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Keine Angst, Männer!

Von Dieter Lenzen

Es geht eine Metapher um in Deutschland: Die Versäulung des Wissenschaftssystems. Gemeint ist damit die Trennung der Forschung in Hochschulen von der Forschung in außeruniversitären Organisationen. Zu verschiedenen Zeitpunkten der deutschen Wissenschaftsgeschichte, in echten oder geglaubten Krisen der Hochschulen, entstanden außerhalb Forschungsorganisationen, die sukzessive mit sehr viel Geld ausgebaut wurden, sodass sie häufig auf höchstem Niveau arbeiten können. Pech für die Hochschulen: Nicht nur, dass ihnen das Geld für die Forschung fehlt. Auch in internationalen Rankings schneidet das deutsche System immer schlecht ab, weil die „Außerirdischen“, wie sie manchmal scherzhaft heißen, dem Hochschulsystem nicht zugerechnet werden, so als ob sie gar nicht existierten. Und: Wertvolle Möglichkeiten der Kooperation sind nicht immer selbstverständlich, sondern müssen über die Institutionengrenzen hinweg von Fall zu Fall neu vereinbart, erarbeitet und am Leben gehalten werden. Diese Versäulung ist ziemlich einzigartig in der Welt. Der gebildete Laie fragt sich, warum die Außeruniversitären nicht einfach den Universitäten zugeordnet werden. Eine Art Wiedervereinigung.

Aber damit ist es wie mit der Kleinstaaterei im alten Deutschland. Man braucht eine große Gemeinsamkeit, die eine Bundesrepublik der Wissenschaft leichter möglich macht. Die Opportunitätskosten jedes Tages, an dem die Versäulung erhalten bleibt, sind immens.

Jüngstes Beispiel: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) legte ein Konzept zu „forschungsorientierten Gleichstellungsstandards“ vor, mit dem endlich ein großer Schritt in die Richtung von mehr Gerechtigkeit für weibliche Wissenschaftler beim Zugang zu den Forschungsmitteln der DFG geschaffen werden sollte. Längst überfällig. Lediglich eine Selbstverpflichtung der DFG-Mitglieder, Hochschulen wie außeruniversitäre Organisationen und ihre Einrichtungen voranzubringen im Bemühen, Wissenschaftlerinnen endlich einen effektiv gleichen Zugang zu Forschungsmitteln zu verschaffen, versehen mit dem sanften Hinweis, dass die Einhaltung von Gleichstellungsstandards auch entscheidungsrelevant sein kann.

Und da war sie wieder, die Versäulung, deren Beendigung gern dann besprochen wird, wenn für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zusätzlicher Zugang zu Geldmitteln oder die begehrten Möglichkeiten der Hochschulen winken, Abschlüsse zu vergeben. So stimmten die Universitäten unisono für die Gleichstellungsstandards und die großen vier Außeruniversitären dagegen. Begründung: Angst vor Autonomieverlust, Berichtswesen und womöglich Qualitätseinbußen. Die Folgen reichen weit. Soll grundständige Lehre in den Universitäten künftig eher etwas für Frauen sein, harte Forschung in teuren Laboren außerhalb der Universitäten etwas für harte Männer? Durch eine solche Entwicklung ist das gesamte Bildungssystem in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gekennzeichnet: Je jünger die Lernenden, desto weiblicher das Personal – je wichtiger und teurer die Einrichtungen, desto männlicher dasselbe. Diese Entwicklung muss endlich gestoppt werden. Bleibt zu hoffen, dass die „Außerirdischen“ doch noch beitreten. Keine Angst, Männer!

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.