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Austauschkorrespondenten

Einblick in die europŠische Medienwelt: Zum Programm der russischen und amerikanischen Journalisten gehšrte auch eine Besichtigung des TV-Senders Arte.

Einblick in die europŠische Medienwelt: Zum Programm der russischen und amerikanischen Journalisten gehšrte auch eine Besichtigung des TV-Senders Arte.
Bildquelle: Privat

An der Freien Universität studieren und arbeiten junge Journalisten aus den USA und aus Osteuropa

Von Florian Michaelis

Eine der schärfsten publizistischen Waffen im Kalten Krieg bestand aus zwei winzig-kleinen Strichelchen. Im Westen versuchten Zeitungen, Magazine und ganze Verlage, das politische System im östlichen Deutschland mithilfe der Interpunktion einzudämmen: durch Anführungszeichen. Man schrieb „DDR“ statt DDR. Wer sich besonders antikommunistisch geben wollte, intensivierte die Politik der orthografischen Nichtanerkennung durch das Zusatzwort „sogenannte“. In den 1960er Jahren betrieben zahlreiche Zeitungen die kämpferische Zeichensetzung, am konsequentesten jedoch die Blätter des Springer-Verlages, die noch bis ins Jahr 1989 hinein nicht von den politischen Gänsefüßchen lassen wollten.

Solche Überlegungen brauchten Journalisten auf der anderen Seite der Mauer nicht anzustellen: Dort diktierte das „Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrats“ den Zeitungen und Sendern gleich Themensetzung, Formulierungen, Sprachregelungen und Platzierungshinweise: Die „Übergabe der zweimillionsten Wohnung in Anwesenheit des Generalsekretärs“ sei „auf Seite 1 vom Freitag sehr groß“ zu bringen; „Protokollobst“ dürfe nicht fotografiert werden – „sonst wird die Bevölkerung neidisch“.

Der Kalte Krieg in den Medien – besonders in Berlin war er in Schlagzeilen, Radiomeldungen und Fernsehberichten zu bestaunen. Umso bedeutender findet es Günther von Lojewski, damals Intendant des „Senders Freies Berlin“, dass heute, fast 20 Jahre nach dem Mauerfall, junge Journalisten der einstigen Schutzmächte miteinander lernen und arbeiten: „Unter einem deutschen Dach treffen sich junge Menschen aus den USA und aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion“, sagt der Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Lojewski spricht von zwei akademischen Austauschprogrammen, die er für amerikanische und osteuropäische Nachwuchs-Journalisten entwickelt hat: „Journalisten International“ und „internXchange“ heißen sie. Die Ziele sind schnell umrissen: „Wir hoffen einerseits, etwas für den Aufbau der Zivilgesellschaft im früheren Ostblock zu tun“, sagt er, „zum anderen dabei zu helfen, die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu verbessern.“

Je 20 Stipendiaten werden jedes Jahr in Ost und West ausgewählt. Sie müssen ein Examen haben oder wenigstens erstklassige Noten mitbringen, journalistische Erfahrungen vorweisen und die deutsche Sprache beherrschen – sonst wird es später schwierig, wenn sie die Praktika absolvieren, die zum Programm gehören – bei angesehenen Zeitungen, Agenturen und Sendern. In Lehrveranstaltungen an der Freien Universität diskutieren sie über journalistische Ethik und lernen das politische System der Bundesrepublik Deutschland kennen, sie üben fast täglich das Schreiben journalistischer Texte, von der Meldung bis zur Reportage, und unternehmen zahlreiche Exkursionen: Das ehemalige Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen besichtigen sie ebenso wie das Holocaust-Mahnmal und die deutsch-polnische Universität Viadrina. Wöchentlich treffen sich die Jung-Journalisten bei einem „Jour-fixe“ mit prominenten Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten: Mit dem stellvertretenden „Stern“-Chef Hans-Ulrich Jörges diskutieren sie über die Frage „Medien und Politik – wer steuert wen?“, mit dem Sprecher des Regierenden Bürgermeisters über „Berlin als Medien-Drehscheibe zwischen Ost und West“. Mit dem Regisseur Volker Schlöndorff sprechen sie übers Filmemachen, mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, über die Beziehungen der Europäischen Union nach Ost und West.

Der 32-jährige Sergiu Zamari kommt aus Moldawien an die Freie Universität. Er will vor allem sein Deutsch verbessern und Kontakte knüpfen. „In Moldawien gibt es viele deutsche Unternehmen“, sagt er. In der Öffentlichkeitsarbeit einer dieser Firmen hofft er, später eine Karriere starten zu können. In seinem Heimatland hat er bereits für ein Lifestyle-Magazin geschrieben, vor allem über Wirtschaftsthemen.

Wie auch die anderen Osteuropäer am Journalisten-Kolleg hatte er über das Programm „Journalisten International“ einen Platz bekommen. Das Austauschprogramm gibt es seit fast zehn Jahren. Ins Leben gerufen wurde es von Lojewski nach einer Russlandreise mit dem damaligen Bundespräsidenten. Roman Herzog stellte sich damals, 1997, eine „große Offensive des kulturellen Dialogs“ vor, Lojewski wollte „Nägel mit Köpfen machen“ und begann mit der Organisation. Im Jahr 1999 kamen die ersten russischen Journalisten an die Freie Universität, bis heute studierten hier knapp 180. Gern erzählt Lojewski von Absolventen, die heute als Chefredakteure und Fernsehdirektoren arbeiten. Nur mit dem Austausch hapert es noch: Junge deutsche Journalisten reisen noch nicht vom Journalisten-Kolleg aus nach Russland. „Ein paar russische Offizielle haben offenbar kein ganz allzu großes Interesse am Import von Pressefreiheit“, sagt Lojewski. Allerdings gelang es, gemeinsam mit der Lomonossow-Universität in Moskau einen deutsch-russischen Studiengang „Master of Journalism and Communication“ auf die Beine zu stellen. Charly Wilder, 26, aus New York hat sich erfolgreich bei „internXchange“ beworben, dem gerade erst gestarteten Austauschprogramm für amerikanische Journalistik-Studenten und Journalisten. Bisher hat sie Bands interviewt und Plattenkritiken für ein New Yorker Online-Magazin geschrieben, in Berlin interessiert sie sich vor allem für politische Themen. Gerade erst lieferte sie einen Text darüber ab, wie die europäischen Medien über den Präsidentschaftswahlkampf in ihrer Heimat berichten. Sie träumt davon, für den „Spiegel“ zu schreiben, schränkt aber gleich wieder ein: „Dafür ist mein Deutsch nicht gut genug – noch nicht!“ Neben der beruflichen Perspektive reizt sie das Leben in Berlin: „Ich habe in keiner amerikanischen Stadt ein so ausgeprägtes Gefühl von Freiheit empfunden wie hier“, sagt sie. Die Berliner würden nicht dauernd miteinander wetteifern, wer der Bessere sei: „Die Kinder hier haben noch schmutzige Gesichter.“

Programm-Erfinder Lojewski freut sich über jeden, dem das Programm bei der Karriere hilft, betont aber auch, wie wichtig das Verbreiten ideeller Werte sei: zum Beispiel die innere Pressefreiheit, nach der kein Redakteur gezwungen werden kann, gegen seine Überzeugung zu schreiben. „Die Stipendiaten kommen in die Stadt, in der der Kalte Krieg am kältesten war, und erfahren, dass es bei uns sogar Vereinbarungen zur inneren Pressefreiheit gibt“, sagt er, „das kommt Russen wie Amerikanern vor wie ein Traum.“