart Studies“, der in diesem Sommersemester einer der Organisatoren der Vorlesungsreihe „The Beauty of Theory“ war. Als Vortragender sei es eine Herausforderung, dem heterogenen Publikum gerecht zu werden, zu dem junge Studienanfänger ebenso zählten wie 70-jährige Rentner. „Man ist auf schöne Weise gezwungen, sich allgemeinverständlich auszudrücken“, sagt Rautzenberg.

Und der „Vater“ der Veranstaltungsreihe, Professor Lämmert? Der ist seit Jahren selbst begeisterter Stammgast des Offenen Hörsaals. „Für alle Vorlesungen eines Semesters habe ich allerdings keine Zeit“, sagt der inzwischen 84-Jährige. Dafür sind es einfach zu viele.


INFORMATIONEN

Filmklassiker, Energiefragen und EntscheiderAnzeige

DREI VERANSTALTUNGEN

Im Wintersemester 2008/2009 werden im Rahmen des „Offenen Hörsaals“ drei öffentliche Veranstaltungsreihen angeboten, deren Besuch kostenfrei und ohne Anmeldung möglich ist.

ENERGIEFRAGEN

Erneuerbare Energien – Wissenschaft, Vermittlung, Verantwortung, mittwochs 18.15 – 20.00 Uhr; Beginn: 22. Oktober 2008; Hörsaal Anorganische Chemie, Fabeckstraße 34–36, 14195 Berlin-Dahlem

FILMKLASSIKER

Film macht Schule – Was lehrt uns das Kino heute?

Filme aus dem Kanon von Murnau bis Almodóvar, mittwochs 18.15 – 20.00 Uhr; Beginn: 22. Oktober 2008; Hörsaal 1 b, Habelschwerdter Alle 45, 14195 Berlin-Dahlem; die Filme zur Vorlesung werden von 16.00 – 18.00 Uhr im Hörsaal 1 a gezeigt

ENTSCHEIDER

Zwischen Glaubwürdigkeitskrise und Globalisierung: Die Rolle der Kommunikation in der Führung moderner Organisationen, montags 18.15–20.00 Uhr; Beginn: 20. Oktober 2008; Hörsaal 104, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Garystraße 20, 14195 Berlin-Dahlem

Das Programm aller Vortragsreihen kann von Oktober an unter www.fu-berlin.de/offenerhoersaal im Internet abgerufen werden. Es ist dann auch erhältlich in der Koordinierungsstelle Offener Hörsaal, Telefon: 030 / 838-73535 / 73501, E-Mail: brigitte.werner@fu-berlin.de.